# taz.de -- Brandbrief von Linken-Landesvorsitzenden: Schluss mit der Selbstzerfleischung
       
       > Die Linke steckt in der Krise. Vorsitzende aus Ländern, in denen die
       > Partei noch mitregiert, stellen fest: so wie bisher kann es nicht
       > weitergehen.
       
 (IMG) Bild: Nach dem Wahldebakel ist vor dem Wahldebakel
       
       BERLIN taz | Von einer Wahlniederlage taumelnd und Innerparteilich tief
       zerstritten, befindet sich die Linkspartei [1][in einem existenzbedrohenden
       Zustand.] In den Umfragen rangiert sie bundesweit nur noch zwischen drei
       und vier Prozent. Kurz vor dem absehbar nächsten Debakel bei der
       Landtagswahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen melden sich jetzt die
       Landesvorsitzenden aus den vier Bundesländern, in denen die Linkspartei
       derzeit noch mitregiert, erstmals gemeinsam mit einem Brandbrief zu Wort.
       
       „Unsere Partei wird derzeit vor allem über Kakophonie, Streitigkeiten und
       Uneinigkeit wahrgenommen und zwar auf vielen Politikfeldern, aber nicht als
       wirksame politische Kraft, der die Menschen zutrauen etwas zu verändern“,
       schreiben Anna Fischer und Christoph Spehr aus Bremen, Vanessa Müller und
       Peter Ritter aus Mecklenburg-Vorpommern, Ulrike Grosse-Röthig und Christian
       Schaft aus Thüringen sowie die Berlinerin Katina Schubert. Gerade in einer
       Zeit mannigfaltiger Krisen könne es sich eine linke Partei „nicht leisten,
       sich selbst zu zerfleischen und handlungsunfähig zu werden“, heißt es in
       ihrem Schreiben, das der taz vorliegt.
       
       Es gehe nicht darum, umgehend alle Unklarheiten und Differenzen zu
       überwinden, die in der Linkspartei bestehen, „aber wir müssen erkennen
       lassen, dass wir interessiert und bereit sind, Politik zu machen“, fordern
       die sieben Landesvorsitzenden. Dazu gehöre, „dass wir einen Diskussionsstil
       sofort beenden, der gewohnheitsmäßig anderen Positionen in der Partei
       unterstellt, nicht links zu sein, und der nicht auf Argumente zielt,
       sondern auf moralische Beschädigung“.
       
       In den vier Ländern, in denen sie an der Regierung beteiligt ist, habe die
       Linkspartei gezeigt, dass sie „auch bei allen Rückschlägen und Niederlagen,
       wirksame Verbesserungen und Fortschritte erzielen“ könne. Dort sei
       sichtbar, „dass wir für eine moderne sozialistische Politik stehen, die
       sich von SPD und Grünen unterscheidet“. Es müsse auch wieder auf
       Bundesebene gelingen, den Gebrauchswert der Linken als soziale Kraft
       „erkennbar und erlebbar“ zu machen.
       
       ## „Nicht-Kooperation zwischen Parteivorstand und Fraktion“
       
       Erforderlich dafür sei eine programmatische wie strukturelle Erneuerung der
       Linkspartei. So habe sich auf den Feldern der Außen-, Sicherheits- und
       Friedenspolitik, der Europapolitik, der sozial-ökologischen Transformation
       „die Welt weitergedreht“. Auch müssten inhaltliche Leerstellen gefüllt
       werden. „Wir brauchen auf die massiven Wandlungsprozesse der letzten Jahre
       zeitgemäße Antworten“, konstatieren Schubert, Grosse-Röthig & Co. Das Ziel
       müsse sein, „unsere Partei zu einer modernen sozialistischen
       Gerechtigkeitspartei zu formen“. Dafür müssten auf dem Parteitag Ende Juni
       in Erfurt die Weichen gestellt werden.
       
       Strukturell habe die Linkspartei bislang nicht dem Wandel ihrer
       Mitgliedschaft ausreichend Rechnung getragen. Knapp 60.000 Mitglieder hat
       sie derzeit noch. Das Bemerkenswerte: Seit der Verabschiedung des immer
       noch gültigen Erfurter Grundsatzprogramms 2011 sind 19.500 Mitglieder
       ausgetreten, 20.000 eingetreten und 14.500 verstorben. Das habe
       Auswirkungen bis in die kleinsten Gliederungen der Partei hinein: „Hier
       stoßen durch unterschiedliche Generationen völlig unterschiedliche
       Verständnisse von Parteiarbeit, Parteibindung und Parteialltag
       aufeinander“, so die Landesvorsitzenden.
       
       Dringend geklärt werden müsse, welche Strukturveränderungen es brauche, „um
       eine schnelle und finanziell gesicherte bewegungs- und aktionsorientierte
       Parteiarbeit zu ermöglichen“ und Genoss:innen vor Ort „zu unterstützen,
       zu befähigen und wieder zu ermutigen“, Parteiarbeit und Politik zu
       gestalten. „Auch die durch die [2][#linkemetoo-Debatte] angestoßenen
       Vertrauens- und Awareness-Strukturen müssen in unserer Struktur
       satzungsmäßig verankert werden“, fordern die Briefschreiber:innen.
       
       Auf Bundesebene plädieren sie für eine Verkleinerung des bislang
       44-köpfigen Parteivorstands, die Einrichtung eines Länderrats wie ihn
       beispielsweise die Grünen haben. Außerdem brauche es eines sichtbaren
       Signals, „dass die lähmende Nicht-Kooperation zwischen Parteivorstand und
       Bundestagsfraktion endlich überwunden wird“. Das erforderte „Realismus und
       Bewegung“ von beiden Seiten.
       
       Die Linke müsse „nicht ab morgen die Partei sein, in der alle plötzlich
       zufrieden sind und alles nur noch super läuft“, schließen die sieben
       Landesvorsitzenden ihren Brandbrief. „Wir müssen aber die Entschlossenheit
       aufbringen, weiter Partei sein zu wollen und uns auf die Veränderungen
       einzulassen, die das von uns fordert.“ Für die Linkspartei ist schon das
       derzeit das Einfache, das schwer zu machen ist.
       
       11 May 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
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