# taz.de -- Leben in Städten: Und warum nehmen wir das hin?
       
       > Tiere gehören nicht in die Stadt, für Kinder ist sie auch nicht gut – wem
       > taugt die Stadt eigentlich noch?
       
 (IMG) Bild: Kinderspielplätze sind in Großstädten eingezäunt, damit Kinder den Verkehr nicht gefährden
       
       „Tiere gehören nicht in die Stadt“, sagt der eine. Das ist eine weit
       verbreitete Ansicht. Tiere wissen das vielleicht nicht. Die Tauben zum
       Beispiel, die auf dem Innenhof gerade die frisch ausgesäten Grassamen
       aufpicken. Die Eichhörnchen, Elstern, Krähen, Kaninchen, Ratten, Maulwürfe,
       Rotkehlchen, Spatzen. Freiwillig leben sie hier, obwohl sie nicht hierher
       gehören sollen. Sie haben sich dafür entschieden, hier zu leben: für unsere
       Straßen und unsere Bäume, unseren Innenhof, so wie ich. Gehören nur
       Haustiere nicht in die Stadt?
       
       Und wenn Haustiere nicht in die Stadt gehören, wer gehört dann in die
       Stadt? Gehören Bäume in die Stadt? Tomatenpflanzen? Bienen? Gräser? Pilze?
       Kinder? Gehören Kinder in die Stadt? Besser nicht, sagt die andere. Besser
       sollen sie „in der Natur“ aufwachsen.
       
       Wer gehört also in die Stadt? Bäume leiden in der Stadt, das ist erwiesen.
       Kinder sind oft gestresst und leiden öfter an Atemwegserkrankungen. Woran
       liegt das? An der schlechten Luft? Am Lärm? Am mangelnden Platz? Liegt es
       daran, dass Kinder nur unter Lebensgefahr durch die städtische
       Infrastruktur tollen können? Dass sie daher meistens an die Hand müssen,
       das Tier an die Leine?
       
       Ich habe eine Wetter-App auf meinem Handy, die zeigt mir an, wie die
       Luftqualität in unmittelbarer Umgebung meines Hauses ist. Angezeigt wird
       sie anhand eines Streifens, der von Blau bis Rot geht. Fast immer ist meine
       persönliche Luft rot. Ich sollte also besser hier nicht atmen. Kinder
       sollten hier nicht atmen.
       
       ## Ist eine andere Stadt denkbar?
       
       Wer gehört in die Stadt? Autos? Autos gehören in die Stadt. Wenn Autos
       nicht in die Stadt gehören, wohin dann? Geschäfte gehören in die Stadt,
       Fabriken, Häuser. Da gibt es gar keinen Zweifel. Oder was?
       
       Ist eine andere Stadt denkbar? Warum ist die Stadt nicht so, dass Kinder
       und Tiere hier gut leben können, warum ist sie nicht so, dass die Luft, die
       ich atme, mehr grün oder blau ist? Warum gehören Autos in die Stadt, Tiere
       aber nicht? Wer verdrängt wen? Wenn wir alle mit unseren Kindern und
       Hunden, und vor allem mit unseren Autos, auf das Land ziehen würden, wie
       würde dieses Land dann aussehen, wäre es dann immer noch besser für Tiere
       und Kinder?
       
       Warum lassen wir, die wir in der Stadt wohnen, es uns gefallen, dass die
       Stadt so ist, dass Tiere und Kinder und Bäume nicht mehr so gut hierher
       passen, dass es nicht genügend Platz für sie gibt? Warum ergeben wir uns
       immer wieder dem Argument, dass wir, da wir hier leben wollen, alles
       Nachteilige hinnehmen müssen, als wären ungesunde Lebensbedingungen
       konstituierend für großstädtisches Leben? Warum ist die Stadt mehr für
       Autos als für Tiere? Was ist das für eine Entscheidung und wer hat sie wann
       getroffen? Warum hört sich das auch für mich vernünftig an und fast
       selbstverständlich? In was für eine Logik ist so eine
       Selbstverständlichkeit eingebettet?
       
       Sollten wir nicht eher Orte, an denen Kinder, Tiere und Pflanzen nicht gut
       gedeihen können, nicht akzeptieren? Sollten wir Städte, deren Luftqualität
       hauptsächlich rot ist, nicht akzeptieren? Warum entfernen wir eher die
       Tiere und Kinder aus diesem Um-uns-herum, als das Um-uns-herum zu ändern?
       Luft, Lärm, den verlorenen öffentlichen Raum, den der Verkehr sich
       einverleibt hat? Den der Markt sich einverleibt hat, eine
       marktwirtschaftlich orientierte Bebauungspolitik?
       
       Die Stadt ist die Lebensform der Zukunft, auch, weil wir immer weniger Raum
       haben und konzentrierter werden leben müssen. Diesen immer rarer werdenden
       öffentlichen Raum müssen wir dem Verkehr entreißen. Wir müssen die Stadt so
       verändern, dass wir sagen können: Tiere gehören hierher und Kinder können
       hier gut aufwachsen.
       
       7 Jun 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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