# taz.de -- Urlaub zwischen Pandemie und Krieg: Ehe die Welt untergeht
       
       > Immer häufiger stellt sich die Frage: Wer kann sich eigentlich noch einen
       > Urlaub leisten? Und was macht fehlende Erholung mit einer Gesellschaft?
       
 (IMG) Bild: Noch einen Cocktail vor dem Weltuntergang?
       
       Neulich traf ich diesen Freund aus den USA, der seine Sommer immer in
       Berlin verbringt. Außer in den letzten beiden Jahren natürlich, die
       Reisebeschränkungen in der Anfangsphase der Pandemie zwangen ihn, zu Hause
       zu bleiben. Nun freute er sich, endlich wieder da zu sein, erinnerte sich,
       wie sehr ihn seine allererste Reise nach Europa geprägt hatte.
       
       Und dann stellte er eine gewagte, aber letztlich doch recht weit
       verbreitete These auf: „Die meisten Amerikaner waren nie im Ausland, weil
       sie es sich nicht leisten können. Das ist sehr fruchtbarer Boden für die
       Behauptung, die uns früh schon eingetrichtert wird: dass wir im besten Land
       der Welt leben.“
       
       Reisen wird ja oft als eine wegweisende Erfahrung wahrgenommen, die den
       Blick für andere Perspektiven weitet. Nicht im Sinne von weißen
       Hippie-Touris auf Bali, die bei Locals betteln, um die Kreditkarte nicht
       zücken zu müssen. Ich meine, im Sinne von ehrlichen Begegnungen.
       
       Ich musste an die [1][Autorin Maya Angelou], ebenfalls US-Amerikanerin,
       denken, die schrieb mal: „Reisen hilft dem Individuum, sich von der eigenen
       Ignoranz zu befreien. Manchmal glauben Menschen, Ignoranz sei das
       Ausbleiben von Lernen […]. [Ignoranz] ist aber ein Mangel an Kontakt,
       nicht, weil die Person nichts lernen möchte. [Der Kontakt] wurde ihr
       lediglich verwehrt.“
       
       ## Durch Urlaub tritt man in Kontakt mit sich selbst
       
       Nun lässt sich darüber streiten, wie viel Kontakt mit anderen Lebens- und
       Sichtweisen eigentlich ein All-inclusive-Urlaub in einer Resort-Anlage
       bedeutet. Doch ist es auch ziemlich snobby, einer überarbeiteten Mutter
       oder einer Vollzeitpflegekraft die Woche Auszeit und den Cocktail an der
       Strandbar madig zu machen. Sie sollten sich den gönnen können, nicht nur
       für eine Woche im Jahr.
       
       Vielleicht ist das ja auch bloß eine andere Form des Kontakts, sich ein
       paar Tage lang der Außenwelt komplett zu entziehen. Wenn die Verantwortung
       für Wäsche, Einkauf und die Mitmenschen entfallen, tritt man dann nicht
       automatisch in Kontakt mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen?
       
       Als diese Woche [2][das Lufthansa-Bodenpersonal streikte] und mehrere
       Hundert Flüge gestrichen wurden, liefen die Menschen trotzdem in Scharen
       durch die Abflughallen. Die meisten wussten vom Streik, trotzdem hatten sie
       ihre Koffer gepackt, waren zum Flughafen gefahren und warteten, wie auf ein
       Wunder. Dabei waren es sehr irdische Forderungen, die zu dem Warnstreik
       führten: 9,5 Prozent Lohnerhöhung angesichts der hohen Inflation, der
       Überbelastung des Personals und dessen Lohnverzicht über die letzten drei
       Jahre, in denen der Flugverkehr stark eingeschränkt war.
       
       ## Wann wird Reisen unmöglich werden?
       
       Ich denke, die gestrandeten Reisenden mit ihren langen Gesichtern können
       diese Forderungen durchaus nachvollziehen – und sind dennoch frustriert.
       Denn noch gehören sie nicht zu den 22,4 Prozent der Deutschen, die sich
       einen einwöchigen Urlaub pro Jahr gar nicht leisten können. Fragt sich nur,
       wie lange. Oder wann die nächste Pandemie oder die sich [3][von Jahr zu
       Jahr verschärfende Klimakatastrophe] das Reisen an ferne Orte endgültig
       verunmöglichen wird?
       
       Ich stelle mir vor, wie es wäre, hier zu leben, wenn die Deutschen nicht
       einmal mehr reisen und wenigstens ein paar Tage lang über den Tellerrand
       schauen würden. Das wäre dann wohl die Apokalypse.
       
       „Ich habe so Angst, dass ich nicht rechtzeitig vorm Weltuntergang aufhöre
       Miete zu zahlen“, [4][schrieb Twitter-Ikone Commie] diese Woche und ich
       fühlte das. Wenn die wilde Mischung aus Krieg, Klima, Pandemie und
       Kapitalismus in die Luft geht, will niemand diejenige sein, die mit
       zerzausten Haaren im Homeoffice sitzt und den Vorgesetzten lieb bittet,
       schnell noch die Kids aus der Kita holen zu dürfen. Dann doch lieber mit
       einem guten Buch und einem starken Drink auf der Strandliege untergehen.
       
       29 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Arbeitskampf-bei-Luftfahrtkonzern/!5867572
 (DIR) [3] /Hitzewelle-in-Europa/!5865654
 (DIR) [4] https://twitter.com/thecommiemommy/status/1551996088353230848?s=20&t=2FaxY3A3_QjodW9k6tsErw
       
       ## AUTOREN
       
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