# taz.de -- Ferda Ataman über Kritik an Nominierung: „Ich werde noch viel lernen müssen“
       
       > Als Ataman zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle nominiert wurde,
       > brach ein Shitstorm los. Mit der taz sprach sie über ihren Job – und das
       > Wort „Kartoffel“.
       
 (IMG) Bild: Vier Jahre war die Antidiskriminierungsstelle ohne Leitung: Jetzt übernahm Ferda Ataman
       
       taz: Frau Ataman, der Bundestag hat Sie Anfang Juli [1][zur neuen Leiterin
       der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewählt.] Seit Ihre Nominierung
       Mitte Juni bekannt wurde, wurde darüber hitzig gestritten. Was war da aus
       Ihrer Sicht los? 
       
       Ferda Ataman: Dass viel über die Besetzung der Antidiskriminierungsstelle
       diskutiert wurde, fand ich erst mal positiv. Die Stelle war vier Jahre lang
       unbesetzt, ohne dass es die meisten gestört hätte. Außerdem haben wir in
       Deutschland Probleme mit Diskriminierung und darüber müssen wir
       diskutieren. Allerdings habe ich mich persönlich in vielen Beiträgen dieser
       Debatte nicht wiedererkannt. Teilweise waren sie [2][unsachlich bis
       diffamierend], außerdem sind erstaunlich viele Falschbehauptungen über mich
       in Umlauf gebracht worden.
       
       Welche denn zum Beispiel? 
       
       Auf Wikipedia standen plötzlich frei erfundene Informationen, zum Beispiel,
       dass meine Eltern aus Thessaloniki in Griechenland kämen und die Vorfahren
       meines Vaters wegen der Inquisition aus Spanien geflohen seien. Außerdem
       behaupteten Leute, ich würde Clan-Kriminalität verharmlosen oder Rassismus
       von nicht-weißen Menschen ignorieren – was nicht stimmt.
       
       Richtig unterirdisch wurde es, als mir vorgeworfen wurde, ich würde bei
       offiziellen Veranstaltungen nicht neben Kurd*innen sitzen wollen. Völlig
       absurd. Was mich überrascht hat: Viele Medien haben solche Behauptungen
       ungeprüft übernommen und kaum ein Journalist hat bei mir nachgefragt, was
       ich zu den Vorwürfen sage.
       
       Sie haben in einer Kolumne mal recht wohlwollend über die Bezeichnung
       „Kartoffel“ für weiße Deutsche geschrieben. Können Sie verstehen, diese
       Bezeichnung manche kränkt? 
       
       Es stimmt, dass dieser Begriff natürlich auch beleidigend verwendet wird.
       Aber meine damalige Kolumne steht für sich, da wird niemand beleidigt. Der
       Text beschäftigt sich mit der Frage, warum manche sich über den Begriff
       ärgern, aber nicht für Political Correctness einstehen, wenn es um
       abwertende Begriffe zum Beispiel gegenüber Schwarzen Menschen oder Rom*nja
       geht.
       
       Sie haben viel Zuspruch bekommen, vom Rat für Migration, dem Bundeskongress
       der Migrant:innenorganisationen, dem Deutschen Frauenrat oder dem Lesben-
       und Schwulenverband. Andererseits haben Kritiker*innen wie die Rapperin
       und Wissenschaftlerin Reyhan Şahin Ihnen vorgeworfen, türkisch geprägten
       Rechtsextremismus und Islamismus zu verharmlosen. Und in einem offenen
       Brief der Initiative „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“
       hieß es, Sie bagatellisierten Probleme wie Zwangsverheiratung in
       migrantischen Communities. Was antworten Sie auf diese Kritik? 
       
       Dass das so nicht stimmt. Ich verharmlose das nicht. Als Journalistin habe
       ich viel über Probleme, Zwangsehen und Gewalt in migrantischen Communities
       geschrieben, der türkische Nationalismus und das autoritäre AKP-Regime
       belasten mich auch familiär seit Jahren. Der Publizist Stephan Anpalagan
       hat sich als einziger die Mühe gemacht, die Vorwürfe mal auf Fakten zu
       prüfen. Dabei kam raus, wie haltlos sie sind. Trotzdem kreisten die
       Debatten bis zum Schluss um diese Behauptungen. Ich kann verstehen, dass
       manche, die mich nur aus dieser Berichterstattung kennen, Vorbehalte haben.
       
