# taz.de -- Fahrraddiebstahl in Berlin: Auf Ebay verhökert
       
       > Mehr als 25.000 Fahrräder wurden 2021 bei der Berliner Polizei als
       > gestohlen gemeldet. Die Chancen, dass sie wieder auftauchen, sind gering.
       
 (IMG) Bild: So sieht's aus: klägliches Überbleibsel eines Berliner Fahrrads
       
       BERLIN taz | Manchmal passieren einem Dinge in Berlin, die dürften gar
       nicht passieren. Dem Autor dieses Textes etwa: Vor ein paar Wochen, der
       Frühling war schon da, parkte er sein Fahrrad am Sonntag vor einer
       Brunch-Location im [1][Neuköllner Schillerkiez]. Weil kein Laternenmast
       mehr frei, der Blick aus dem Café aber unverstellt war, schloss er es nicht
       an, sondern nur ab. Und vergaß es – denn die Gruppe, mit der er sich traf,
       machte sich anschließend zu Fuß auf den Weg.
       
       Als ihm der Verbleib des Rads zwei Tage später siedend heiß einfiel, machte
       er sich hoffnungslos und niedergeschlagen auf den Weg, den Tatort zu
       sichten. Und verstand die Welt nicht mehr, als das treue, alte Gefährt an
       Ort und Stelle auf ihn wartete.
       
       Eine solche Antipointe funktioniert nicht nur, aber besonders gut in
       Berlin. Denn Fahrraddiebstahl ist eine Pest in der Hauptstadt, von der kaum
       jemand verschont bleibt – auch der glückliche Autor hat schon mehrere
       Exemplare auf diese Weise verloren. In einer Stadt, die sich ganz groß
       das Wort [2][„Verkehrswende“] auf die Fahnen geschrieben hat, ist das
       alles andere als ein triviales Problem, das vielen die Freude am Radfahren
       vergällt und individuelle Mobilitätsentscheidungen untergräbt.
       
       Wovon reden wir? Um genau zu sein: von 25.438 Fahrrädern, die 2021 bei der
       Berliner Polizei als gestohlen gemeldet wurden. Macht im Durchschnitt knapp
       70 Velos an jedem einzelnen Tag. Seit vergangenem September veröffentlicht
       die Polizei die täglich aufgenommenen Anzeigen als „Open Data“, eine schier
       endlose Tabelle von Damen-, Herren-, Kinderfahrrädern mit geschätztem Wert
       zwischen ein paar hundert und mehreren tausend Euro.
       
       ## Dunkelziffer: kleiner als gedacht
       
       Das sind, wohlgemerkt, nur die gemeldeten Fälle. Wobei Daniel Knöpke,
       Polizeihauptkommissar im Friedrichshainer Abschnitt 51, davon ausgeht, dass
       die Dunkelziffer kleiner ist als gemeinhin angenommen. Der Trend gehe klar
       hin zu hochwertigeren Rädern, und für diese schlössen die meisten
       KäuferInnen eine Versicherung ab, so Knöpke, der sich auf das Thema
       spezialisiert hat. Die aber zahle ohne polizeiliches Aktenzeichen nicht.
       
       Der Kommissar weiß noch einiges mehr, was manche vielleicht überraschen
       wird: Seit 2016 ist der Fahrradklau berlinweit rückläufig – damals waren
       noch 34.418 Fälle angezeigt worden. Und auch das Narrativ vom Transporter,
       der bei Nacht und Nebel Velos vom Straßenrand sammelt, scheint eher ein
       urbaner Mythos zu sein: „Wir haben keine belastbaren Hinweise, dass viele
       Räder von Banden mit einer organisierten Struktur gestohlen werden“, so
       Knöpke zur taz. „Dass uns wie kürzlich polnische Kollegen über den Fund
       mehrerer Lastenräder informieren, von denen eins bei uns registriert ist,
       das kommt schon mal vor. Aber es sind Einzelfälle.“
       
       Trotz des beobachteten Rückgangs bleiben die Fallzahlen natürlich enorm
       hoch. In Knöpkes Abschnitt meldeten im vergangenen Jahr 1.286 frustrierte
       RadlerInnen den Diebstahl ihres Gefährts. Rechnerisch werden am Ende nur um
       die 60 davon ihr Gefährt wiederbekommen – die berlinweite Aufklärungsquote
       lag 2021 bei dürren 4,6 Prozent. Immerhin, so Daniel Knöpke, sei das noch
       die zweitbeste Quote in den vergangenen zehn Jahren.
       
