# taz.de -- Jugendpsychiater über Transidentität: „Es ist hip, trans zu sein“
       
       > Als Experte für Geschlechtsdysphorie warnt Alexander Korte vor der
       > Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Dafür ist er selbst in Kritik
       > geraten.
       
 (IMG) Bild: Alexander Korte, Experte auf dem Gebiet für Geschlechtsdysphorie
       
       taz am wochenende: Herr Korte, Sie waren im November 2020 zu einer Anhörung
       im Bundestag zum Transsexuellengesetz eingeladen. Und schon im Vorfeld gab
       es Proteste gegen Sie. Da käme ein ganz Rechter, hieß es. Sind Sie der CDU
       zugeneigt? 
       
       Alexander Korte: Nein, definitiv nicht. Ich bin Stammwähler der Grünen,
       links-konservativ, würde ich heute sagen. Aber nach einer Analyse der
       beiden Gesetzentwürfe zum Transsexuellengesetz kam ich zu dem Schluss: Es
       ist ein großer Fehler, was die Grünen da im Sinn haben.
       
       Grünen-Wähler – wirklich? 
       
       Tatsächlich war im Münsterländischen, wo ich aufgewachsen bin, mein Vater
       SPD-Ortsvorsitzender und glühender Anhänger von Willy Brandt. Als Kind
       durfte ich für meinen Vater immer SPD-Werbung in die Briefkästen schmeißen.
       Ich wurde groß mit „Atomkraft? Nein danke“, dem Nato-Doppelbeschluss und
       der ökologischen Bewegung. Die ist heute noch das wichtigste Thema für
       mich.
       
       Grüne und FDP wollen das Transsexuellengesetz zugunsten eines
       Selbstbestimmungsgesetzes abschaffen. Menschen sollen ihre
       Geschlechtsidentität selbst aussuchen können, nötigenfalls auch
       Minderjährige gegen den Willen ihrer Eltern. Sie sind als Kritiker der
       geplanten Gesetze bekannt geworden – Ihnen wird zugleich Expertise
       abgesprochen. 
       
       Nun, ich bin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
       und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit fast
       20 Jahren mit dem Thema beschäftigt. Zudem habe ich psychoanalytische
       Kulturwissenschaften studiert. Das ist wichtig, weil das Phänomen, mit dem
       wir es zu tun haben, eines erweiterten Blickwinkels bedarf.
       
       Sie sagen, trans ist Mode? 
       
       Ich würde eher von einem Zeitgeistphänomen sprechen. Trans ist
       offensichtlich eine neuartige Identifikationsschablone, für die es einen
       gesellschaftlichen Empfangsraum gibt. Und das spricht in erster Linie eine
       vulnerable Gruppe von weiblichen Jugendlichen an. 85 Prozent der trans
       Identifizierten sind ja biologische Mädchen. Das ist ein internationales
       Phänomen. [1][In Schweden stieg die Diagnosehäufigkeit] bei 13- bis
       17-jährigen Mädchen von 2008 bis 2018 um 1.500 Prozent.
       
       Aber führt nicht mehr Sichtbarkeit schlicht auch zu mehr persönlichen
       Erkenntnissen? 
       
       Habe ich nie bestritten. Das erklärt aber mitnichten die exponentielle
       Zunahme und schon gar nicht das veränderte Geschlechterverhältnis. Auch in
       Deutschland wird diese Zunahme nirgendwo bestritten. Ich sage: Eine
       Verantwortung dafür tragen wir selbst, wenn wir diese Beratungs- und
       Behandlungsangebote so in die Welt tragen.
       
       Was heißt: „So in die Welt tragen“? 
       
