# taz.de -- Belgiens Monarch Philippe im Kongo: König äußert „tiefstes Bedauern“
       
       > Erstmals seit Kongos Unabhängigkeit spricht dort ein belgischer König.
       > Eine Entschuldigung für Kolonialverbrechen äußert er aber nicht.
       
 (IMG) Bild: Bedauern ja, Entschuldigung nein: Belgiens Königspaar vor dem Präsidentenpalast in Kinshasa
       
       BRÜSSEL taz | Es ist ein langerwarteter Besuch, mehrfach verschoben wegen
       der Covid-19-Pandemie und zuletzt wegen des Krieges in der Ukraine. Aber
       nun ist Belgiens König Philippe in Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen
       Republik Kongo – das ehemalige Belgisch-Kongo, das unter der belgischen
       Kolonialherrschaft mit Ausbeutung, Rassismus und Gewalt überzogen wurde.
       
       [1][Die Rede des belgischen Königs] auf der Esplanade des Volkspalasts in
       Kinshasa an Kongos versammelte Parlamentarier am Mittwochnachmittag war
       zweifellos der Höhepunkt seiner Kongo-Reise, die am Dienstag in Kinshasa
       begann und am Sonntag zu Ende geht. Die letzte belgische Königsrede in
       Kinshasa gab es 1960 zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit des Landes, als die
       Stadt noch Leopoldville hieß.
       
       Damals hatte König Baudouin in seiner Ansprache zum Ende der belgischen
       Herrschaft seinen Stolz über die Kolonialzeit geäußert. Auf ihn folgte
       Kongos neuer Premierminister Patrice Lumumba, der in einer historischen
       Rede die Ausbeutung, Gewalt und rassistische Unterdrückung der Kongolesen
       geißelte – Lumumba wurde kurz darauf gestürzt, gefangengenommen, entführt
       und im Januar 1961 [2][unter belgischer Beteiligung getötet].
       
       Es hatte fünfzig Jahre gedauert, bis wieder ein König der Belgier
       kongolesischen Boden betrat. Im Jahr 2010 hatte Albert II. bei seinem
       Besuch in Kinshasa die Anweisung, keine politische Erklärung abzugeben.
       Erst sein Sohn Philippe hat jetzt also das Schweigen gebrochen, nach 62
       Jahren.
       
       Viel wurde im Vorfeld spekuliert, ob der König jetzt weiter gehen würde als
       in seiner Erklärung zum 60. Jahrestag der kongolesischen Unabhängigkeit am
       30. Juni 2020. Damals hatte König Philippe in einem Brief an Kongos
       Präsident Félix Tshisekedi seine „tiefes Bedauern“ über die „Wunden“ der
       Kolonialzeit geäußert. Eine Entschuldigung blieb aus.
       
       Entschuldigt hat sich König Philippe auch jetzt nicht, weder für die
       Greueltaten unter der Herrschaft seines Vorfahren Léopold II., der Kongo zu
       seinem Privateigentum erklärt hatte, noch für die koloniale Ausbeutung nach
       Überführung des Gebiets in belgisches Staatseigentum, noch für die
       Ermordung Lumumbas 1961, obwohl Belgiens Parlament bereits 2001 dafür
       [3][die Verantwortung Belgiens anerkannt] hatte.
       
       „Obwohl viele Belgier sich ehrlich eingebracht haben, in tiefer Liebe zum
       Kongo und seinen Bewohnern, gründete die Kolonialherrschaft an sich auf
       Ausbeutung und Domination“, sagte der König in seiner Rede, die er auf
       Französisch hielt, aber mit kurzen Einschüben in den vier kongolesischen
       Amtssprachen Lingala, Swahili, Tshiluba und Kikongo.
       
       Er sprach von einer „ungleichen Beziehung“, die „nicht zu rechtfertigen“
       sei und „von Paternalismus, Diskriminierung und Rassismus gekennzeichnet“
       war. Es habe in der Kolonialherrschaft „Übergriffe und Erniedrigungen“
       gegeben, gestand er ein.
       
       Zum Abschluss fasste der König zusammen: „Ich möchte gegenüber dem
       kongolesischen Volk und denen, die bis heute daran leiden, mein tiefstes
       Bedauern für diese Wunden der Vergangenheit bekräftigen.“
       
       Und er äußerte seinen Wunsch, dass Kongo und Belgien miteinander ein
       „neues Kapitel“ aufschlagen mögen, „ohne die Vergangenheit zu vergessen,
       aber in Anerkennung davon, um der neuen Generation eine reflektierte und
       befriedete Erinnerung an unsere gemeinsame Geschichte zu übertragen“.
       
