# taz.de -- Ukraine-Russland-Krieg: Fortschritt in Istanbul
       
       > Auf Erdogans Einladung verhandeln die Ukraine und Russland. Hauptthemen
       > sind wohl der Status der Ukraine sowie mögliche Sicherheitsgarantien.
       
 (IMG) Bild: Mykhailo Podolyak, Vertreter der Ukrainischen Delegation in Istanbul im Interesse der Journalisten
       
       BERLIN/ISTANBUL taz | Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland
       in Istanbul sind am Dienstag nach rund vier Stunden mit positiven Signalen
       zu Ende gegangen. Der Leiter der russischen Delegation, Wladimir Medinsky,
       sagte, die Gespräche seien konstruktiv gewesen. Die Vorschläge der Ukraine
       würden nun geprüft und anschließend Präsident Putin übermittelt. Es werde
       keinen zweiten Verhandlungstag geben, teilte das türkische Außenministerium
       mit.
       
       Bei den Gesprächen ging es nach ukrainischen Angaben vor allem darum, wie
       ein neutraler Status für die Ukraine aussehen könnte und welche
       Sicherheitsgarantien das Land sich vorstellt. Wie die ukrainische
       Delegation nach der Gesprächsrunde vor der Presse erläuterte, will die
       Ukraine einen Status, der zwar eine Nato-Mitgliedschaft und die Einrichtung
       ausländischer Militärbasen in der Ukraine ausschließt, ihr aber eine
       Mitgliedschaft in der EU ermöglicht. Darüber soll ein Referendum abgehalten
       werden, nachdem die russischen Truppen das Land verlassen haben und auf dem
       gesamten ukrainischen Staatsgebiet Frieden herrscht.
       
       Die Sicherheit einer neutralen Ukraine soll den Kiewer Vorschlägen zufolge
       von mehreren Garantiemächten vertraglich abgesichert werden. Denkbar seien
       die USA, Großbritannien, Frankreich, China, Kanada, Italien, Polen, die
       Türkei und Israel, sagte der ukrainische Delegierte David Arahamia. Diese
       Garantiemächte müssten analog zum Beistandsartikel 5 im Nato-Vertrag bereit
       sein, die Ukraine militärisch zu verteidigen, und das entsprechende
       Beistandsabkommen von ihren Parlamenten ratifizieren lassen.
       
       Die russisch besetzte [1][Krim] und die russisch kontrollierten
       Separatistenrepubliken im Donbass sollen demnach nicht Teil der
       Sicherheitsgarantie für die Ukraine sein; ihre militärische Rückeroberung
       durch Kiew wird ausgeschlossen. Das russische Außenministerium betonte, bei
       den Gesprächen gehe es um die „Anerkennung heutiger territorialer
       Realitäten“.
       
       ## Friedensvereinbarung nur auf Ebene der Staatschefs
       
       Gestartet waren die Gespräche am Dienstagmorgen mit einer kurzen Ansprache
       von Gastgeber Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Er ermahnte beide
       Delegationen, [2][endlich zu Ergebnissen zu kommen]. „Die ganze Welt
       erwartet heute gute Nachrichten aus Istanbul“, sagte er.
       
       Das Treffen fand in einem Gebäudekomplex innerhalb des ehemaligen
       Sultanspalastes Dolmabahçe statt, den Erdoğan vor Jahren als
       Präsidentenbüro in Istanbul deklariert hatte. Die beiden Delegationen waren
       streng voneinander abgeschirmt. Nach Angaben ukrainischer Medien soll
       Außenmister Dmytro Kuleba die ukrainischen Teilnehmer zuvor aufgefordert
       haben, nichts zu essen und zu trinken und möglichst wenig zu berühren, weil
       die Gefahr bestünde, dass Russland einen Giftanschlag im Sinne habe. Nach
       einem [3][Bericht des Wall Street Journal] wurden beim letzten Treffen ein
       russischer und zwei ukrainische Abgesandte möglicherweise vergiftet.
       
       Eine förmliche Friedensvereinbarung ist aus ukrainischer Sicht nur auf der
       Ebene der Staatschefs möglich. Ukraines Präsident Wolodimir Selenski hat
       schon oft Direktgespräche mit Wladimir Putin gefordert; der Kreml lehnte
       das bislang ab. Man sei der Ansicht, dass es jetzt genug Fortschritte für
       ein Treffen der Präsidenten gebe, sagte die ukrainische Delegation in
       Istanbul. Der russische Unterhändler Wladimir Medinski sagte, ein solches
       Treffen sei nur möglich, wenn zeitgleich die Außenminister beider Länder
       eine Vereinbarung unterzeichneten.
       
       Ein direktes Treffen zwischen Selenski und Putin ist aus Sicht der Ukraine
       auch der Ort, wo über den zukünftigen Umgang mit der Krim zu sprechen sei.
       Für Gespräche darüber setzt die Ukraine einen Zeitraum von 15 Jahren an,
       während derer beide Seiten sich zum Gewaltverzicht verpflichten müssten,
       hieß es.
       
       Wie es jetzt weitergeht, blieb zunächst offen. US-Präsident Joe Biden
       wollte noch am Dienstagnachmittag mit den Staats- und Regierungschefs von
       Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien sprechen.
       
       Als „vertrauensbildende Maßnahme“ kündigte Russlands
       Verteidigungsministerium am Nachmittag an, die militärischen Aktivitäten
       rund um Kiew und Tschernihiw im Norden der Ukraine „fundamental zu
       reduzieren“. In diesen Frontbereichen war die russische Armee in den
       vergangenen Tagen zunehmend unter Druck geraten.
       
       Russische Luftangriffe gibt es derweil weiterhin. Am frühen Morgen wurde
       das Verwaltungsgebäude der Stadt Mykolaiw im Süden des Landes durch einen
       Raketenbeschuss zerstört. Nach ukrainischen Angaben gab es 3 Tote und 22
       Verletzte. Von Mykolaiw aus führt die Ukraine ihre Gegenoffensive gegen die
       in die Südukraine vorgedrungenen russischen Streitkräfte.
       
       29 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-krim-annexion-103.html
 (DIR) [2] https://www.france24.com/en/live-news/20220310-russia-ukraine-fail-to-make-progress-at-difficult-turkey-talks
 (DIR) [3] https://www.wsj.com/articles/roman-abramovich-and-ukrainian-peace-negotiators-suffer-symptoms-of-suspected-poisoning-11648480493
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
 (DIR) Dominic Johnson
       
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