# taz.de -- Ein Museum für Rolling-Stones-Fans: Endlager in Sachen Stones
       
       > Die Rolling Stones sind allemal reif fürs Museum. Und das einzige seiner
       > Art steht im Wendland: In Lüchow stellt Uli Schröder aus.
       
 (IMG) Bild: Findet die Stones einfach gut: Museumsmacher Ulrich „Uli“ Schröder
       
       LÜCHOW taz | Im August 2021 starb der ewige Stones-Schlagzeuger Charlie
       Watts. Einen Monat zuvor hatte er noch einen Konzerttermin, in einem
       kleinen Laden im Wendland. [1][Nicht mit den Rolling Stones], sondern mit
       seiner Jazzband.
       
       Stones, Jazz, Club-Gig – es ist nicht das, woran Musikbescheidwisser aus
       dem Großstadtrevier denken, wenn sie vom Wendland hören. In älteren Köpfen
       vor allem von Atomkraft-Nein-danke-Sagern und -Sagerinnen schweifen die
       Gedanken in die gute alte Protestzeit, als es gegen das Atommülllager
       Gorleben ging.
       
       [2][Die Endlagerproblematik] hat sich für das Wendland qua Beschluss
       inzwischen erledigt, Gorleben ist da raus aus dem Rennen. Das Wendland kann
       sich nun auf Windkraft, Landliebe und Erholung konzentrieren. Schöne Gegend
       gibt’s genug und sogar ein touristisches Highlight, das im Rest der
       Republik relativ wenig bekannt ist. Weshalb der Ansturm auf das letztlich
       [3][ausgefallene Charlie-Watts-Konzert] auch nicht annähernd so groß
       gewesen wäre wie in Hamburg oder Berlin, wenn sich die Drummer-Legende in
       einem dortigen Club angesagt hätte.
       
       Auf der Luftlinie zwischen diesen Großstädten liegt Lüchow etwa in der
       Mitte, näher an Hamburg. Es ist eine kleine Stadt, neuntausend Einwohner,
       aufgeräumte Straßen, eine Fußgängerzone. Beschaulichkeit geht vor Trubel,
       Leben musste hier noch nie pulsieren.
       
       Das tut es auch nicht auf der Mainstreet alias Lange Straße, an der sich
       Apotheke, Woolworth, Apollo-Optik, Friseursalon und nächste Apotheke
       aufreihen, bis man zur Pizzeria „La Cucina“ kommt. Wenn man um die Ecke in
       die Dr.-Lindemann-Straße biegt, erlebt man sein buntes Wunder. Wie eine
       Fata Morgana in der Norddeutschen Tiefebene erscheint ein großes
       Fachwerkhaus, das von riesigen Bildnissen geziert wird. Von der
       Hauptfassade blicken die Rolling Stones in Fotooptik herunter, von der Tür
       am Hinterausgang grüßt ihre Voodoo-Lounge-Figur. Auf einem Balken steht
       „Stones Fan Museum“.
       
       Es ist das einzige weltweit, ausgerechnet hier zwischen Wiesen, Äckern und
       dem Flüsschen Jeetzel im Wendland, das man bisher nur mit dem besagten
       Atommülllager in Verbindung brachte. Doch das Stones-Haus ist kein Fake.
       Alles, was man hier antrifft, ist echt. Die unzähligen Exponate genauso wie
       der Mann, dessen Konterfei groß von der Außenfassade lächelt. Er heißt
       Ulrich „Uli“ Schröder und ist Chef des „Stones Fan Museums“. Seine
       Geschichte gehört eigentlich mit ins Museum, weshalb er sie auch gern
       Besuchern erzählt.
       
       Schröder ist vor 73 Jahren im Nachbarort Uelzen geboren und mit der
       Pubertät zum Fan der Rolling Stones geworden. Als 15-Jähriger ist er ihnen
       auf ihrer ersten Deutschlandtour 1965 in drei der vier Städte nachgereist.
       Das Geld hatte er sich zusammengespart. Obwohl die Stones-Liebe (zum
       Leidwesen seiner Eltern) nicht schwand, machte er eine Lehre als
       Bankkaufmann. Vermutlich wäre er das bis zum Renteneintritt geblieben, wenn
       ihn nicht 1997 Ron Wood gefragt hätte: „Willst du ewig Bankmann bleiben
       oder kannst du dir vorstellen, noch ein bisschen Geld mit Sex and Drugs and
       Rock ’n’ Roll zu verdienen?“ Abgemacht. „Zu Hause musste ich meiner Frau
       erklären, warum ich an einem Wochenende in UK einfach meinen Beruf
       gewechselt habe.“ Ihr Mann war nun nämlich der offizielle Galerist [4][des
       hauptberuflichen Stones-Gitarristen] und nebenberuflichen Malers Ron Wood.
       