       Ich möchte einen Fall schildern. Mir ist ein Kind, biologisches Mädchen,
       überwiesen worden. Die Mutter hat selbst eine psychische Erkrankung. Bei
       dem Mädchen stellte sich heraus, sie hat nicht nur ein Problem mit
       Geschlechtlichkeit, sondern auch eine soziale Phobie und eine Depression.
       Und von Anfang an hatte ich bei der Mutter das Gefühl, dass sie schwer
       sexuell traumatisiert ist. Sie hat das auch bestätigt. Aus unserer
       Erfahrung, in der medizinischen Literatur bekannt, wissen wir: Bei Müttern,
       die selbst sexuell traumatisiert sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass
       deren Kind eine Geschlechtsdysphorie entwickelt, deutlich höher.
       
       Woher wissen Sie das? 
       
       Das ist Erfahrungswissen von Therapeuten – das heißt, es gibt dafür eine
       empirische Evidenz und das wird auch von meinen „Kontrahenten“ nicht
       bestritten.
       
       Es heißt inzwischen, Geschlechtsidentität sei angeboren. 
       
       Das ist abstrus. Die neurobiologische Forschung ist definitiv den Beleg
       schuldig, dass Geschlechtsidentität genetisch bedingt sein könnte. Auch aus
       der Sicht der Entwicklungspsychologie ist es abwegig, davon auszugehen,
       dass Identität etwas ist, mit dem man zur Welt kommt. Aus meiner Sicht ist
       Identität stets das Resultat einer individuellen Bindungs- und Beziehungs-
       und auch Körpergeschichte.
       
       Wie ging denn dieser Fall aus? 
       
       Ich konnte dieses Mädchen zu einer Psychotherapeutin überweisen, die in
       einer Gruppe mit gleichgesinnten Patienten arbeitet. Es bestand Grund zur
       Annahme, dass diese Mutter für ihre Tochter nicht als positives weibliches
       Rollenmodell zur Verfügung stand. Und dass es an der Schwelle zur Pubertät
       zu der irrtümlichen Überzeugung gelangte: „Ich bin trans.“ Meine Kollegin
       Lisa Littman aus den USA beschreibt dieses neue Phänomen als „[2][Rapid
       Onset Gender Dysphoria“.]
       
       Also Jugendliche, die ohne Vorgeschichte einer Geschlechtsdysphorie oder
       geschlechtsbezogener Identitätskonflikte in der Kindheit von jetzt auf
       gleich ein Transouting haben – so? 
       
       Ja, und zwar in der Phase, wo sie sich mit ihrer Geschlechtsrolle und mit
       ihrem sich reifungsbedingt verändernden Körper auseinandersetzen müssen.
       
       Und dann sehen sie trans Menschen als Fernsehstars. 
       
       Eben. Es ist in bestimmten Szenen hip, trans zu sein. Und davon fühlen sich
       in allererster Linie weibliche Jugendliche angesprochen, die einen
       sexualitätsbezogenen inneren Konflikt haben oder unter den
       gesellschaftlichen Rollenklischees oder Schönheitsidealen leiden – oder
       solche, die sexuell traumatisiert sind.
       
       Wo sehen Sie das Problem? 
       
       In den Medien berichten Vorbilder euphorisch über ihre angeblich
       unkomplizierte medizinische Transition. Es wird so getan, als sei mit der
       Durchführung einer Geschlechtsangleichung das Paradies auf Erden erreicht.
       Dabei sind sie ein Leben lang abhängig von einer Hormonersatztherapie. Die
       verstorbene Sexualforscherin [3][Sophinette Becker], mit der ich im engen
       Austausch stand, sagte immer: Liebe Leute, wir, die wir seit Jahrzehnten
       mit transsexuellen Patienten arbeiten, wir wissen doch, die wenigsten
       werden glückliche Menschen. Viele sind schnell ernüchtert: Oft entspricht
       das Operationsergebnis nicht den Vorstellungen. Es ist nicht einfach, einen
       Lebenspartner zu finden. Die sexuelle Erlebnisfähigkeit hat gelitten. Nicht
       wenige werden zu chronisch Depressiven und müssen – und wollen auch –
       psychiatrisch behandelt werden.
       
       Einige trans Personen empfinden Ihre Ausführungen als verletzend. Ihre
       Haltung stigmatisiere alle trans Menschen zu psychisch Kranken. 
       
