# taz.de -- Lebensgefahr am Schwarzen Meer: Strandleben mit Treibminen
       
       > Odessa liegt am Meer. Den Menschen dort fällt es schwer, nicht mehr ans
       > Wasser gehen zu dürfen. Auch wenn sie wissen, dass es lebensgefährlich
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Warnung vor Minen am Strand von Odessa
       
       Kürzlich war ich am Meer und wurde dort Zeugin einer Situation, die so nur
       in Odessa passieren kann. Auf dem heißen Sandstrand lief ein Polizist
       entlang. Er sah die ganze Zeit in die Ferne, so, als ob er nach jemandem
       Ausschau hielte. Wir sind ein neugieriges Völkchen und ich und ein paar
       andere Odessiten wollten gerne wissen, wen oder was er dort eigentlich
       sehen wollte. Vor ein paar Wochen waren russische Kriegsschiffe am Horizont
       mit bloßem Auge zu erkennen. Waren sie jetzt wieder dort? Wir näherten uns
       langsam dem Polizisten. Und wurden Ohrenzeugen des folgenden Dialogs.
       
       „Mädchen, kommen Sie aus dem Wasser zurück. Hier ist Baden verboten!“,
       sagte der Polizist zu einem schwimmenden Mädchen. „Aber das Wasser hat 25
       Grad“, antwortet diese. „So bewältige ich schon mein ganzes Leben
       persönlichen Stress, ich bade im Meer. Ohne Wasser kann ich nicht leben.“ –
       „Und was ist mit den Treibminen? Sie haben sicher gehört, wie viele Leute
       dadurch schon umgekommen sind.“ – „Aber ich bin kein Mensch!“, schreit das
       Mädchen. „Was sind Sie dann?“, schreit der Polizist in gleicher Lautstärke
       zurück. „Ich bin ein Fischlein. Ich darf das Wasser nicht verlassen. Das
       ist übrigens ziemlich warm. Vielleicht tauchen Sie auch mal kurz unter?“ –
       „Das darf ich nicht. Ich bin im Dienst. Ich beobachte feindliche Schiffe –
       und solche Fischlein wie Sie. Schwimm, Fischlein, schwimm. Ich warte.“
       
       Das Mädchen musste eine Geldstrafe zahlen, als sie aus dem Wasser kam.
       [1][In Odessa] ist es jetzt verboten, ins Meer zu hüpfen, an einigen
       Stränden darf man nicht einmal entlang laufen. Darauf weisen Schilder hin:
       „Vorsicht, Minen!“ Den Menschen jedoch, die ihr ganzes Leben am Strand
       verbracht haben, ist nur schwer zu erklären, dass genau das gerade sehr
       gefährlich ist. Odessiten gehen also trotzdem sonnenbaden oder schwimmen,
       in der Hoffnung, dass es schon irgendwie gut geht.
       
       Leider geht es nicht bei allen gut. Im Gebiet Odessa gab es an den Stränden
       schon vier Todesfälle durch explodierende Minen. [2][Die russischen
       Streitkräfte hatten die Bucht von Odessa zuvor vermint.] Einige Minen
       wurden auch am Strand deponiert, wo sie von ukrainischen Soldaten
       entschärft wurden.
       
       Polizisten sollen dafür sorgen, dass Menschen sich daran halten. Ihre
       Arbeit hat was von einem Angelausflug. So wie der Polizist auf das Mädchen
       gewartet hatte, das sich selbst als Fisch bezeichnete. Die städtische
       Verwaltung hat die sicheren Strandabschnitte mit einem Netz umgeben, sodass
       die Menschen sich dort sonnen können. Künftig soll mit Hilfe von
       Unterwasserdrohnen das Schwarze Meer von Minen geräumt werden. Aber bis
       dahin sollte man sich besser gedulden.
       
       Ich bin 38 Jahre alt, ich wurde in Odessa geboren. Und habe mein Leben lang
       im Meer gebadet, ganzjährig. Es ist der erste Sommer meines Lebens, in dem
       ich nicht einfach an den Strand gehen kann, mein Badelaken dort ausbreiten,
       die Füße in den warmen Sand stecken und später kopfüber ins Meer springen
       kann. Aber ich gehe trotzdem ans Meer und höre den Geschichten zu, die sich
       dort abspielen. Solche, so scheint es mir, wie sie sich nur in meiner
       sonnigen Heimatstadt zutragen können.
       
       [3][Wenn wir siegen] und dieser verdammte Krieg zu Ende geht, ist das
       erste, was ich tue, den Sonnenaufgang am Meer zu begrüßen. Meine Tränen
       werden sich mit dem Salzwasser mischen.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. 
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
       im September heraus
       
       26 Jul 2022
       
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