       Zu verdanken hatte Schröder das seiner Neugierde an dessen Kunstwerken.
       Wegen der hatte er Kontakt gesucht zu Woods Umfeld, wo man erst mit
       Erstaunen reagierte und dann mit einer Einladung nach London sowie nach
       Dublin zur Geburtstagsparty zu Woods Fünfzigstem. Fortan hatte der Deutsche
       nicht nur Zutritt zum erlauchten Bandkreis, sondern tourte selbst mit den
       Bildern des berühmten Gitarristen für Ausstellungen durch Deutschland und
       Europa.
       
       ## Globale Publicity für Lüchow
       
       Von da an war es nicht so fern zur Museumsidee, denn viele Besucher
       fragten, ob es nicht weitere Stones-Exponate zu sehen gäbe. Für Uli
       Schröder kein Problem, da er in der elterlichen Scheune von früh an
       Devotionalien gehortet hatte: vom geklauten Tourplakat bis zu unzähligen
       T-Shirts, die ihm Freunde von Konzerten mitbrachten, wenn er selbst nicht
       hinreisen konnte. „Ich ließ mir sogar Zeitungen mit Berichten mitbringen,
       denn das Stones-Gefühl muss anfassbar sein. Das geht nicht im Internet, das
       ist ja wie tote Materie.“
       
       Ein fester Platz zur Präsentation – warum nicht dort, wo seine Liebe zur
       Band geboren wurde, dachte sich der Stones-Besessene. Er mietete ein leer
       stehendes Supermarktgebäude in Lüchow, kaufte es sogar und war nach dem
       Umbau erst mal pleite. Nach einigem Hin und Her bewilligten die Stadtoberen
       – von denen noch niemand ein Stones-Konzert gesehen hatte – einen
       einmaligen Zuschuss. Allerdings unter der Bedingung, dass das Museum
       mindestens zehn Jahre bestünde. Die größten Bedenkenträger saßen derweil in
       London bei der Firma Rolling Stones.
       
       Die hat nämlich ein waches Auge, wer vom Glanz der Band einen Schimmer
       bekommt. Als Mick Jagger mitbekam, dass das Museumsprojekt ernst wurde,
       habe er seine Crew in Bewegung gesetzt, sagt Schröder. „Sein Plattenboss,
       Marketingchef und zwei Werbestrategen kündigten sich bei mir in Lüchow an.
       Ich habe dann ein bisschen gegengerüstet und zum Treffen den Bürgermeister
       und die Stadtmarketingfrau von Lüchow mitgebracht.“ Die Briten bestimmten,
       dass die Zunge und die Marke Rolling Stones nicht verwendet werden dürften.
       Aber mit seinem auffälligen Fan-Aufzug könne er ja sein eigenes Bild ans
       Haus pinnen und es Fan-Museum nennen.
       
       2011 wurde es eröffnet, kurz darauf hatte Lüchow globale Publicity. Weil
       eine holländische Künstlerin die Herrenurinale wie geschminkte
       Frauenmünder, ähnlich dem Stones-Logo, designt hatte, hagelte es Proteste
       von Feministinnen. Es folgten Aufrufe zur Stürmung des Museums,
       eingeworfene Scheiben und Polizeischutz.
       
       Letztlich war es jedoch der Museumsinhalt, der das Museum zum kulturellen
       Anziehungspunkt des Landkreises machte. Wo früher Discountware für den
       täglichen Bedarf zum Verkauf stand, lagert nun exklusives Zeug von der
       größten Rock-’n’-Roll-Band der Welt: ein signierter Snookertisch, der Keith
       Richards und Ron Wood bei Konzerten zum Backstage-Vergnügen diente. Auch an
       den Flipperautomaten sollen die Rockidole höchstpersönlich gedaddelt haben.
       Die größten Hingucker sind zwei (fahrbereite) Mercedes-Limousinen aus dem
       einstigen Besitz von Mick Jagger und Bill Wyman, der lange der Bassist der
       Stones war. Es gibt signierte Gitarren und natürlich Fotos,
       Eintrittskarten, Goldene Schallplatten, Plakate, ausgefallene Merch-Artikel
       sowie alte Schallplatten, Tonbänder und Kassetten der Band.
       
       Bestaunt haben das inzwischen viele tausend Fans aus ganz Europa, auch aus
       Kuba, Brasilien und Neuseeland.
       
       Reiner Hackbarth ist aus Köln angereist Der 63-jährige Berufskraftfahrer
       ist Stones-Fan, seit er Musik als Fanliebe denken kann. Sein erstes Konzert
       sah er mit 15. „Ich habe in meiner eigenen Wohnung selbst ein halbes
       Stones-Museum. Ich besitze allein 54 T-Shirts, keins doppelt.“ Jedes Jahr
       kommt er nach Lüchow, in einem war er fünfmal hier. Dabei hatte er bis vor
       zehn Jahren den Namen des Ortes noch nie gehört. Nun baut er das Städtchen
       regelmäßig in seine Urlaubsplanung ein. „Ich bin Junggeselle, habe keine
       Kinder. Was soll ich zu Hause in Köln, ich freu mich immer, hier zu sein.
       Die tolle Umgebung, kein Lärm, kein Gestank von Bayer aus Leverkusen. Da
       fahr ich lieber mit meiner Freundin zu Uli und bleibe zwei, drei Tage. Sein
       Museum finde ich absolute Klasse.“
       