       Ohne die Einordnung als krankheitswertige Störung gibt es keine
       Kostenübernahme der Finanzierung von medizinischen Dienstleistungen! Dazu
       gibt es eigentlich mehrere rechtskräftige Urteile des Bundessozialgerichts.
       Entscheidend ist der „klinisch relevante Leidensdruck“ und die
       Beeinträchtigung. Die unselige Entpathologisierungsdebatte führt ins Nichts
       – sie schadet den Betroffenen, was ein Großteil von ihnen mittlerweile auch
       begriffen hat. Allein den Transaktivisten ist die Einsicht verwehrt, dass
       diese Diskussion nicht mehr im Sinne der unter Geschlechtsdysphorie
       Leidenden ist.
       
       Eine Ärztin der Londoner Tavistock-Klinik berichtet, Minderjährige,
       Vorpubertäre und ihre Eltern wollen am liebsten sofort Hormone. Erleben Sie
       das in Ihrer Klinik auch? 
       
       Definitiv, ja. Es fragen Eltern von Siebenjährigen: Wann soll meine Tochter
       Hormone bekommen? Und wann sollen die Eierstöcke raus?
       
       Sie lehnen Pubertätsblocker ab. Was spricht dagegen? 
       
       Die Blockade der Pubertät mit Medikamenten ist meines Erachtens
       medizinethisch fragwürdig. Wir wissen [4][aus Studien], dass sich die
       meisten Kinder später [5][mit ihrem Geburtsgeschlecht aussöhnen].
       Geschlechtsatypisches Verhalten und Geschlechtsidentitätsunsicherheit im
       Kindesalter deuten häufig auf Homosexualität im Erwachsenenalter hin. Nur
       sehr selten führt dies zu einer transsexuellen Identität. Anders ist es bei
       Patienten, deren Pubertät angehalten wurde. Die setzen in der Regel die
       Transition fort, zunächst durch Hormone und gegebenenfalls durch
       Operationen. Also sind Pubertätsblocker frühe Weichensteller. Man kann auch
       sagen, ein Homosexualitätsverhinderer. Aus diesem Grund und wegen der
       unklaren Risiken und möglichen Langzeitfolgen [6][hat Schweden diese
       Behandlung gerade ausgesetzt].
       
       Sie werden auch von vielen Ihrer KollegInnen teils heftig kritisiert. Auf
       ein Interview im [7][Spiegel] 2019 reagierten die mit Unverständnis – und
       bekräftigten, dass nach ihrer Erfahrung Transidentität keineswegs als Laune
       in der Pubertät auftrete, sondern in aller Regel viel früher gefestigt sei.
       Halten Sie diese Möglichkeit für abwegig? 
       
       Entgegen anderweitigen Behauptungen weiß ich die überwiegende Mehrheit
       [8][meiner Berufskollegen] hinter mir. Korrekt ist: Ja, es gibt andere
       Sichtweisen; ich sehe diese aber in der Minderheit, nicht umgekehrt. Zum
       Wording: Ich weiß nicht, was mit „Transidentität“ gemeint sein soll – es
       ist keine anerkannte medizinisch-wissenschaftliche Bezeichnung.
       
       Aber es gibt doch trans Jugendliche. 
       
       Ich habe immer gesagt: Ja, es gibt eine kleine Subgruppe von
       geschlechtsdysphorischen Jugendlichen, bei denen tatsächlich eine profunde
       und zeitlich überdauernde Geschlechtsidentitätstransposition im Sinne
       einer Transsexualität vorliegt. Das Problem bleibt aber bestehen: Es ist
       sehr schwer bis unmöglich, diese als solche zu identifizieren – weil wir
       nicht in die Zukunft blicken können, beziehungsweise weil es keine sicheren
       Prädiktoren dafür gibt.
       
       Geben Sie in Ihrer Klinik auch Hormone? 
       