       ## Denkmalstürmer gegen Rechtsextreme
       
       Gemäß der belgischen Verfassung kann der König sich nur des von der
       Regierung gesetzten Rahmens öffentlich äußern, und so ist diese Rede als
       von Belgiens Regierung inspiriert zu werten. Es war keine einfache Aufgabe.
       Schon 2020 führten Black-Lives-Matter-Proteste in Belgien infolge der
       Ermordung des Schwarzen George Floyd in den USA zum Sturz mehrerer
       Denkmäler des belgischen Königs Leopold II. in belgischen Städten.
       
       Brüssels wichtigster Straßentunnel, der ebenfalls den Namen des
       Koloniengründers trug, ist seit Mai nach der Music-Hall-Sängerine Annie
       Cordy benannt. Prinzessin Esmeralda, Tante von König Philippe, verlangte
       sogar selbst den Abbau von Leopold-Statuen. Und Belgiens Parlament hat eine
       Untersuchungskommission eingesetzt, um „Klarheit über die Vergangenheit“ zu
       schaffen. All dies geschah gegen heftigen Protest seitens der extremen
       Rechten in Belgien.
       
       „In einer idealen Welt würde sich der König persönlich entschuldigen, aber
       die Verfassung lässt das nicht zu“, analysiert der belgische Abgeordnete
       Tomas Roggeman von der rechten Oppositionspartei NVA (Nieuw Vlaamse
       Alliantie). Eine persönliche Entschuldigung des Königs könnte Belgien zu
       Reparationen an Kongo verpflichten, meint er.
       
       ## „Eine neue Seite aufschlagen“
       
       In Kinshasa waren die Reaktionen auf die Königsrede eher positiv. „Alles
       was wir von König Philippe erhofften, haben wir bekommen“, kommentierte das
       Staatsfernsehen RTNC. Parlamentspräsident Christophe Mboso sagte, der König
       habe zwei wichtige Botschaften ausgedrückt: „Eine düstere Seite der
       gemeinsamen Geschichte begraben, und eine neue Seite der dynamischen und
       privilegierten Kooperation aufschlagen“. Präsident Tshisekedi erklärte:
       „Heute müssen unsere Völker sich annähern und sich nicht feindselig
       anstarren.“
       
       Einige Gesten des guten Willens haben den Besuch begleitet. Der König
       [4][übergab dem Museum von Kinshasa] eine heilige Initiationsmaske des
       Suku-Volkes, genannt Kakuungu, zu Zeiten der Kolonialherrschaft von
       Belgiern geraubt.
       
       Der 100 Jahre alte kongolesische [5][Weltkriegsveteran Albert Kunyuku], der
       1940 eingezogen wurde und 1945 im Medizinkorps im damaligen Birma
       eingesetzt wurde, erhielt einen Orden und kommentierte lakonisch: „Der
       König hat mir was versprochen. Sehr gut. Jetzt muss das umgesetzt werden.“
       
       Der belgische König soll noch aus Kinshasa nach Lubumbashi weiterreisen,
       die „Kupferhauptstadt“ Katangas im Süden des Kongo, und vor Studenten eine
       Rede halten.
       
       Zum Abschluss soll er im ostkongolesischen Bukavu den für seinen Einsatz
       für Opfer sexualisierter Kriegsverbrechen geehrten Friedensnobelpreisträger
       Denis Mukwege besuchen.
       
       9 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.rtbf.be/article/discours-du-roi-philippe-au-congo-des-profonds-regrets-pour-un-regime-colonial-base-sur-lexploitation-et-le-racisme-11008434
 (DIR) [2] https://www.amazon.de/Assassination-Lumumba-Ludo-Witte/dp/1859844103
 (DIR) [3] https://www.lachambre.be/kvvcr/pdf_sections/comm/lmb/312_6_volume1.pdf
 (DIR) [4] https://actualite.cd/2022/06/08/le-masque-remis-par-le-roi-philippe-au-musee-national-congolais-est-un-pret-illimite-de
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=WrMaCF8hD2w
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) François Misser
       
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