       Knöpke wiederholt das alte Mantra von Polizei und ADFC: Lasst eure Räder
       registrieren! Bei der kostenlosen Prozedur werden die Rahmennummer und
       andere Erkennungsmerkmale der rechtmäßigen BesitzerIn zugewiesen, was die
       Fahndung enorm erleichtert. Die Vorstellung, dass die in den Rahmen
       eingravierte Nummer vom Dieb sowieso gleich weggeflext wird, führt dabei in
       die Irre: So oft komme das nicht vor, sagt Knöpke, denn der Umschlag sei
       enorm hoch. „Viele Täter versuchen, das Rad in kürzester Zeit wieder
       loszuwerden, solange die Fahndung noch nicht läuft, für 50 Euro im Park
       oder auf Ebay.“
       
       Aber selbst wenn sich das Rad nicht (mehr) so eindeutig identifizieren
       lässt, bedeutet das nicht, dass es definitiv verloren ist, solange es
       irgendwann einmal als Diebesgut bei der Polizei landet. „Wir stellen
       regelmäßig Fotos dieser Räder auf unsere Internetseite“, so Knöpke. Immer
       wieder meldeten sich dann „Leute, die sagen: ‚Das ist meins, ich erkenne es
       an dem verbogenen Schutzblech oder an dieser besonderen Gangschaltung.‘
       Wenn sie das glaubwürdig vorbringen können, steht einer Aushändigung nichts
       entgegen.“
       
       ## Wiedersehen auf Ebay
       
       Dass auch Ebay eine Fundgrube ist, wissen viele Bestohlene längst. Es komme
       „locker einmal pro Woche“ vor, dass ein Anrufer sich beim Abschnitt melde,
       weil er sein eigenes Rad als vermeintliches Schnäppchen auf der Plattform
       entdeckt hat, erzählt der Kommissar. „Oft hat er dann selbst schon Kontakt
       zum Anbieter aufgenommen und einen Kauf verabredet. Dann können wir
       dazukommen und uns den Verkäufer anschauen – ist er möglicherweise der Dieb
       oder ein Hehler? Oder hat er es vielleicht nur gefunden?“
       
       Überall in Berlin befassen sich einzelne PolizistInnen mit
       Fahrraddiebstählen, eine landesweite „Soko“, wie sie etwa der [3][ADFC]
       seit Jahren fordert, gibt es dagegen nicht. Allerdings bestätigt die
       Pressestelle der Polizei ältere Presseberichte, nach denen die Behörde ein
       „Lockrad“ einsetze, um Diebe zu überführen. Mit detaillierten Aussagen dazu
       hält sich die Polizei zurück, nur in Bezug auf die Direktion 5 – zuständig
       für Friedrichshain-Kreuzberg sowie Teile von Mitte und Neukölln – teilt sie
       mit, dass das präparierte Rad 2021 „im Rahmen von 35 Einsätzen verwendet“
       worden sei. „Dabei kam es zu zwei Festnahmen.“ Bei einem solchen Verhältnis
       möglicherweise keine allzu vielversprechende Ermittlungstechnik.
       
       Ist der Fahrradklau für die Politik ein vorrangiges Problem? Im aktuellen
       Koalitionsvertrag vom Dezember 2021 heißt es interessanterweise: „Die
       gemeinsame Strategie von Polizei und Justiz zur Bekämpfung des
       Fahrraddiebstahls im Kontext organisierte Kriminalität wird fortgesetzt und
       intensiviert.“ Auf Nachfrage teilt eine Sprecherin der Justizverwaltung
       mit, eine OK-Abteilung [organisierte Kriminalität] der Staatsanwaltschaft
       solle künftig „geeignete Verfahren mit Anhaltspunkten für eine
       gewerbsmäßige oder bandenmäßige Begehung“ durchführen.
       
