# taz.de -- Kunstausstellung in Baden-Baden: Schwarze Romantik der Gegenwart
       
       > Fortschritt statt Oldtimer: Von der Kunsthalle Baden-Baden aus mäandern
       > Kunstwerke, Raum und Erzählung aus „Nature and State“ bis in die Stadt.
       
 (IMG) Bild: ​Das Installationsprojekt von Ersan Mondtag weckt Erinnerungen an den Symbolisten Ferdinand Hodler
       
       Das Eröffnungswochenende von „Nature and State“ fiel in Baden-Baden mit dem
       beliebten Oldtimer-Meeting zusammen. Parallelwelten trafen aufeinander –
       während Grada Kilombas Performance „O Barco/The Boat“ mit über einem
       Dutzend schwarz gekleideten Performer*innen an die Geschichte des
       Sklavenhandels erinnerte, reckten sich aus dem benachbarten Szenerestaurant
       verdutzte Köpfe, die für den Concours d’élégance in die Stadt gekommen
       waren.
       
       Baden-Baden feierte klimabilanzverachtende Errungenschaften der
       Automobilindustrie parallel zur Vernissage einer Ausstellung, die forschend
       in die Kurstadt eindringen will. Kilombas Installation, die Umrisse eines
       Bootes aus verkohlten Holzblöcken bildete, blieb noch einige Wochen im Park
       stehen, umgeben vom Rauschen des Stadtbachs Oos – „alles fließt“ kann auch
       als Leitsatz dieser Ausstellung gesehen werden.
       
       Nach zwei von der Pandemie durchwachsenen Jahren ist das nicht mehr neue
       Kuratorenteam aus Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız endlich in Baden-Baden
       angekommen und will mit „Nature and State“ einen offenen Prozess für
       temporäre Strukturen und kritische Erzählungen einleiten, die von
       Herrschaft und Kontrolle berichten.
       
       „Wir haben keine Staaten, keine Nationen, keine Präsidenten, keine
       Premierminister, keine Häuptlinge, keine Generäle, keine Bosse, keine
       Bankiers, keine Grundbesitzer, keine Löhne, keine Wohltätigkeit, keine
       Polizei, keine Soldaten, keine Kriege“, wird hier die queere
       [1][Science-Fiction von Ursula K. Le Guin] aus den 1970er Jahren zitiert.
       
       ## Anleitung zum Leben heute
       
       All das findet bei Le Guin auf einem fremden Planeten statt und soll nun in
       der Kunsthalle als eine Anleitung zum Leben in der heutigen Welt dienen.
       Was naiv daherkommt, ist vielleicht eine Möglichkeit, heute in Anbetracht
       der Weltlage an eine Zukunft denken zu können. Im großen Lichtsaal der
       Kunsthalle hat der mehrfach ausgezeichnete Künstler Ersan Mondtag einen
       antiken Tempel samt Wasserbecken gebaut, der als Museum, Bühne und Auftakt
       des Rundgangs fungiert.
       
       Dunkles Blau beherrscht den Raum, Schwarzwaldästhetik mit aufgemalten
       Nadelbäumen auf den Wänden lässt eine Atmosphäre der Schwarzen Romantik
       aufkommen. Mehrfach wurde darin die Tanzperformance „Becoming Sculptures“
       aufgeführt, die wie ein lebendig gewordenes Gemälde des Schweizer
       Symbolisten Ferdinand Hodler wirkte, wenn die Performer*innen zuerst
       phlegmatisch und schließlich immer schneller durch das Wasser des Tempels
       tanzten.
       
       Im Laufe der Ausstellung soll das Wasserbecken austrocknen und damit die
       politische Dimension des Klimawandels und Wasser als verbindendes Element
       der Ausstellung betonen.
       
       Nicole L’Huillier breitet eine bunte Flagge, die gleichzeitig eine
       Soundinstallation ist, von der Wand auf den Boden aus. Um die verfremdete
       Akustik eines Gedichts der chilenischen Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral
       zu hören, muss man sein Ohr dicht über die Membranen der Flagge halten und
       sich damit intensiver mit der Umgebung befassen, als man es gewohnt ist.
       
       Hier wird das Publikum auf Achtsamkeit trainiert, gleichzeitig
       repräsentiert eine Flagge üblicherweise den Staat und damit zusammen mit
       der Natur den zweiten Pol, zwischen dem die Ausstellungsobjekte mäandern.
       
       ## Staat als Gebilde der Erinnerung
       
       Dass der Staat eher ein Gebilde der (zuweilen instrumentalisierbaren)
       Erinnerung sein kann, zeigen Olga Chernyshevas schwarz-weiße Körper von
       erschöpften postsowjetischen Menschen, die in der Ausstellung auf Collagen
       aus Selbstporträts, gefundenen Objekten und Festplatten der türkischen
       Multimedia-Ikone Ipek Duben stoßen.
       
       „Nature and State“ will wie so viele Ausstellungen derzeit, nicht
       [2][zuletzt die documenta fifteen], ein offener Prozess sein. Doch dieser
       scheint hier in eine ferne Welt verfrachtet zu sein. Trotzdem gelingt es
       Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız, die – wenn auch etwas beliebig
       ausgewählten – Kunstwerke in einen Fluss zu bringen.
       
       Letztlich ist die ungewöhnliche Auswahl von über 30 Künstler*innen für
       die verschlafene Kurstadt Baden-Baden eine gelungene Erfrischung. Man
       möchte diesem Traum eine Chance geben und die Oldtimer hinter sich lassen.
       
       29 Aug 2022
       
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