# taz.de -- Parlamentswahl im Libanon: Libanesische Diaspora hat gewählt
       
       > Im Ausland lebendene Libanes*innen haben ihre Stimme für die Wahl am
       > kommenden Sonntag abgegeben. Scheinbar kam es zu Wahlverstößen.
       
 (IMG) Bild: Protest im Hafen von Beirut, August 2020
       
       BEIRUT taz | Am Sonntag bildeten sich auf der ganzen Welt Schlangen vor den
       libanesischen Konsulaten und Botschaften: Libanesische Bürger*innen, die
       außerhalb des Libanon leben, haben ihr künftiges Parlament gewählt.
       Innerhalb des Landes findet die Wahl erst am kommenden Sonntag statt. Die
       Diaspora des Libanon ist groß, mehr Libanes*innen leben außerhalb des
       Landes als in dem Land selbst.
       
       Für die Wahl am Sonntag waren etwa 245.000 libanesische Bürger*innen, die
       im Ausland leben, registriert. [1][Angaben] des Außenministeriums zufolge
       liegt die Wahlbeteiligung dort bei 60 Prozent. Damit haben dreimal mehr
       Libanes*innen im Ausland gewählt als bei den vorherigen Wahlen 2018.
       
       Die Abstimmung über die 128 Sitze im Parlament ist die erste Wahl nach den
       [2][Massenprotesten im Jahr 2019], dem [3][Finanzcrash] und der
       [4][Explosion am Beiruter Hafen 2020]. Für viele, die auf den Straßen
       protestierten oder das Land aufgrund des Zusammenbruchs verlassen haben,
       gibt es mit den Wahlen Hoffnung auf politischen Wandel. Denn zur Wahl
       stehen diesmal viele Oppositionsparteien, die sich den etablierten Parteien
       entgegenstellen.
       
       Doch auch die etablierten Parteien kämpfen darum, unter ihrem Namen einen
       „neuen Libanon“ zu erschaffen – oder propagieren es zumindest. Das
       [5][libanesische Wahlsystem] ist maßgeblich von elitären Politikfamilien
       geprägt, die durch komplexe konfessionelle Quoten seit Jahren die Macht
       unter sich aufgeteilt haben.
       
       ## Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenabgabe
       
       Vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Heimat vieler
       Auslandslibanes*innen, war die Wahlbeteiligung nach Angaben des
       Fernsehsender LBCI hoch: In Dubai lag sie bei 71, in Abu Dhabi sogar bei 77
       Prozent. Der [6][libanesische Außenminister] sagte der Nachrichtenagentur
       Reuters, die Wahlbeteiligung reiche aus, um die Ergebnisse in manchen
       Wahlbezirken im Libanon zu beeinflussen. Die libanesische staatliche
       [7][Nachrichtenagentur NNA] berichtet hingegen von 52 in Dubai und 63
       Prozent in Abu Dhabi.
       
       Denn die Auszählung der Stimmen von Auslandslibanes*innen erfolgt in
       deren Heimatbezirk: Die Wahlurnen werden per Post in den Libanon geschickt
       und dort von der Zentralbank unter Verschluss gehalten. Sie werden dann am
       innerlibanesischen Wahltag in dem Bezirk, aus dem die Wähler*innen
       stammen, gezählt.
       
       Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind lange Schlangen zu sehen,
       Menschen berichteten, bis zu drei Stunden in der Hitze gewartet zu haben,
       um wählen zu können. In Dubai [8][sollen] Wähler*innen bestimmter
       Parteien durch die Hintertür des Konsulats an der Schlange vorbei
       eingelassen worden sein. Die [9][libanesische Vereinigung für demokratische
       Wahlen (LADE)] zählte zahlreiche Wahlverstöße. So seien im Operationssaal
       des Außenministeriums die Bildschirme, die das Wahlgeschehen übertrugen,
       für 15 Minuten ausgefallen.
       
       Im libanesischen Konsulat in Hamburg dokumentierte die Organisation die
       Verletzung der Geheimhaltung der Wahl. Einige Wähler*innen wurden hinter
       den Sichtschutz, hinter dem sie wählten, [10][begleitet]. Solange sie
       körperlich dazu fähig sind, sollten Wähler*innen alleine und ungestört
       wählen können, so LADE. In Hamburg kam es auch zu Wahlpropaganda in der
       Nähe des Wahllokals. Ein [11][Video], das die Organisation veröffentlicht
       hat, zeigt einen Anhänger der schiitischen Amal-Bewegung, wie er einen
       Wähler unter Druck setzt, weil dieser vor dem Wahllokal seine Opposition
       gegen etablierte Parteien zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus dokumentierte
       LADE, dass Wahlzettel und Urnen in diplomatischem Gepäck gefunden wurden.
       
       ## Viele Libanes*innen wollen das Land verlassen
       
       Künftig könnten noch mehr Libanes*innen im Ausland wählen: Das
       amerikanische Meinungsforschungsinstitut [12][Gallup] fand heraus, dass im
       Jahr 2021 63 Prozent der Befragten Menschen den Libanon verlassen wollten.
       In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2021 sagten 39
       Prozent von 1.200 Befragten, dass sie gerne auswandern möchten.
       
       Hohe Staatsschulden, enorme Defizite im Energiesektor, der Schmuggel
       subventionierter Waren nach Syrien sowie Steuerhinterziehung,
       Vetternwirtschaft, [13][Bereicherung] und Korruption haben den Zerfall des
       Libanon vorangetrieben. Die Inflation und die schlechte Wirtschaftslage
       bringen viele Menschen dazu, zu emigrieren.
       
       9 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/timourazhari/status/1523546308719837184?cxt=HHwWgIDUofbS3KQqAAAA
 (DIR) [2] /Sozialproteste-im-Libanon/!5632044
 (DIR) [3] /Wirtschaftskrise-im-Libanon/!5700059
 (DIR) [4] /Nach-Hafen-Explosion-im-Libanon/!5845412
 (DIR) [5] https://www.chathamhouse.org/2021/08/lebanons-politics
 (DIR) [6] https://twitter.com/timourazhari/status/1523385082618146816?s=20&t=xIyhQfsObwC_t0m7tsYTRw
 (DIR) [7] https://www.nna-leb.gov.lb/en/parliamentary-elections/539947/foreign-affairs-minister-announces-voters-turnout
 (DIR) [8] https://www.facebook.com/LADE.Lebanon/videos/363913759036274
 (DIR) [9] https://twitter.com/LADELEB
 (DIR) [10] https://www.facebook.com/LADE.Lebanon/photos/a.183815358332033/5229526940427491/
 (DIR) [11] https://www.facebook.com/LADE.Lebanon/videos/5154562354623557
 (DIR) [12] https://news.gallup.com/poll/357743/leaving-lebanon-crisis-people-looking-exit.aspx
 (DIR) [13] /Zentralbankchef-des-Libanon-vor-Gericht/!5841697
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
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