       In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, „dass es immer wieder
       bandenmäßige Hehlerstrukturen gibt, über die gestohlene Räder in größeren
       Mengen konzentriert an Sammelpunkten angekauft werden“, so die Sprecherin.
       Das kontrastiert mit der Aussage von Polizeihauptkommissar Knöpke,
       demzufolge professionell agierende Strukturen eben kein Muster seien, dem
       man allzu häufig begegne. Vielmehr trete Fahrraddiebstahl oft als eine Form
       der Beschaffungskriminalität auf.
       
       Wie auch immer: Der polizeiliche und juristische Kampf gegen den
       Fahrraddiebstahl als Massendelikt braucht offenbar einen langen Atem. Das
       andere vielversprechende Mittel ist, potenziellen Dieben die Arbeit durch
       sichere Abstellmöglichkeiten zu erschweren. Von denen gibt es in der Stadt
       immer noch viel zu wenige, wobei die Senatsverwaltung für Mobilität die
       Notwendigkeit längst erkannt hat. „Der Wechsel vom Fahrrad auf den ÖPNV
       (Bike & Ride) wird nur dann gut funktionieren, wenn auch das sichere
       Abstellen hinreichend gewährleistet ist“, so Sprecher Jan Thomsen.
       
       Im Grunde steht schon alles im zentralen Berliner Radverkehrsplan: mehr
       sichere Fahrradabstellanlagen etwa sowie der Bau von Fahrradparkhäusern,
       die alle mit einem einheitlichen „Buchungs-, Zutritts- und
       Abrechnungssystem“ ausgestattet werden sollen. An Umstiegsstellen zum
       [4][ÖPNV] soll mindestens jeder fünfte Fahrradplatz entsprechend gesichert
       sein.
       
       ## Bügel und Boxen
       
       Den Bezirken hilft der Senat seit 2017 mit einem Förderprogramm bei der
       Errichtung von Fahrradbügeln. Bis 2020 seien immerhin schon knapp 19.000
       Stellplätze entstanden, wie Sprecher Thomsen sagt. Über die Anzahl
       „diebstahlsicherer Abstellmöglichkeiten wie Fahrradboxen“ lägen der
       Senatsverwaltung dagegen „keine gesammelten Informationen vor“.
       
       Bei den Fahrradboxen geht immerhin ein Bezirk – mit Förderung durch die
       Senatsverwaltung – als leuchtendes Beispiel voran: Im Klausenerplatz-Kiez
       in Charlottenburg-Wilmersdorf stehen seit Ende 2021 elf davon, meist auf
       ehemaligen Kfz-Stellplätzen am Straßenrand. Die von der Form an einen
       aufklappbaren Brotkasten erinnernden, abschließbaren Boxen enthalten
       Bügel-Stellplätze für sechs bis acht Fahrräder, sie können von
       AnwohnerInnen für ein paar Euro im Monat gemietet werden. In anderen
       Metropolen, etwa London, gibt es ähnliche Anlagen schon lange.
       
       Das Echo sei hervorragend, sagt Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger
       (Grüne) zur taz, alle Plätze seien vermietet, und es kämen immer wieder
       Anfragen nach einer Ausweitung des Projekts – schon weil viele Wohnhäuser
       im Kiez nicht über ausreichende Flächen innerhalb des Grundstücks
       verfügten.
       
       Ohne weitere Fördermittel vom Land sei allerdings eine Ausweitung nicht
       möglich, so Schruoffeneger, die Mieteinnahmen deckten lediglich die
       Verwaltungs- und Wartungskosten. Seine Behörde signalisiere Interessenten,
       dass sie, so sie den Bau selbst finanzierten, mit einer
       Sondernutzungsgenehmigung des Straßenraums rechnen könnten. „Da kam dann
       aber meist nichts mehr“, sagt der Stadtrat.
       
       Vielleicht lässt es sich auf Dauer auch nicht vermitteln, dass die
       RadlerInnen selbst für die Sicherheit ihrer umweltfreundlichen
       Fortbewegungsmittel zahlen.
       
       17 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Immobilienanzeige-fuer-den-Schillerkiez/!5290567
 (DIR) [2] /Volksbegehren-Berlin-autofrei/!5850755
 (DIR) [3] https://www.adfc.de/
 (DIR) [4] https://www.visitberlin.de/de/oeffentlicher-nahverkehr-berlin
       
       ## AUTOREN
       
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