       Gegengeschlechtliche Hormone geben wir in München in einzelnen Fällen.
       Aber immer erst nach einer mindestens einjährigen, psychotherapeutisch
       begleiteten Alltagserprobung und einer sehr sorgfältigen
       Indikationsprüfung. Bisweilen habe ich am Ende aber immer noch ein ungutes
       Gefühl. Aber besser, wir machen das, als dass sich die Jugendlichen die
       Hormone im Internet besorgen.
       
       Hat nicht jeder in der Pubertät eine schwierige Phase? Ist das Hadern mit
       seinem Geschlecht nicht normal? 
       
       Ja, es gibt die „Scham-Krise“. Da gibt es aber Unterschiede zwischen Jungs
       und Mädchen. Bei Mädchen ist der Eintritt der Geschlechtsreife durch die
       erste Menstruation, die Menarche, markiert. Etwa ein Drittel der Mädchen
       erlebt die eindeutig als aversiv. Bei Jungen ist das Pendant dazu der erste
       Samenerguss. Den empfinden die fast alle als angenehm.
       
       Aber Mädchen können sich auch Lust bereiten, durch Reiben ihrer Klitoris. 
       
       Sicher gibt es auch adoleszente Mädchen, die masturbieren. Ihr Anteil ist
       jedoch deutlich geringer. Bei Jungen sprechen wir von annähernd 100
       Prozent, [9][bei Mädchen je nach Studie] von zwischen 20 und 50 Prozent.
       Wenn ein Mädchen ihren Körper als Quelle angenehmer Gefühle entdeckt und
       ihn aus diesem Grund positiv besetzt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass
       sie eine transsexuelle Geschlechtsdysphorie entwickelt. Mädchen, die einen
       Transwunsch formulieren, haben meistens keine Erfahrung mit Masturbation.
       
       Und die Menstruation tut bloß weh. 
       
       Richtig. Die Orgasmusfähigkeit, vor allem im Rahmen soziosexueller
       Kontakte, ist für Mädchen eine größere Herausforderung als für Jungen.
       Dieser Unterschied muss für das Verständnis einer ganzen Reihe von
       psychischen Erkrankungen berücksichtigt werden. Zum Beispiel der Anorexie.
       Auch hier liegt fast immer auch ein sexueller Konflikt zugrunde –
       beziehungsweise eine Ablehnung von Weiblichkeit. Nur kämen wir nie auf die
       abstruse Idee, Appetitzügler zu geben.
       
       Sie meinen wie Pubertätsblocker? 
       
       Genau. Beide Phänomene haben ein [10][gestörtes Körperbild] gemein. Ein
       magersüchtiges Mädchen leidet auch brutal unter ihrem vermeintlichen
       Zu-dick-Sein. Bei Kindern mit Geschlechtsdysphorie sind wir geneigt, dieses
       unsägliche Narrativ vom „im falschen Körper geboren“ unhinterfragt zu
       übernehmen. Was für ein Blödsinn!
       
       Es gibt eine Studie aus den Niederlanden mit fast 7.000 TeilnehmerInnen.
       Die Quote derer, die ihre Transition rückgängig machen wollten, lag bei
       unter einem Prozent. Warum sollte das in Deutschland anders sein? 
       
       Ich kann Ihnen spontan [11][mehrere aktuelle Katamnese-Studien] vorlegen,
       deren Ergebnisse in eine ganz andere Richtung weisen – die für eine zuletzt
       deutlich gestiegene Detransitioner-Rate sprechen, dass also mehr Menschen
       wieder in ihr Geburtsgeschlecht zurückgehen. Es ist müßig, über eine
       einzige Studie zu diskutieren.
       
       Es heißt, die Transitionierten sind psychisch gesünder. 
       
       Diese Behauptung gründet sich auf Befragungen, bei denen es aber eine
       Stichprobenverzerrung gibt dergestalt, dass negative Verläufe gar nicht
       publiziert werden. Da hat niemand Interesse daran. Auch für die Patienten
       ist es schwer, sich einzugestehen: Das war falsch.
       
