# taz.de -- Extremismusexpertin über Ferda Ataman: „Kein Shitstorm, sondern Kampagne“
       
       > Ferda Ataman soll die Antidiskriminierungsstelle leiten. Heike Kleffner
       > erklärt, warum Rechte dagegen Sturm laufen und weshalb das gefährlich
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Seitdem die Bundesregierung Ataman nominiert hat, rollt eine mediale Lawine
       
       taz: Frau Kleffner, vorige Woche hat die Bundesregierung die Journalistin
       [1][Ferda Ataman als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes]
       nominiert. Seitdem rollt eine mediale Lawine; ein Artikel jagt den anderen,
       unzählige Tweets wurden abgesetzt. Könnte man nicht sagen: Wie gut, dass es
       offensichtlich ein so großes Interesse an diesem Amt gibt? 
       
       Heike Kleffner: Es wäre schön, wenn wir eine Debatte darüber hätten, wie
       viele Menschen in Deutschland Diskriminierung erleben. Da würden sich auch
       diejenigen Politiker*innen von Union und FDP, die jetzt gegen Ferda
       Ataman Sturm laufen, wundern; das betrifft nämlich durchaus ihre eigene
       Wählerklientel. Zum Beispiel Menschen, die aufgrund ihres Alters oder wegen
       einer Behinderung diskriminiert werden.
       
       Tatsächlich aber wird genau diese Debatte bewusst von einer Phalanx aus
       Spalter*innen unmöglich gemacht, und zwar durch das gezielte Verbreiten
       misogyner, rassistischer und antimuslimischer Ressentiments. Bemerkenswert
       fand ich, wie wertschätzend sich Armin Laschet für Ataman ausgesprochen
       hat. Es gibt also auch weltoffene Konservative, die diesem unappetitlichen
       Spiel öffentlich widersprechen.
       
       Ataman spitzt gerne zu. Muss sie da nicht einen Shitstorm aushalten können? 
       
       Das ist kein Shitstorm, sondern eine orchestrierte Kampagne durch rechte
       Filterblasen. Angefacht werden diese durch gezielte Tweets prominenter
       Accounts, zum Beispiel [2][des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt].
       
       Es folgt ein längst eingeübtes Muster: Follower*innen, Fake-Accounts und
       Troll-Armeen spitzen die Botschaft zu, verkürzen, ergänzen
       Falschbehauptungen, bis nur noch gefährlicher Hass und Hetze übrig sind und
       die Person, um die es geht, nachhaltig beschädigt ist. Wie gefährlich genau
       diese Dynamik nicht alleine für den politischen Diskurs ist, erleben
       unzählige Mandatsträger*innen und Wissenschaftler*innen
       tagtäglich – und wissen wir spätestens seit [3][dem Mord an dem
       CDU-Politiker Walter Lübcke].
       
       Welche Rolle spielen die klassischen Medien? Allein die Welt
       veröffentlichte in der vergangenen Woche mehr als zehn Artikel über Ataman:
       Sie sei eine Fehlbesetzung, die Ampel betreibe Identitätspolitik, die
       künftige Antidiskriminierungsbeauftragte diskriminiere selbst und spalte
       die Gesellschaft. 
       
       Solche Onlinekampagnen zielen sehr klar darauf, über Twitter die
       Medienberichterstattung zu beeinflussen. Für Welt und Bild ist es Teil des
       Geschäftsmodells, Reichweite über emotionalisierte und polarisierte
       Debatten zu erzielen. Dabei wird auf einen Dominoeffekt gesetzt: Nicht nur
       das jeweilige „Hassobjekt“ mit Schmutz zu bewerfen, sondern auch alle, die
       deren Positionen teilen, einzuschüchtern.
       
       Dahinter steckt politisches Kalkül? 
       
