# taz.de -- Theater zum Mitlaufen: Im Vorhof zur Wohnhölle
       
       > Das Freilauftheater in Osnabrück inszeniert den Kampf auf dem
       > Wohnungsmarkt als Stationendrama. Schauplatz ist eine alte
       > Bergwerksbrache.
       
 (IMG) Bild: Gesucht wird eine Wohnung, ein tiny house, aber keine Hundehütte
       
       „Schöner schattiger Garten“, steht auf einem historischen Foto des
       Piesberger Gesellschaftshauses in Osnabrück, „hübscher geräumiger Saal“.
       Das Bild, zu sehen auf der [1][Internetseite des Hauses], stammt aus Tagen,
       in denen die Telefonnummern noch zweistellig waren.
       
       Und noch immer sieht der Ort aus, als sei die Zeit stehen geblieben:
       rosenumrankte Bruchsteinmauern, schmiedeeiserne Geländer,
       Kopfsteinpflaster. Kohlebergleute haben sich hier im 19. Jahrhundert
       getroffen, Arbeiter der Sandsteinbrüche, Sonntagsausflügler aus der Stadt.
       
       Schon damals wurde hier Theater gespielt. Wenn Sigrid Grafs Piesberger
       Freilauftheater, ein Kind des Hauses, von hier aus zu einer seiner
       skurrilen Ortserkundungen aufbricht, zwischen Steinbrecher, Zechenbahnhof
       und Kanalhafen, vorbei an halb überwucherten Kesselwagen, tonnenschweren
       Maschinenresten, Stapeln verwitterter Eisenbahnschwellen und verrosteter
       Schienen, hat das also Tradition.
       
       Das heutige Stück heißt „[2][Wohnst du schon oder suchst du noch?]“, und
       Miethaie bleiben dabei besser zu Hause. Leider geht es nicht wie geplant
       hinein in die düstere Tiefe des Bergs, einen versteckt liegenden alten
       Wasserstollen an einem verwunschenen Gleistal, das fast nie befahren wird.
       Aber die Makler der profitgeilen Piesberg Properties halten noch andere
       Wohnhöllen bereit.
       
       Das Publikum spielt mit, als Properties-Kunden bekommen sie schamlos
       übergriffige Bewerberauskunftsbogen. Festes Schuhwerk ist von Vorteil, denn
       es geht, wie immer, durch Gebüsch, über Geröll. Ein Aussteiger-Hippie in
       Leopardenfallshorts und Fellweste, high von psychoaktiven Pilzen, baut sich
       auf einer Wiese ein Zelt auf, das gleich drauf zusammenfällt. Eine perfide
       Horrorhexe lockt eine Mutter in einen Waggon, in dem Kinder zu Zombies
       werden. Bleiche Arbeitssklaven vegetieren in Storage-Boxen. Ein schmieriger
       Typ in Silberglitzerjackett und Protzgoldkette weist eine Mieterin ab,
       weil sie keine Deutsche ist. Ein riesiges Radieschen wird in die Höhe
       gehievt, damit wir es von unten sehen, in unserer finalen Wohnung, dem
       Grab.
       
       Das Ganze beginnt, draußen im Garten des Gesellschaftshauses, mit einem
       Nachrichtensprecher und einer Demo gegen Wohnraumknappheit. Das Ende,
       drinnen im holzgetäfelten Saal, den die Verkaufsshow der Piesberg
       Properties zwischendrin zu einer neonflackrigen Disco macht, ist ein
       allseitiges Hauen und Stechen um ein paar Quadratmeter eines Toten, der
       noch im Wohnzimmer liegt. Das Publikum brüllt vor Lachen.
       
       Wer will, holt sich an der Fenstertheke ein Alster und liest den
       demonstrativen Aushang einer örtlichen Bürgerinitiative gegen
       Besserverdiener-Flächenfraß: ein Kommentar zur Inszenierung.
       
       Die Logistik drumherum ist, wie immer, in den Händen der Jugend des THW,
       die sich nach knapp drei Stunden stolz verbeugt. Eine Gemeinschaftstat.
       Apropos Tat: „Hallo Diebe!“, sagt ein Schild am Eingang, „bringt uns
       schleunigst die geklauten Stühle und die Bank zurück!“
       
       19 Jun 2022
       
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