# taz.de -- Gasförderung im Wattenmeer: Minister verwirft Öko-Bedenken
       
       > Das Unternehmen ONE-Dyas will bei Borkum Erdgas fördern. Das
       > Wirtschaftsministerium in Hannover findet das am Rande des Nationalparks
       > vertretbar.
       
 (IMG) Bild: Würde über Jahrzehnte in der Nordsee stehen: Plattform zur Gasförderung
       
       OSNABRÜCK taz | Mit manchen Worten ist es seltsam: Jahrelang hören wir sie
       überall, zu jeder Gelegenheit, und plötzlich wird es so still um sie, als
       habe es sie nie gegeben. Das Wort „Klimakrise“ ist so eines. Nun hat ein
       neue Krise unser Denken und Handeln okkupiert: Russlands Angriffskrieg in
       der Ukraine. Sie weckt viele Ängste. Eine der konkretesten ist die Angst
       vor einer Energieknappheit.
       
       Dazu passt das Vorhaben des niederländischen Unternehmens ONE-Dyas, [1][20
       Kilometer nördlich von Borkum Erdgas] zu fördern, im
       deutsch-niederländischen Grenzgebiet, unmittelbar am Nationalpark
       Niedersächsisches Wattenmeer, zugleich Unesco-Biosphärenreservat und Teil
       des Unesco-Weltnaturerbes.
       
       Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) und der CEO von
       ONE-Dyas, Chris de Ruyter van Steveninck, haben dazu in Hannover den Stand
       einer gemeinsamen Erklärung vorgestellt, die dem Landeskabinett vorgelegt
       werden soll. Es geht um die Plattform N05-A, ausgelegt [2][für
       jahrzehntelange Förderung]. Die Bohrung wird auf niederländischem Gebiet
       niedergebracht, allerdings auch auf deutsches Gebiet umgelenkt. 60
       Milliarden Kubikmeter Gas vermutet das Unternehmen insgesamt im
       Meeresboden.
       
       Man habe, blieb Althusmann vage, „einen Weg gefunden, der dem nationalen
       Interesse des Vorhabens mit Blick auf die Sicherheit der Energieversorgung
       gerecht wird und gleichzeitig die Belange vor Ort über das rechtliche Maß
       hinaus berücksichtigt“. Das auf deutscher Seite gewonnene Gas solle dem
       deutschen Markt zufließen, die Gewinnung aus dem deutschen Fördergebiet
       „nur so lange möglich sein, wie der Bedarf nach Erdgas in Deutschland
       besteht“. Umwelt- und Klimaschutzaspekte seien „berücksichtigt“.
       
       „Teil der Energiewende sollte es sein“, sagte Chris de Ruyter van
       Steveninck, „sicherzustellen, dass das von uns verwendete Erdgas so
       umweltfreundlich, bezahlbar und zuverlässig wie möglich ist.“ Auch das
       bleibt vage.
       
       ## Ein Minister sagt dies, der andere das
       
       Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) kann das nicht gefallen.
       Anfang Juni 2021 hatte er zu dem Projekt noch gesagt: „Ich lehne [3][dieses
       Vorhaben am Rand unseres Nationalparks ‚Niedersächsisches Wattenmeer‘
       strikt ab.“] Aber seither hat sich die Welt verändert.
       
       „Im Windschatten des Ukrainekriegs ereignet sich hier ein Rückfall ins
       fossile Zeitalter“, sagt Hans-Ulrich Rösner, Leiter des Wattenmeerbüros des
       WWF Deutschland. „Das ist der völlig falsche Weg. Wir müssen alles tun, um
       die erneuerbaren Energien zu fördern.“ Der Krieg in der Ukraine, der Wunsch
       nach Energieversorgungssicherheit, dürfe nicht gegen den Natur- und
       Klimaschutz aufgerechnet werden.
       
       Das Projekt von ONE-Dyas sei „brandgefährlich“ für den fragilen Naturraum
       Watt. Als Engpass-Überbrückung tauge es ohnehin nicht: „Die Förderung vor
       Borkum würde ja frühestens 2024 oder 2025 beginnen, womöglich noch später.
       Und dann stehen da gewaltige Strukturen im Watt, die noch über Jahrzehnte
       die Klimabilanz belasten.“
       
       Tanja Schlampp von der Initiative Wattenmeer-Schutz Cuxhaven sieht das
       genauso: „Was da geschehen soll, ist fatal. Nicht jeder Zweck heiligt jedes
       Mittel.“ Der Druck auf das Wattenmeer sei ohnehin schon groß, auch durch
       den Bau neuer Windkraftanlagen: „Wenn wir nicht aufpassen, haben wir da
       draußen bald ein Industriegebiet.“
       
       ## „Dinosaurier-Technologie“ im Watt
       
       Vor allem die Absenkung des Meeresbodens durch die Gasentnahme sei
       gefährlich: „Dadurch nimmt ja die Hochwassergefahr zu. Und gegen die
       brauchen wir dann wieder höhere Deiche. Der eine Eingriff zieht den
       nächsten nach sich. So ein Unsinn“, sagt Schlampp.
       
       „Wir sind an einem Kipp-Punkt“, bestätigt Meeresbiologin Sandra Schöttner,
       Leiterin des Meeresschutzteams von Greenpeace Deutschland. „Wir müssen
       entscheidende Schritte in Richtung Energiewende gehen, nicht
       rückwärtsgewandt auf Dinosaurier-Technologie setzen.“ Sie sieht die
       Förderung vor Borkum als „unverantwortliche aktivistische Strategie, die
       langfristig nicht tragfähig ist“.
       
       Das Watt sei ein einmaliges Ökosystem, und schon der Bau und Normalbetrieb
       einer solchen Plattform sei „nicht naturverträglich“. Die industrielle
       [4][Nutzung von Meeresschutzgebieten] sei in Deutschland „leider
       systemisch, vom Fischfang bis zur Entnahme von Sand und Kies, Öl und Gas“.
       
       Minister Althusmann wies solche Bedenken zurück: „Die
       umweltschutzfachlichen Verfahren, sowohl auf niedersächsischer Seite als
       auch auf niederländischer Seite, kommen derzeit nach meiner Einschätzung zu
       dem Schluss, dass keine Umweltgefährdung besteht.“
       
       21 Apr 2022
       
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