# taz.de -- Protest gegen Gasbohrungen vor Borkum: Greenpeace steigt Landtag aufs Dach
       
       > Der Streit um Gasbohrungen vor der Nordsee-Insel Borkum spitzt sich zu.
       > Greenpeace macht Niedersachsens Umweltminister Vorwürfe.
       
 (IMG) Bild: Von sechs bis zwölf Uhr hielten sich die Aktivisten auf dem Dach – während drinnen das Parlament tagte
       
       HANNOVER taz | Es ist schon ein spezieller Anblick, wenn ein SEK-Team in
       voller Montur durchs Foyer des niedersächsischen Landtages stiefelt. Doch
       die meisten Abgeordneten bekamen davon nichts mit, weil sich das in ihrem
       Rücken abspielte, während sich die Blicke aufs Rednerpult richteten. Grund
       für den Einsatz in Hannover: eine spektakuläre Protestaktion von
       Greenpeace, die sich gegen [1][die geplante Gasförderung in der Nordsee vor
       Borkum richtete.]
       
       Die Umweltschützer waren am frühen Mittwochmorgen, um kurz vor sechs Uhr
       auf das Dach des Landtags gelangt. Mit zwei Hubsteigern und mehreren
       Kletterern brachten sie vor den Fenstern des Plenarsaales und [2][rund um
       das Landtagsgebäude bis hin zum Eingang riesige, gelb-schwarze Banner an.]
       Außerdem postierten sich mehrere Aktivisten mit Bildern eines bedrohten
       Steinriffs vor dem Eingang.
       
       Die Polizei war schnell vor Ort, beschränkte sich aber zunächst darauf, den
       Eingang zum Landtag freizumachen und mit den Aktivisten in Verhandlung zu
       gehen. Als das Parlament um neun Uhr pünktlich seine Arbeit aufnahm, war
       das Dach immer noch besetzt. Es sollte bis mittags dauern, bis alle
       Protestierenden und Banner abgeräumt waren.
       
       Das sorgte im Saal für eine lautstarke Kontroverse: Vor allem AfD und CDU
       pochten darauf, dass die Würde und Sicherheit des Hauses hier gefährdet
       seien und unbeeinflusste Beratungen nicht möglich. Was sie besonders
       erboste: Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hatte nicht nur – wie sonst
       üblich – draußen mit den Aktivisten das Gespräch gesucht, sondern zwei von
       ihnen auf einen Kaffee ins Foyer gebeten.
       
       ## Gasfeld liegt in unmittelbarer Nähe zum Wattenmeer
       
       Ein fatales Signal angesichts des offensichtlichen Hausfriedensbruchs, fand
       die Opposition und forderte eine Sitzungsunterbrechung, bis die Polizei die
       Ordnung wieder hergestellt habe. Lies entschuldigte sich später in einer
       persönlichen Erklärung für die Aktion.
       
       Was in dem Tumult fast unterging, war das inhaltliche Anliegen der
       Umweltschützer. Schon in der vergangenen Woche war Greenpeace den
       Umweltminister Christian Meyer (Grüne) hart angegangen. Die Umweltschützer
       warfen seinem Ministerium vor, ein Gutachten unterschlagen zu haben, mit
       dem das laufende Genehmigungsverfahren für Gasbohrungen in der Nähe von
       Borkum sofort auszuhebeln wäre.
       
       Das sei absurd, erklärte Meyer, der auch am Mittwoch zu den ersten gehörte,
       die das Gespräch mit den Aktivisten suchten. Die Grünen hatten sich von
       Anfang an gegen die geplante Gasförderung in der Nordsee ausgesprochen.
       
       Das Projekt des niederländischen Konzerns One-Dyas hat eine lange
       Vorgeschichte, die von mehreren politischen Kehrtwenden geprägt ist. Der
       Konzern plant, ein Gasfeld zu erschließen, dass zum Teil auf
       niederländischen, aber auch auf deutschem Gebiet liegt – und zwar in
       unmittelbarer Nähe zum Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer. Noch 2021 war der
       niedersächsische Landtag kurz davor, die Öl- und Gasförderung dort komplett
       zu untersagen. Dann kam der Ukraine-Krieg und die dadurch ausgelöste
       Energiekrise.
       
       One-Dyas nutzte die Chance und drängte beim Wirtschaftsminister, der damals
       noch Bernd Althusmann (CDU) hieß, auf eine rasche Genehmigung. Die
       rot-schwarze Landesregierung einigte sich mit dem Konzern und leitete ein
       entsprechendes Verfahren ein – zum Entsetzen der damals noch
       oppositionellen Grünen, der Umweltverbände und auch des Bürgermeisters von
       Borkum.
       
       [3][Umweltschützer und Kommunalpolitiker zogen daraufhin alle Register,] um
       eine Genehmigung zu verhindern. In der vergangenen Woche erlangten sie
       zumindest einen Teilerfolg: [4][Ein niederländisches Gericht stoppte im
       Eilverfahren die vorbereitenden Arbeiten] für die Errichtung einer
       Förderplattform und die Verlegung von Kabeln. Zumindest bis das
       Hauptsache-Verfahren vor Gericht entschieden ist, was frühestens im
       September geschehen kann.
       
       Das betrifft nun zunächst einmal die niederländische Seite, auf deutscher
       Seite läuft das Genehmigungsverfahren noch – es gibt also noch keinen
       Beschluss, gegen den man klagen könnte.
       
       ## Ökologisch wertvolles Steinriff bei Borkum
       
       Kernstück dieses Verfahrens vor dem Gericht in Den Haag war aber schon ein
       ökologisch wertvolles Steinriff bei Borkum. In den Augen von Greenpeace ist
       allein dies Grund genug, eine Genehmigung zu versagen, weil sich hier
       zahlreiche gefährdete Arten tummeln, wie ein Gutachten des
       Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und
       Naturschutz (NLWKN) beweist.
       
       Das NLWKN untersteht dem Umweltministerium. [5][Das Gutachten liegt dort
       seit 2021 vor.] Im laufenden Genehmigungsverfahren, in dem das
       Umweltministerium und das NLWKN angehört werden müssen, [6][habe es aber
       seltsamerweise keine Rolle gespielt, sagt Greenpeace.]
       
       Das Bohrprojekt sei auch so aus Sicht des Umweltministeriums nicht
       genehmigungsfähig, lässt Meyer erklären. Die Vorstellung, ausgerechnet er
       würde Gutachten zurückhalten, sei doch „absurd“. Man habe hingegen immer
       wieder auf die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen geschützter Biotope
       und aktueller Meeresbodenkartierungen hingewiesen.
       
       Wirtschaftsminister Lies pocht derweil darauf, dass das
       Genehmigungsverfahren im ihm unterstellten Landesamt für Bergbau, Energie
       und Geologie genau festgelegten Regeln unterliege und nicht Gegenstand
       politischer Weisungen wäre. Greenpeace bezweifelt das.
       
       3 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.greenpeace.de/klimaschutz/energiewende/gasausstieg/kein-neues-gas
 (DIR) [2] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Greenpeace-Aktion-Spezialkraefte-raeumen-Dach-von-Landtag,greenpeace750.html
 (DIR) [3] /Umweltverbaende-ziehen-vor-Gericht/!5868789
 (DIR) [4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Gericht-stoppt-Gasbohrung-vor-Borkum-vorerst,borkum688.html
 (DIR) [5] https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/publikationen/natur_landschaft/publikationen-natur-landschaft-8855.html
 (DIR) [6] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Gasbohrung-vor-Borkum-Vorwuerfe-gegen-Umweltministerium,hallonds79990.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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