# taz.de -- Fortschrittliche Biokraftstoffe: Nicht alles Gold, was glänzt
       
       > Klimaschützen mit Pommes essen, wie schön wär’ das denn! Doch leider
       > haben Biokraftstoffe aus gebrauchtem Speiseöl oder Holz ein paar Haken.
       
 (IMG) Bild: Die Freibadsaison geht los! Wie wäre es mit einer Portion Pommes und einem guten Gewissen?
       
       BERLIN taz Kraftstoffe aus Mais, Weizen, Raps oder gar Palmöl sind schon
       länger in Verruf geraten. Inwieweit sie Autos, Lkws oder Flugzeuge
       klimafreundlicher antreiben als fossile Kraftstoffe, ist, vorsichtig
       gesagt, [1][umstritten]. Zudem belegt der Anbau dieser pflanzlichen
       Rohstoffe Ackerflächen, die für Nahrungs- oder Futtermittel dann nicht mehr
       zur Verfügung stehen.
       
       Daher arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetz, mit dem die Produktion
       herkömmlicher Biokraftstoffe [2][bis 2030 auslaufen soll]. Stattdessen
       setzt die Ampel auf Elektromobilität, [3][Wasserstoff] – und auf sogenannte
       fortschrittliche Biokraftstoffe. Diese definiert der Gesetzgeber in der
       Erneuerbare-Energien-Richtlinie als Kraftstoffe aus Abfall- und
       Reststoffen. Das sind etwa Frittierfette, tierische Fette, Stroh und
       Altholz.
       
       Nach Hochrechnungen des Bundesumweltministeriums sollen Kraftstoffe aus
       Abfällen 2030 insgesamt 94 Petajoule Energie im Verkehr liefern. Das würde
       5 Prozent des Energieverbrauchs im Verkehr insgesamt entsprechen und wäre
       fast doppelt so viel, wie bislang vorgesehen war. Laut Umweltministerium
       liefern sie bislang rund 0,2 Prozent der im Verkehr verbrauchten Energie.
       
       2,6 oder 5 Prozent klingt nicht nach viel. Dahinter stehen jedoch große
       Mengen an Biomasse: Wollte man die Quote von 2,6 Prozent etwa mit Stroh und
       Holz decken, benötigte man 6,7 Millionen Tonnen, für 5 Prozent entsprechend
       um die 13 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Das Deutsche
       Biomasseforschungszentrum schätzt die bislang ungenutzte Menge an Stroh in
       Deutschland auf jährlich 8,5 Millionen Tonnen.
       
       ## Wie nachhaltig ist das Ganze?
       
       Die spannende Frage ist, ob die grünen Minister:innen Steffi Lemke
       (Umwelt) und [4][Cem Özdemir (Landwirtschaft)] im Fall der
       Abfallkraftstoffe jetzt den Fehler wiederholen, den die Amtsvorgänger vor
       Jahrzehnten mit Kraftstoffen aus Getreide gemacht haben: nämlich deren
       Potenzial zu überschätzen und eine Industrie aufzubauen, die sich am Ende
       doch nicht als nachhaltig erweist.
       
       Das fängt mit den Begriffen „Abfall“ oder „Reststoff“ an: In dem
       maßgeblichen Anhang der entsprechenden EU-Richtlinie, der die Rohstoffe
       definiert, taucht etwa unter anderem auch „sonstige Lignocellulose“ auf,
       ein Holzbestandteil. „Das heißt, alles Holz aus dem Wald, was weder ins
       Sägewerk noch in die Furnierfabrik geht, könnte als Reststoff gelten“, sagt
       Horst Fehrenbach, der sich im Heidelberger Ifeu-Institut mit der
       Nachhaltigkeit von Biomasse befasst. „Es herrscht aber schon heute ein
       enormer Nutzungsdruck auf den Wald, durch Biomassekraftwerke und
       Holzheizungen“, so Fehrenbach, „der würde sich verstärken.“ Mehr Holz aus
       dem Wald zu nehmen als bislang entspreche nicht dem, was unter einer
       nachhaltigen Waldwirtschaft zu verstehen sei, sagt Fehrenbach.
       
       Auch die Rohstoffbasis für fortschrittlichen Biodiesel ist begrenzt. „Es
       fallen zwar größere Mengen gebrauchte Speiseöle und Tierfette an“, sagt
       Daniel Rieger, Leiter Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland
       (Nabu), „doch gemessen am Energiebedarf des Verkehrssektors sind sie dann
       doch eher klein.“ Zwar sei es sehr gut, dass gebrauchte Speiseöle sowie
       Tierfette nicht einfach weggeworfen würden.
       
       „Wichtiger wäre es aber, diese Mengen zu reduzieren“, sagt Rieger: „Wir
       müssen runter mit den Beständen in der Massentierhaltung, das fordern
       Klima-, Arten- und Tierschutz.“ Insofern stünden künftig eher weniger
       dieser Rohstoffe zur Verfügung. Gebrauchte Frittierfette müssten zudem
       stärker kontrolliert werden, fordert Rieger.
       
       Die meisten der hier verarbeiteten Fette kommen aus China, Malaysia,
       Bangladesch. Schon oft entpuppte sich vermeintliches Altöl aus der
       Pommesbude bei Stichproben als Palmöl. Ein größeres Potenzial sieht
       Nachhaltigkeitsexperte Fehrenbach beim Stroh: „Hier verfügen wir
       tatsächlich über relevante Mengen, die wir noch nutzen können.“ 30 bis 40
       Prozent des derzeit bei der Getreideernte anfallenden Strohs könnten zu
       Biomethan oder Bioethanol verarbeitet werden, ohne etwa den Humuserhalt auf
       den Äckern zu gefährden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Einzeln
       betrachtet sind jedem einzelnen Stoffstrom aus Biomasse deutliche Grenzen
       gesetzt.
       