       Als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle (ADS) müssen Sie auch für
       diejenigen Anlaufstelle sein, die Sie jetzt kritisieren. Wie wollen Sie
       diesen Graben überwinden? 
       
       Ich hoffe, dass ich Menschen mit meiner Arbeit überzeugen kann. Die
       Antidiskriminierungsstelle berät alle Menschen, die Diskriminierung bei
       Alltagsgeschäften oder in der Arbeitswelt erleben. Dabei geht es nicht nur
       um Diskriminierung aufgrund von Religion, Weltanschauung oder ethnischer
       Herkunft, sondern auch wegen des Alters, einer Behinderung, des Geschlechts
       oder der sexuellen und geschlechtlichen Identität.
       
       Die Aufregung um Ihre Nominierung war groß, gleichzeitig sind die ADS und
       der Inhalt des dazugehörigen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)
       vielen Menschen im Land immer noch weitestgehend unbekannt. Warum ist das
       so? 
       
       Es ist schon beachtlich, wie viel über die Antidiskriminierungsstelle
       diskutiert wurde, obwohl viele bis dahin vermutlich nicht mal wussten, dass
       es sie gibt. Die ADS macht tolle Arbeit, wurde aber von den bisherigen
       Regierungen nicht gerade als Chefsache behandelt. Sie wurde 2006 erst auf
       Druck aus der EU eingerichtet und das AGG, auf dem ihre Arbeit aufbaut, ist
       im internationalen Vergleich schwach aufgestellt. Deswegen landen nur
       wenige Fälle von Diskriminierung vor Gericht. Das aber wäre wichtig, um das
       Gesetz bekannter zu machen.
       
       Wenn Sie sagen, das AGG sei zu schwach aufgestellt – welche Defizite sehen
       Sie? 
       
       Die Bundesregierung hat angekündigt, die Stelle besser auszustatten. Das
       ist überfällig. In der Pandemie sind die Beratungsanfragen um 78 Prozent
       gestiegen, die Stelle kam schlicht an ihre Kapazitätsgrenzen.
       Diskriminierung ist keineswegs ein Minderheitenthema. Jeder achte Mensch in
       Deutschland hat laut einer Befragung Diskriminierung erlebt. Das sind über
       zehn Millionen Menschen.
       
       Der zweithäufigste Grund, der angegeben wurde, ist Altersdiskriminierung.
       Das spiegelt sich bisher aber nicht in den Beratungsanfragen bei der ADS
       wieder. Vermutlich, weil Altersdiskriminierung gesellschaftlich und
       politisch kaum thematisiert wird. Daher wissen viele Menschen
       wahrscheinlich gar nicht, welche Rechte sie haben und wie sie diese
       einfordern können. Dafür müssen wir Lösungen finden.
       
       Die Ampel hat eine Reform des AGG angekündigt. Dem Gesetz werden immer
       wieder Schutzlücken attestiert. Welche sehen Sie? 
       
       2016 wurde das Gesetz evaluiert und Schutzlücken benannt. Beispielsweise
       haben Menschen, die Diskriminierung erleben, nur zwei Monate Zeit, um
       Ansprüche geltend zu machen – das ist viel zu kurz. Dann gibt es hohe
       Hürden, um rechtliche Ansprüche auch durchzusetzen – und keine
       Möglichkeiten für Verbände oder die Antidiskriminierungsstelle, vor Gericht
       Musterklagen zu erstreiten.
       
       Außerdem ist die soziale Herkunft nicht als Diskriminierungsgrund geschützt
       – das betrifft beispielsweise Empfänger*innen von Sozialleistungen wie
       Hartz IV. Und dann gibt es den großen Bereich der institutionellen
       Diskriminierung, für den die ADS nicht zuständig ist, der sie aber
       natürlich trotzdem beschäftigt.
       
       Können Sie das erläutern? 
       
       Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist ein zivilrechtliches Instrument,
       es regelt Diskriminierung zwischen Bürger*innen. Wenn also zum Beispiel
       jemand wegen seines* oder ihres* Geschlechts oder einer Behinderung eine
       Wohnung nicht bekommt, oder einen Job. Der Bereich Schule ist aber
       überwiegend staatlich – und dazu noch Ländersache. Da greift das AGG nicht.
       Trotzdem wissen wir, dass Diskriminierung im Bildungsbereich eins der
       zentralen Themen in Deutschland ist.
       