       Dass er die Exponate schon zigmal gesehen habe, egal? „Ich kann mir das
       immer wieder ansehen. Als Fan fasziniert mich das alles.“ Welche Bedeutung
       die Band für ihn habe? Er überlegt. „Nicht alles hineinschlucken, was man
       dir erzählt. Sich auflehnen gegen dies und das. Die hatten auch so bisschen
       Erziehungscharakter. Den Lebensweg gehen mit seinen Höhen und Tiefen. Was
       mich noch fasziniert: Die Jungs können einfach alles spielen, Rock ’n’
       Roll, Country, Jazz und es hört sich gut an.“
       
       Darüber lässt sich auch immer gut schwatzen am Tresen im Museum, was vor
       allem die Mitglieder des Museumfreundeskreises gern tun. Rund 200
       Stones-Fans, Reiner Hackbarth inklusive, unterstützen das einzigartige
       Museum mit einem Jahresbeitrag, der dem Unterhalt des Hauses hilft.
       Einmalige Spenden kommen auch von einzelnen Fans, die beispielsweise Fotos
       mit Originalautogrammen schicken. Deren Verkaufserlös darf ebenfalls zur
       Finanzierung des Museums verwendet werden.
       
       Neuerdings gibt es sogar Briefmarken, mit denen Uli Schröder sein eigenes
       60-jähriges Fansein würdigt. Er hat sie selbst gestaltet und von der
       Deutschen Post genehmigen lassen. Vom Verkaufspreis von 2,50 Euro geht 1
       Euro ans Museum. Schon länger gibt es auch Konfirmationen und
       Geburtstagsfeiern im Museum. Und selbst zwei Trauerfeiern für krebskranke
       Fans hat Schröder schon veranstaltet. „Die Fans wollen sich mit ihrer
       Lieblingsmusik verabschieden.“ Die Nachfrage scheint da, zuletzt gab es
       sogar Trauerfeierlichkeiten außerhalb des Museums, in Uelzen und Berlin.
       
       Die Verbindung von Kreativität und Stones-Kult ist notwendig, schließlich
       soll sich das Museum rechnen. Das Finanzamt duldet kein Minusgeschäft aus
       Liebhaberei. Tatsächlich ist das „Stones Fan Museum“ das einzige von 13
       Museen im Landkreis, das kostendeckend läuft. Nicht zuletzt dank der
       Unbeirrtheit des Gründers. „Ich zeige einfach das, wovon ich glaube, dass
       es die Fans interessiert“, sagt Uli Schröder. Das können auch
       stoneslippenhafte Pissoirs sein.
       
       ## Corona als Bremse
       
       Uli Schröder ist damit gut gefahren. Nur gegen die Auswirkungen der
       Coronakrise war auch er nicht gefeit. Einnahmen durch die Museumskonzerte
       für knapp 400 Zuschauer fielen in den vergangenen zwei Jahren weg. Auch ein
       Chuck-Berry-Abend von Ron Wood sei ausgefallen, erzählt Schröder, der 2021
       auch noch einen Schlaganfall hatte, den er aber gut überstand.
       
       Seit Frühjahr tut sich wieder mehr auf der kleinen Bühne. Woodstock-Oldie
       Albert Lee trat mit seiner Band auf. Am 8. Juli spielt die Berliner
       Stones-Coverband Starfucker, als Opening zum großen Ereignis am nächsten
       Tag. Dann wird vor dem Museum ein Denkmal enthüllt, eine Statue von
       Stones-Mitgründer Brian Jones. Die von der Künstlerin Sissi Piana aus
       Marseille gestaltete Bronzefigur hat 20.000 Euro gekostet. Zusammengekommen
       sind sie durch Spenden. Die Zeiten, in denen Stones-Fans nur poor boys ohne
       einen Penny in der Tasche waren, sind zum Glück lange her. Auch der
       regionale Museumsverband hat einen Zuschuss gegeben.
       
       Anlass für das Brian-Jones-Denkmal ist das 60. Bandjubiläum der Rolling
       Stones. Das erste Konzert der Band, die gerade wieder durch Europa tourt,
       fand am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee-Club statt. Am Jubiläumstag wird
       im Lüchower Museum eine interne Feier stattfinden. Ohne Einladung, sagt Uli
       Schröder. „Wir schauen, wer vorbeikommt.“ Es dürften etliche Fans werden,
       da an diesem Tag kein Konzert auf der aktuellen Stones-Tour ansteht. Auf
       der ist ansonsten auch Uli Schröder unterwegs. Sechs Konzerte stehen auf
       seinem Programm, inklusive Londoner Hyde Park. Das, meint er, müsste dann
       sein 208. Stones-Konzert sein.
       
       21 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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