       ## Gas, Öl und Kohle aus Klärschlamm
       
       Die Rohstoffbasis für fortschrittliche Kraftstoffe müsse daher möglichst
       breit sein, sagt Matthias Franke, Leiter des Standorts Sulzbach-Rosenberg
       des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik
       (Umsicht). Flüssige Kraftstoffe seien auch dann nötig, wenn Pkws fast
       gänzlich elektrisch führen, sagt Franke. „Flugzeuge oder Schiffe benötigten
       auch künftig Kraftstoffe, sie sind schwer elektrifizierbar“, sagt der
       promovierte Abfallwirtschaftler und Ingenieur.
       
       Um diese Kraftstoffe zu liefern, hat Umsicht ein Verfahren entwickelt, in
       dem etwa Klärschlamm, Gärreste aus Biogasanlagen, Grünschnitt oder auch
       Biomüll verwendet werden kann. Unter Ausschluss von Sauerstoff werden die
       Reststoffe bei rund 450 Grad für 15 Minuten in einem speziellen Reaktor
       erhitzt. Dabei entstehen Dampf und ein Feststoff, eine Art Kohle. Sie
       reagiert in einem zweiten Schritt nochmals gezielt mit dem Dampf. „Das
       erhöht die Qualität der späteren Produkte Gas und Öl deutlich“, sagt
       Franke. Am Ende des Prozesses kommen Gas, Öl, Kohle und Wasser heraus.
       
       Das Öl sei thermisch stabil und könne in Raffinerieprozesse eingespeist
       werden, um daraus etwa Normkraftstoffe oder andere petrochemische Produkte
       zu erzeugen, sagt Franke: „Das kennen wir so von keinem anderen Prozess,
       der biogene Einsatzstoffe nutzt.“ Derzeit arbeiten die Wissenschaftler mit
       der Raffinerie Bayernoil an einer Anlage, in der künftig 3 Tonnen
       Einsatzmaterial pro Stunde verarbeitet werden soll. So käme man auf eine
       Produktion von bis zu 1,6 Millionen Liter Kraftstoff im Jahr. Ende 2023
       soll die Anlage in Betrieb gehen.
       
       Das Biokraftstoffunternehmen Verbio produziert an seinen
       Raffineriestandorten Schwedt und Pinnow schon heute Biomethan in
       industriellem Maßstab. Es besitzt die gleiche Qualität wie Erdgas, kann es
       in allen Anwendungen ersetzen und somit auch ins Erdgasnetz eingespeist
       werden. Verbio setzt dabei auf biotechnologische Verfahren: In Bioreaktoren
       wird Stroh unter Zugabe von Bakterien in 30 bis 150 Tagen schrittweise zu
       Biomethan vergoren.
       
       ## Knackpunkt industrielle Produktion
       
       Insgesamt machen fortschrittliche Biokraftstoffe bei der Leipziger
       Unternehmensgruppe Verbio ein Viertel der Produktion aus. Vergangenes Jahr
       habe man beschlossen, 300 Millionen Euro in Ausbau der
       Produktionskapazitäten für Biokraftstoffe aus Reststoffen zu investieren,
       bis 2023 sollen diese Produktionskapazitäten verdoppelt werden, wenn
       Bauvorhaben und Genehmigungsverfahren planmäßig verlaufen, sagt
       Unternehmenssprecherin Ulrike Kurze. Anlagen und Technologie hat Verbio
       hausintern entwickelt. „Knackpunkt hierbei ist immer die großindustrielle
       Anwendung“, erklärt die Sprecherin: „Im Labormaßstab geht immer vieles, was
       im industriellen Maßstab hinterher nicht wirtschaftlich funktioniert.“
       
       Mit allmählich sinkenden Quoten für Agrarkraftstoffe könne man leben, sagt
       Kurze. „Was die Politik jetzt beschließt, muss aber verlässlich sein“, so
       Kurze. Bei Verbio sei man sich darüber im Klaren, dass die Zukunft bei
       fortschrittlichen Kraftstoffen liege, dazu brauche man keine neue
       „Tank-Teller-Debatte“, die den Kapitalmarkt verunsichere und dringend
       benötigte Investitionen in neue Anlagen erschwerte.
       
       Denn die werden gebraucht: Laut Fehrenbach vom Heidelberger Ifeu-Institut
       müssten, um 2030 die 5-Prozent-Quote mit fortschrittlichen Kraftstoffen zu
       erfüllen, jährlich 40 Anlagen gebaut werden, um Bioethan und Biomethan zu
       produzieren. Ob diese Biokraftstoffe dann am Ende auch im Tank landen
       sollten, sei eine ganz andere Frage: „Die verfügbaren Mengen machen im
       Verkehr nur 5 Prozent aus“, sagt Fehrenbach, „in der Industrie könnten sie
       aber 30 bis 40 Prozent der benötigten Energieträger ausmachen.“
       
       Es geht darum, da sind sich im Grunde die meisten Experten einig, den
       Bedarf aller Sektoren zu ermitteln und mit dem Potenzial von Rohstoffen
       abzugleichen. Es erscheine oft, sagt Fehrenbach, als rufe ein Stoffstrom
       lauthals „Nutze mich!“ Aber wenn man genauer hinhöre, sei er schon längst
       verplant.
       
       22 May 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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