       Ganz klar. Ferda Ataman ist nicht die erste profilierte und fachkundige
       Frau im Umfeld der neuen Bundesregierung, die in die Schusslinie gerät. Die
       gleiche unheilige Koalition schießt gegen Bundesinnenministerin Nancy
       Faeser. Das Innenministerium war 16 Jahre lang unionsgeführt. Schauen wir
       uns an, was Horst Seehofer in seiner gesamten Amtszeit im Kampf gegen
       Rassismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus alles verweigert oder
       verschlafen hat. Faeser hat in den letzten sechs Monaten eine Aufholjagd
       gestartet – aber dafür werden sie und ihr Personal auch massiv angegriffen.
       Und das macht leider auch jede konstruktive Kritik unmöglich.
       
       Inwiefern? 
       
       Alle, die dringend notwendige Fortschritte einfordern, müssen sich erst mal
       hinter der Person versammeln, damit diese nicht von einer reaktionären
       Allianz weggemobbt wird. Im Kampf gegen Diskriminierung oder gegen rechte,
       rassistische und antisemitische Gewalt gibt es noch sehr viel, was
       verbessert werden muss. Dafür brauchen wir offensives Streiten. Nicht über
       einzelne zugespitzte Äußerungen, sondern mit Fokus auf Atamans künftiges
       Handeln als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, die Arbeit von Nancy
       Faeser oder anderer wichtiger Verantwortungsträger*innen in diesem
       Bereich.
       
       Was für Verbesserungen meinen Sie mit Blick auf Antidiskriminierung? 
       
       Man muss sich die Geschichte des Amtes und des dazugehörigen Gesetzes
       anschauen: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt es erst seit 2006.
       Es war längst überfällig, und dennoch hat Deutschland es nur auf Druck der
       EU verabschiedet. Bis heute ist es viel zu vielen Menschen nicht mal
       bekannt und eine Baustelle, die nicht alle Formen der Diskriminierung
       erfasst. Es gibt zum Beispiel keinen bundesweiten Schutz vor
       Diskriminierung durch staatliche Institutionen, sei es in der Schule, der
       Polizei oder der Ausländerbehörde. In anderen Ländern ist das längst
       selbstverständlich. Darüber müssen wir reden. Doch wir erleben eine enorme
       Diskursverschiebung, die genau das unmöglich macht.
       
       Dazu passt, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2018 nur
       eine kommissarische Leitung hatte, oder? 
       
       Die Botschaft der vorherigen Bundesregierung an Betroffene war klar: Eure
       Belange sind für uns zweitrangig. Dabei geht es um große Teile der
       Bevölkerung; um Diskriminierung etwa aufgrund von Alter, Rassismus,
       Antisemitismus, geschlechtlicher Identität oder Behinderung, und sehr oft
       auch die um Verschränkung von mehreren dieser Ebenen.
       
       Ataman muss nun für viele sehr verschiedene Menschen einstehen und offensiv
       Verbesserungen an diesem Gesetz erkämpfen. Dafür braucht es eine streitbare
       und durchsetzungsfähige Fürsprecherin. Dass Ataman das sein kann, das
       hoffen viele – es fürchten aber offensichtlich auch sehr viele.
       
       An Ataman gibt es nicht nur Kritik von rechts, sondern zum Beispiel auch
       von kurdischen Stimmen, die sagen, sie gehe nicht entschieden genug gegen
       türkischen Rassismus vor. 
       
       Es ist wichtig, dass die Kritik kurdischer oder alevitischer Gruppen an
       Ferda Ataman ernst genommen wird. Deutlich zu machen, dass sie keine
       Hierarchien zwischen unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen
       aufmacht, sondern deren Mehrdimensionalität mutig adressiert – das ist
       ihre persönliche Herausforderung. Ob sie das kann, wird sich zeigen. Aber
       die Chance dazu, die sollte sie in jedem Fall bekommen.
       
       Hinweis der Redaktion: Dieses Interview wurde geführt, bevor am Nachmittag
       bekannt wurde, dass die Wahl Ferda Atamans im Bundestag auf Anfang Juli
       verschoben wurde.
       
       22 Jun 2022
       
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