# taz.de -- Geldnot bei Studierenden: Ein Armutszeugnis > Ein Drittel der Studierenden lebt unterhalb der Armutsgrenze. Was das > Ganze noch schlimmer macht: Bafög-Empfänger:innen sind besonders > gefährdet. (IMG) Bild: Der Studierende lebt nicht vom Brot allein Wenn am heutigen Mittwoch der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag zusammenkommt, um über [1][die Bafög-Reform] der Ampelregierung zu beraten, wird er höfliches Lob und scharfe Kritik zu hören bekommen. Wie immer, wenn [2][das Bafög novelliert] wird und Expert:innen für eine Stellungnahme geladen sind. Die Studierendenverbände werden anmerken, dass die Inflation die Erhöhung der Fördersätze (um fünf Prozent) frisst und dass auch der erhöhte Mietzuschuss (er liegt künftig bei 360 Euro) nicht der Realität auf dem Wohnungsmarkt entspricht. Das Studentenwerk wird fordern, das Bafög regelmäßig an die Einkommens- und Preisentwicklung anzupassen. Und die Hochschulrektor:innen werden bemängeln, dass das Bafög immer noch Studierende in Teilzeit ausschließt und mit Ende der Regelstudienzeit endet. Um nur ein paar Kritikpunkte zu nennen. Die Bafög-Reform ist, da sind sich die Expert:innen weitgehend einig, ein Schrittchen in die richtige Richtung. An eine Reform, die den Namen verdient, wagt sich die Bundesregierung nicht. Wieder einmal. Man könnte an dieser Stelle jetzt einwenden, dass es sehr wohl wichtige Neuerungen beim Bafög gibt (etwa die Anhebung des Förderalters auf 45 Jahre). Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) jedenfalls wird nicht müde zu betonen, dass es ja bald noch einen zweiten Teil der Reform geben soll. Wie dringend der ist, zeigt eine am Dienstag veröffentliche Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. 30 Prozent der Studierenden leben demnach in Armut, rund doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Der Anteil armutsgefährdeter Studierender dürfte sogar noch höher liegen, argumentieren die Autor:innen. Denn die Daten stammen von 2019 – also noch von vor der Pandemie, die viele Minijobs und damit auch das Einkommen vieler Studierender gekillt hat. ## Akademikerkinder in der Überzahl Die Zahlen klingen dramatisch, doch so einfach ist es nicht. In Deutschland gilt als armutsgefährdet, wer monatlich weniger als 1.266 Euro zur Verfügung hat. Der familiäre Hintergrund spielt dabei keine Rolle. Dabei tut er das. Noch immer haben Kinder aus [3][einem Akademikerhaushalt weit bessere Chancen], an einer Hochschule zu landen. Eine Studentin mit Ärzte-Eltern, die während des Studiums die Zweitwohnung der Eltern bewohnt und 1.000 Euro monatlich überwiesen bekommt, ist wohl kaum armutsgefährdet. Hier zu differenzieren, ist wichtig. Denn viele Studierende bringen ja tatsächlich keine finanzielle Sicherheit aus dem Elternhaus mit. Genau der Fall also, für den Bafög vor mehr als 50 Jahren gegründet wurde. Wie sehr die Fördermaßnahme das Ziel verfehlt, die unterschiedlichen Startchancen auszugleichen, zeigt auch die Erhebung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: Wer Bafög bezieht, ist im Vergleich zu Nichtbeziehern fast doppelt so wahrscheinlich von Armut betroffen. Dazu kommt, dass auch heute noch die Verschuldungsangst bei Studierenden aus Nichtakademikerfamilien überproportional hoch ist. Auch deshalb sind die Akademikerkinder an den Unis in der Überzahl. Was also tun? Gegen die Verschuldungsangst gäbe es ein einfaches Mittel: das Bafög wieder in einen Vollzuschuss umzuwandeln – also eine finanzielle Leistung, die nicht zurückgezahlt werden muss. Dann müsste niemand davor Angst haben, nach dem Studium mit Tausenden Euro in der Kreide zu stehen. Mal sehen, ob sich die Ampel an ihr Koalitionsversprechen erinnert, den Anteil am Bafög, den Empfänger:innen nach dem Studium zurückzahlen müssen, zumindest zu verringern. Was die Armut betrifft: Da muss die Bundesregierung endlich die Frage beantworten, ob man vom Bafög leben können muss. Gegenüber der taz beantwortete Bildungsministerin Stark-Watzinger die Frage vor wenigen Tagen mit „grundsätzlich Ja“. Aber was das genau bedeutet, wenn das Bafög einfach nicht zum Leben reicht, bleibt ihr Geheimnis. 17 May 2022 ## LINKS (DIR) [1] /Kabinett-beschliesst-Bafoeg-Erhoehung/!5843502 (DIR) [2] /50-Jahre-BAfoeG/!5766157 (DIR) [3] /Chancenungleichheit-im-Bildungssystem/!5504682 ## AUTOREN (DIR) Ralf Pauli ## TAGS (DIR) GNS (DIR) Bafög (DIR) Studium (DIR) Schwerpunkt Armut (DIR) Chancengleichheit (DIR) Bildungssystem (DIR) Leibniz Universität Hannover (DIR) Deutsche Universitäten (DIR) Schwerpunkt Armut (DIR) Bafög (DIR) Kolumne Postprolet (DIR) Bafög (DIR) Bafög ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Versorgung der Studierenden in Hannover: Uni-Mensa kurz vor dem Kollaps Dass Hannovers Hauptmensa hoffnungslos marode ist, ist lange bekannt. Trotzdem verzögert sich der Neubau nun ein weiteres Mal. (DIR) Energiesparen an Universitäten: Einsparziel 10 bis 20 Prozent Für Berlins Studierende hat das Wintersemester begonnen. Wie geht das Leben in den Universitäten in Zeiten der Energiekrise weiter? (DIR) Armutsdiskussion bei steigender Inflation: Ärmer heißt nicht arm Die Inflation liegt auf einem Rekordhoch. „Wir werden ärmer“, sagen nun Politiker*innen. Aber wer sind eigentlich „wir“? (DIR) Bafög-Reform im Bundestag: Etwas Lob, viel Kritik Im Bundestag steht die Bafög-Reform zur Debatte. Die Bildungsministerin will die Finanzhilfe in Notsituationen für mehr Studierende ermöglichen. (DIR) Bafög-Reform der Ampel: Wer Geld hat, kriegt weniger Die Regierung will das Bafög elternunabhängiger machen. Wieso nur? Ungleichheit erfordert Ungleichbehandlung. (DIR) Kabinett beschließt Bafög-Erhöhung: Die halbe Miete Die aktuelle Bafög-Reform ist eine der besseren. Jetzt muss die Ampel nur noch die restlichen Bafög-Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. (DIR) 50 Jahre BAföG: Der Behörde Waffen sind Bescheide Wer sich das Studium nicht leisten kann, hat seit 1971 Anspruch auf BAföG. Heißt das Chancengleichheit für alle? Fünf Erfahrungsberichte.