       Haben Sie Zahlen dazu? 
       
       Lisa Littman machte eine große Zahl von Menschen ausfindig, die
       detransitionierten. Etwa die Hälfte hatte das ihren Ärzten nicht gesagt.
       
       Was ja das Schicksal der Britin Keira Bell ist. Ihr wurden im Jugendalter
       Hormone verabreicht, beinahe beratungslos. Ihre Brüste wurden schließlich
       entfernt – ehe sie erkannte, dass sie doch eine Frau ist, eine lesbische
       Frau. 
       
       Es gibt Studien, denen zufolge [12][die Suizidrate bei operierten trans
       Menschen erhöht] ist. Die Transaktivisten-Szene sagt, das sei nur Ausdruck
       des Minoritäten-Stresses. Das mag eine Erklärung sein, aber ganz sicher
       nicht die alleinige. Aber: Es gibt eine kleine Sub-Gruppe, für die ist die
       Transition die richtige Option.
       
       Wie erkennen Sie die? 
       
       Das kann ein Erwachsener nur für sich selbst entscheiden. Ich finde das
       Lifetime-Kriterium bedeutsam. War es schon immer so, dass eine Person sich
       dem anderen Geschlecht zuordnete? Ich kenne erwachsene Transsexuelle, die,
       obwohl sie das alles durchlaufen haben, mittlerweile dafür plädieren, den
       Weg der unblutigen Transition auszuprobieren.
       
       Was wäre eine „unblutige Transition“? 
       
       Wenn Betroffene nur ihre soziale Geschlechtsrolle wechseln, entsprechend
       auftreten, ohne medizinische Maßnahmen zur äußeren Geschlechtsangleichung.
       
       Nun regieren Grüne und FDP und setzen um, wovor Sie warnten.
       
       Eine Reform des Transsexuellengesetzes finde ich nicht grundsätzlich
       verkehrt. Nur sollte man das Gesetz nicht durch ein Selbstbestimmungsgesetz
       ersetzen. Das hilft den Betroffenen nicht. Geplant ist ja, dass das ab 14
       Jahren gilt. Das wird auch zu Zerwürfnissen in Familien führen, weil
       mancher Teenager das dann gegen den Willen seiner Eltern durchsetzt.
       
       Es hat doch auch Familien zerrüttet, wenn Kinder ihr schwules oder
       lesbisches Coming-out hatten. Und da sagen wir als Emanzipationswillige
       immer: Tja, dann ist die Familie an der Stelle eben ein bisschen zerrüttet,
       da müssen die Eltern durch. 
       
       Ja, einverstanden. Wobei es hier um etwas anderes geht. Schwule und Lesben
       wollen von Ärzten und Therapeuten vor allem eines: in Ruhe gelassen werden.
       Transsexuelle hingegen wünschen eine aufwendige und folgenreiche
       medizinische Behandlung – mit irreversiblen, lebenslangen Konsequenzen. Und
       das wäre bei einer nur vorübergehenden Geschlechtsidentitätsverwirrung eine
       fatale Fehlentscheidung!
       
       Wurde so nicht früher auch über Homosexualität geredet? Es ist „nur eine
       Phase“? 
       
       Ich wüsste nicht, dass dies so gewesen sei.
       
       Doch, so wurde sie begriffen. 
       
       Jedenfalls: Die vielfach bemühte Analogie „trans – Homosexualität“ trägt
       nicht. Es handelt sich um völlig verschiedene Dinge. Früher, im Zuge der
       Emanzipation von Homosexuellen, ging es darum, den eigenen Spielraum, das
       eigene sexuelle Erlebens- und Verhaltensspektrum zu erweitern und sich von
       tradierten Normen zu befreien. Heutzutage besteht für Angehörige der jungen
       Generation die Herausforderung eher darin, sich im Dienste der
       Selbstwahrnehmung und -konturierung zu begrenzen.
       
       Inwiefern? 
       
