# taz.de -- Debatte über Atomkraft in Deutschland: Keine Frage des Alters
       
       > Steckt hinter der hitzigen Debatte um längere AKW-Laufzeiten ein
       > Generationenkonflikt? Wer das behauptet, lenkt vom eigentlichen
       > politischen Streit ab.
       
 (IMG) Bild: Wird derzeit ähnlich kontrovers wie Atomkraft diskutiert: die Gas-Frage, Demonstration im Mai 2022
       
       Die deutschen Atomkraftwerke sind [1][immer für Aufregung] gut – auch wenn
       ihr Ende seit vielen Jahren besiegelt ist. [2][Die aktuelle Gaskrise] hat
       die Debatte wieder entfacht: Vor allem geht es darum, ob die drei
       verbliebenen alten Meiler noch weiterlaufen sollen, statt wie geplant zum
       Jahresende vom Netz zu gehen.
       
       Auch die Umweltbewegung diskutiert. Fürchtete man sich in den 80er Jahren
       vielleicht am meisten vor dem Atomkrieg, liefert jetzt die Klimakrise
       permanent [3][Grund für Angstattacken].
       
       Die Tendenz des Diskurses ist klar: Es wird noch viel schlimmer. Nehmen die
       jungen und davon besonders betroffenen Generationen also die vielen Risiken
       der Atomkraft eher in Kauf – solange sie nur wenig CO2 verursacht? Das
       greifen auch manche Medien auf. Die Welt titelt: „Junge Menschen und
       Atomkraft? ‚Bedenken haben an Priorität verloren‘“. Der Bayerische Rundfunk
       überschreibt eine Analyse mit „AKW-Laufzeiten: Ein grüner
       Generationenkonflikt?“.
       
       ## Streckbetrieb und Prinzipien
       
       Einzelne Beispiele zu finden, die das zu illustrieren scheinen, ist nicht
       schwer. „Ich habe fast 50 Jahre für den Ausstieg aus der Atomkraft
       gekämpft“, schreibt der 72-jährige Umwelt- und Friedensaktivist Michael
       Schroeren, der aktuell die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung
       [4][Klimaneutralität] leitet und bis 2017 Pressesprecher im
       Bundesumweltministerium war. „Jetzt, kurz bevor die letzten vom Netz gehen,
       lass ich mir den Erfolg nicht klauen – weder von Putin noch von Markus
       Söder, Christian Lindner oder Friedrich Merz.“
       
       Ein klares Nein zur Laufzeitverlängerung also – selbst wenn es nur ein paar
       Wochen sein sollten, in denen noch das letzte bisschen Uran aus den
       Brennelementen aufgebraucht wird. Die 26-jährige Klimaaktivistin Luisa
       Neubauer von der Klimabewegung Fridays For Future hingegen, hält eine
       solche begrenzte Laufzeitverlängerung zumindest für akzeptabel.
       
       Der sogenannte Streckbetrieb mit alten Brennstäben „wäre ein Provisorium
       und keine grundlegende Weichenstellung“, sagte sie dem Tagesspiegel. Darin
       sehe sie kein Problem.
       
       ## Missverständnisse
       
       Als der ARD-Deutschlandtrend vor gut einem Monat nach Meinungen zu einer
       AKW-Laufzeitverlängerung fragte, zeigten sich allerdings keine
       Altersunterschiede. Und auch Luisa Neubauer hielt im Tagesspiegel kein
       flammendes Plädoyer dafür, den alten Atommeilern doch endlich mehr Zeit zu
       schenken. Stattdessen bezweifelte sie, dass eine solche Maßnahme überhaupt
       etwas nützen werde. Schließlich liefern die deutschen AKWs nur Strom und
       helfen nicht beim Hauptproblem der Gaskrise: dem Heizen.
       
       Wenn, dann lässt sich vielleicht ein Unterschied im Tonfall erkennen, der
       bei den jungen Klimaschützer:innen einen Tick pragmatischer erscheint.
       Inhaltlich sind sie nicht weit weg von den alteingesessenen
       Atomkraftgegner:innen, die heute wie Michael Schroeren ja oft Teil der
       Klimabewegung sind. Auch er sorgt sich wohl eher nicht darum, ob die drei
       verbleibenden Atomkraftwerke nun ein paar Tage mehr oder weniger laufen.
       
       Die Angst ist eher, dass jegliches Rütteln am Ausstiegsdatum auch eine
       Grundsatzdebatte nach sich ziehen würde – und der erstrittene Atomausstieg
       von Konservativen und Neoliberalen rückgängig gemacht wird. „Liebe Luisa
       Neubauer, ich halte es für gefährlich zu glauben, dass ein Streckbetrieb
       ohne Laufzeitverlängerung über mehrere Jahre zu haben ist“, schrieb der
       58-jährige Sascha Müller-Kraenner, Chef der Deutschen Umwelthilfe, auf
       Twitter. „Wenn wir die Tür für die Atomkraft nur einen Spalt aufmachen,
       geht sie für die Energiewende zu.“
       
       ## Positionen, die altern
       
       Das Atomkraft gut fürs Klima sei, ist kein Punkt der jungen Klimabewegung –
       sondern der internationalen Atomlobby. Vor zehn Jahren noch stellte sie
       sich der Energiewende in den Weg, wo es nur ging. Im Zeitalter der
       Kohleausstiege und Gaskrisen wittert sie aber Morgenluft und inszeniert die
       Atomkraft als vernünftige Öko-Lösung, trotz des gigantischen
       Atommüllproblems und der hohen Kosten.
       
       Den Atomkraft-Clinch als Generationenkonflikt zu interpretieren hilft
       nicht. Denn so erscheint alles als normaler Gang der Dinge. Die Welt dreht
       sich weiter, Positionen werden alt, neue Positionen kommen, Eltern und
       Kinder streiten. Diese Sicht legt nahe, dass schon alles irgendwie immer
       besser wird, eben mit der Zeit geht. Das kann aber gefährlich werden, vor
       allem mit Blick auf Fragen, die nicht so rückwärtsgewandt sind wie die nach
       der Atomkraft.
       
       Dabei wäre es doch so schön, sich bei der Klimakrise darauf zu verlassen,
       dass die jungen Generationen das Ganze schon richten werden. Die jungen
       Klimaschutz-Rebell:innen würden die konsumbegeisterten
       Babyboomer:innen nach und nach in den Machtpositionen der Welt ablösen
       und den öko-sozialen Systemwechsel einfach mitbringen.
       
       Aber sind denn die Generationen Y und Z, wie Generationenkonfliktfans die
       heute Unter-40-Jährigen gern nennen, wirklich so? Tatsächlich haben sie zum
       Beispiel bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr überdurchschnittlich
       oft die Grünen gewählt, die mit dem detailliertesten Klimaprogramm an den
       Start gegangen sind. Sie haben aber auch besonders oft die FDP mit ihrem
       Klimaprogramm aus Wolkenkuckucksheim gewählt, die seit ihrer
       Regierungsbeteiligung nicht ganz unerwartet alles ausbremst, was mit der
       Rettung des Planeten zu tun hat. Bei den 18- bis 24-Jährigen, den jüngsten
       Wähler:innen, war dieser Spagat stark ausgeprägt, beide Parteien schnitten
       deutlich vor allen anderen ab und waren in keiner anderen Altersgruppe
       erfolgreicher.
       
       Wie wir leben wollen, entscheidet nicht der Lauf der Generationen. Es ist
       und bleibt ein mühsamer politischer Streit.
       
       2 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Schwarz
       
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