       Also muss Bildung mit ins AGG? 
       
       So einfach ist das nicht. Die ADS ist schon lange im Austausch mit den
       Ländern, um Dinge in Bewegung zu bringen. Man kann das Problem zum Beispiel
       auf Länderebene über Antidiskriminierungsgesetze abfangen.
       
       Das gilt auch für andere staatliche Sphären. Berlin zum Beispiel hat in
       seinem Landesantidiskriminierungsgesetz den Bereich Polizei geregelt. 
       
       Genau. Bei dessen Verabschiedung war die Aufregung groß. Es hieß, die
       Polizei könne ihre Arbeit nicht mehr machen, falls ihr zu oft
       Diskriminierung unterstellt würde. Es ist zwar zu früh, um Bilanz zu
       ziehen, aber bisher hat sich die Sorge offenbar nicht bewahrheitet. Genau
       wie die Wirtschaft auch nicht durch die Einführung des AGG
       zusammengebrochen ist, wie manche am Anfang befürchtet hatten.
       
       Bei Antidiskriminierung geht es darum, dass wir gut miteinander leben
       können und Menschen die Rechte bekommen, die ihnen zustehen. Ich finde, es
       steht den Ländern gut zu Gesicht, wenn sie sich trauen, eigene
       Antidiskriminierungsgesetze zu machen, um Lücken zu schließen.
       
       Sie haben zuletzt vor allem zur Teilhabe der Menschen in der
       Einwanderungsgesellschaft gearbeitet. Wie groß ist die Herausforderung,
       sich jetzt so viel breiter aufzustellen? 
       
       Darauf freue ich mich sehr. Als ich vor zehn Jahren schon mal in der ADS
       gearbeitet habe, fand ich es sehr bereichernd, die Themen Gleichbehandlung
       und Antidiskriminierung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten
       und mit verschiedenen Interessengruppen zusammenzuarbeiten. Der Kampf gegen
       Diskriminierung kann nur gemeinsam stattfinden.
       
       Viele der Vereine, in denen ich aktiv war, arbeiten schon längst
       intersektional. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen zum Beispiel
       mit dem Projekt „Leidmedien“, also mit den Kolleg*innen mit Behinderung,
       und mit queeren Journalist*innen beim LSVD oder mit Pro Quote. Ich
       werde aber natürlich noch viel lernen müssen und darauf habe ich große
       Lust.
       
       21 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Leitung-der-Antidiskriminierungsstelle/!5866176
 (DIR) [2] /Extremismusexpertin-ueber-Ferda-Ataman/!5859792
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ferda Ataman
 (DIR) Antidiskriminierungsstelle
 (DIR) Shitstorm
 (DIR) Diskriminierung
 (DIR) Political Correctness
 (DIR) GNS
 (DIR) IG
 (DIR) Migration
 (DIR) Gleichstellungsgesetz
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Interview
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Integrationsbarometer 2022: Teilhabe ist ausbaufähig
       
       Eine Studie bescheinigt Deutschland ein gutes Integrationsklima – aber auch
       einige Probleme. So fehle es etwa an Partizipation von Migrant*innen.
       
 (DIR) Diskriminierung in Deutschland: Besonders oft Rassismus
       
       Der Bericht der Antidiskriminierungsbeauftragten zeigt, dass
       Diskriminierung in Deutschland weiter häufig ist. Sie plant Reformen bei
       der Erfassung.
       
 (DIR) Leitung der Antidiskriminierungsstelle: Bundestag wählt Ferda Ataman
       
       Trotz massivster Kritik von Union und AfD: Die Publizistin Ferda Ataman ist
       die neue Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
       
 (DIR) Nominierte Regierungsbeauftragte Ataman: Der Chor der Empörten
       
       Ferda Ataman könnte Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung werden. Seit
       sie für die Position vorgeschlagen wurde, läuft eine Kampagne gegen sie.
       
 (DIR) Extremismusexpertin über Ferda Ataman: „Kein Shitstorm, sondern Kampagne“
       
       Ferda Ataman soll die Antidiskriminierungsstelle leiten. Heike Kleffner
       erklärt, warum Rechte dagegen Sturm laufen und weshalb das gefährlich ist.