       Es geht darum, sich nicht von einer phasenweise bestehenden Verunsicherung
       in die Irre leiten zu lassen.
       
       Warum ist die Debatte so emotional? 
       
       Das war im Zusammenhang mit „dem Sexuellen“ eigentlich immer so – dafür
       gibt es vielfältige Belege. Anders gefragt: Wird heutzutage nicht beinahe
       jede Debatte höchst emotional und nicht selten ohne Berücksichtigung der
       Fakten geführt? In besonderer Weise gilt das im Zusammenhang mit
       Identitätspolitik – und die ganze Transdiskussion fällt darunter.
       
       Sind Sie auch Familienvater? 
       
       Ich habe zwar einige viele homosexuelle Freunde, aber ich bin ein
       Heteromann. Und ich habe zwei Töchter im Alter von vier und acht.
       
       Sind es rosa liebende Prinzessinnen? 
       
       Die sind, wie die meisten Mädchen so sind – mädchenhaft. Wobei meine Ältere
       Fußball spielt und den Jungs davonläuft. Sie ist unglaublich schnell, sagt
       der stolze Vater. Und zu Fasching wechselte sie jüngst ihre Verkleidung
       problemlos zwischen „Pippi Langstrumpf“, „Einhorn“ und „Polizist“ hin und
       her.
       
       Kurzum: Sie halten nichts davon, dass jeder sein Geschlecht selbst
       bestimmen kann? 
       
       Mir fehlt hier die Unterscheidung zwischen Zugehörigkeitsgefühl und
       biologischen Geschlecht. Das sind zwei Paar Schuhe. Kann ein Jugendlicher
       ab 14 seinen Geschlechtseintrag ändern, dann denkt er: Okay, jetzt muss ich
       diesen transsexuellen Weg weiter gehen. Die selbstkritische Überprüfung
       wird nicht befördert, da gebe ich Brief und Siegel darauf: Du fühlst dich
       vom anderen Geschlecht, dann wird es so sein. Also meine Prognose: Das
       Gesetz kommt und bleibt nicht folgenlos für die medizinische
       Behandlungspraxis.
       
       Was schlagen Sie vor? 
       
       Jeder sollte sich so kategorisieren, wie es ihm passt. Aber dafür muss er
       nicht den juristischen Eintrag ändern. Biologisches Geschlecht ist was
       anderes als Gender. Und Gender, das soziale Geschlecht, ist noch mal was
       anderes als Gender Identity. Es geht wild durcheinander. Da befürchte ich
       Beliebigkeit.
       
       Es gibt in der Trans-Szene die Auffassung, es gäbe ganz viele Geschlechter? 
       
       Das ist aus naturwissenschaftlicher Perspektive Quatsch. Dem ist nicht so.
       Geschlecht im biologischen Sinn unterliegt definitiv dieser Binarität: Es
       gibt ein männliches und ein weibliches, [13][weil es nur zwei Typen von
       Keimzellen gibt], zwei ‚Gametentypen‘. Und dieser Dimorphismus ist die
       Grundlage allen Lebens, auch im Pflanzen- und Tierreich. Die Mechanismen,
       mit denen ein Organismus die jeweiligen Keimzellen produziert, die sind
       durchaus störanfällig. Deshalb gibt es sogenannte Intersex-Formen. Die sind
       aber kein Beleg dafür, dass es mehrere Geschlechter gibt.
       
       Wählen Sie weiter die Grünen? 
       
       Beim letzten Mal, wegen dieser Gender-Politik, nicht. Ich bedauerte das
       trotzdem, ich bin einfach grün sozialisiert, und meine politische Heimat
       ist die Umweltschutzbewegung.
       
