# taz.de -- Prozess gegen Osman Kavala in der Türkei: Letzte Runde vor dem Urteil
       
       > Nächste Woche soll ein Urteil gegen Osman Kavala fallen. In einem
       > politischen Prozess wird ihm Unterstützung des Putschversuchs
       > vorgeworfen.
       
 (IMG) Bild: Osman Kavala, undatiertes Archivfoto
       
       ISTANBUL taz | In Istanbul ist am Freitag einer der international am
       meisten beachteten politischen Prozesse der Türkei in die letzte Runde
       gegangen. Angeklagt sind der Kulturmäzen [1][Osman Kavala] und sieben
       weitere BürgerrechtlerInnen, denen vorgeworfen wird, dass sie die Regierung
       stürzen wollten. Osman Kavala wird darüber hinaus noch Spionage
       vorgeworfen. Alle Angeklagten bestreiten die Vorwürfe kategorisch.
       
       Der Vorwurf, einen Staatsstreich versucht zu haben, geht auf die
       sogenannten [2][Gezi-Proteste] im Sommer 2013 zurück. Damals hatte eine
       Bürgerinitiative dagegen protestiert, dass einer der letzten Parks in der
       Istanbuler Innenstadt, eben der Gezi-Park, abgeholzt und mit einem
       Einkaufszentrum bebaut werden sollte. Aus diesen lokalen Demonstrationen
       hatte sich ein landesweiter Protest gegen die Regierung Erdoğan entwickelt,
       der damals noch Ministerpräsident war.
       
       Kavala, ein reicher Erbe, der sein Geld in eine Kulturstiftung investiert
       hat, die vor allem für eine Versöhnung zwischen Armeniern, Griechen und
       Türken eintritt, soll die Gezi-Proteste auf Anweisung aus dem Ausland
       finanziert haben (er wird als Handlanger des US-Milliardärs Soros
       denunziert), die anderen Angeklagten sind Mitglieder der Bürgerinitiative
       gegen die Abholzung des Gezi-Parks.
       
       Als einziger Angeklagter sitzt Osman Kavala seit nunmehr viereinhalb Jahren
       in Untersuchungshaft. Wie schon bei vorangegangenen Prozessen gegen Kavala
       und einen Teil der jetzt erneut Angeklagten konnte die Staatsanwaltschaft
       auch bei ihren Abschlussplädoyers im aktuellen Verfahren keinerlei Beweise
       für ihre Behauptungen vorbringen. Das hatte selbst ein türkisches Gericht
       schon festgestellt und Kavala im Februar 2020 wegen Mangels an Beweisen
       [3][freigesprochen].
       
       ## Türkei missachtet Europäischen Gerichtshof
       
       Wie sehr dieser Prozess politisch motiviert ist, zeigte sich im Anschluss
       an den Freispruch. Erdoğan persönlich sorgte dafür, dass die
       Staatsanwaltschaft Kavala unverzüglich erneut anklagte und ihn direkt
       wieder festnehmen ließ, dieses Mal wegen seiner [4][angeblichen Beteiligung
       an dem Putschversuch der Armee 2016]. Auf politischen Druck wurde das
       Urteil über seine Freilassung von einer höheren Instanz kassiert und gegen
       die Richter der ersten Instanz selbst Verfahren eingeleitet.
       
       Schon 2020 hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg
       einer Beschwerde Kavalas stattgegeben und seine Freilassung aus der U-Haft
       gefordert. Doch in Abstimmung mit der Regierung weigert sich die Justiz,
       das Straßburger Urteil zu vollziehen.
       
       Im letzten Jahr appellierten daraufhin [5][zehn westliche Botschafter] in
       Ankara, darunter der deutsche, amerikanische und französische Botschafter,
       Kavala freizulassen. Erdoğan drohte daraufhin damit, die zehn
       BotschafterInnen zu [6][unerwünschten Personen] erklären zu lassen, was er
       erst [7][zurücknahm], als die größten Länder einen Rückzieher machten.
       
       Mittlerweile droht der Europarat mit einem Ausschluss der Türkei, wenn
       diese den Gerichtshof weiterhin missachtet.
       
       Die Hartnäckigkeit, mit der Kavala verfolgt wird, erklären die meisten
       Beobachter damit, dass Erdoğan glaubt, durch Kavala eine ausländische
       Steuerung der Gezi-Proteste beweisen zu können. Am Freitag kamen die
       Angeklagten und ihre Anwälte noch einmal zu Wort, am Montag soll das Urteil
       verkündet werden.
       
       24 Apr 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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