       2 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.transgendertrend.com/wp-content/uploads/2020/11/English-NBHW-report-002.pdf
 (DIR) [2] https://www.science.org/content/article/new-paper-ignites-storm-over-whether-teens-experience-rapid-onset-transgender-identity
 (DIR) [3] /Psychoanalytikerin-ueber-Geschlecht/!5487466
 (DIR) [4] https://www.researchgate.net/publication/5657572_A_Follow-Up_Study_of_Girls_With_Gender_Identity_Disorder
 (DIR) [5] https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyt.2021.632784/full
 (DIR) [6] https://segm.org/Sweden_ends_use_of_Dutch_protocol
 (DIR) [7] https://www.spiegel.de/panorama/geschlechtsumwandlungen-macht-doch-endlich-sonst-bringe-ich-mich-um-a-00000000-0002-0001-0000-000161911783
 (DIR) [8] https://www.washingtonpost.com/outlook/2021/11/24/trans-kids-therapy-psychologist/
 (DIR) [9] https://www.forschung.sexualaufklaerung.de/fileadmin/fileadmin-forschung/pdf/Jugendendbericht%2001022016%20.pdf
 (DIR) [10] https://www.zhb.uni-luebeck.de/epubs/ediss675.pdf
 (DIR) [11] https://www.statsforgender.org/detransition/
 (DIR) [12] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0016885
 (DIR) [13] https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-0978-7137
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
 (DIR) Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Trans-Community
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA-Community
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
 (DIR) GNS
 (DIR) Kolumne Unisex
 (DIR) Trans Serie
 (DIR) Transgender
 (DIR) Humboldt-Universität
 (DIR) Kolumne Unisex
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
 (DIR) IG
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Transgender in jungen Jahren: Geschlecht? Ein klein bisschen egal
       
       Die Gender-Transition ist nie einfach. Gerade Jugendlichen wird sie oft
       behördlich erschwert. Doch Luka (19) und Laura (14) sind guter Dinge.
       
 (DIR) Geplantes Selbstbestimmungsgesetz: Leichtes Ziel für Konservative
       
       Das Selbstbestimmungsgesetz geht zu weit. Es wird nicht zu einer breiteren
       Akzeptanz von trans Menschen führen, sondern die Kritik befeuern.
       
 (DIR) Londoner Gender-Klinik wird geschlossen: Umgang mit Kindern „ungenügend“
       
       Die Gender-Abteilung der Tavistock-Klinik muss schließen. Eine Untersuchung
       wies Englands einziger solcher Einrichtung schwere Mängel nach.
       
 (DIR) Absage eines Uni-Vortrags in Berlin: Die große Heuchelei
       
       Die HU hat einen Vortrag wegen angekündigter Proteste abgesagt. Ernsthaft?
       Dann können wir die Meinungsfreiheit gleich aus dem Grundgesetz streichen.
       
 (DIR) Coming-Out: Draußen, Drinnen und die Tür
       
       Die queere Teenie-RomCom „Heartstopper“ beschäftigt sich mit dem
       Coming-Out. Das tut sie mit viel Verständnis für das Drinnen und Draußen.
       
 (DIR) Feminismus bei Trans-Kämpfen: Selbstverständlich unsere Sache
       
       Die Bewegung für geschlechtliche Selbstbestimmung ist Teil des Feminismus.
       Es geht ihr um dieselben Anliegen. Körperliche Integrität zum Beispiel.
       
 (DIR) Anne Spiegel über Ampelpläne: „Eine Frage der Haltung“
       
       Die neue Familienministerin will zuerst Paragraf 219a und das
       Transsexuellengesetz abschaffen. Sie trete nicht an, um einen
       Beliebtheitspreis zu gewinnen.
       
 (DIR) Transgender Kinder und Jugendliche: Eine Welt voller Hürden
       
       Eine Transition in jungen Jahren ist schwierig. Denn Medizin, Bürokratie
       und Gesellschaft erschweren den Prozess – vorgeblich zum Schutz der Kinder.
       
 (DIR) Nachruf auf Sophinette Becker: „Wir sind nicht fluide“
       
       Die Psychotherapeutin wirkte mehrere Jahre am Frankfurter Institut für
       Sexualwissenschaft. Später leitete sie die Sexualmedizinische Ambulanz.