# taz.de -- Kuratorin Kunstbiennale Venedig: „Räume aufmachen statt verengen“
       
       > Die Kuratorin Çağla İlk wird Deutschland auf der 60. Kunstbiennale 2024
       > in Venedig repräsentieren. Die taz durfe ihr drei Fragen stellen.
       
 (IMG) Bild: Çağla İlk kuratiert den Deutschen Pavillon bei der Kunst-Biennale in Venedig
       
       wochentaz: Frau İlk, während man sich im Kulturbetrieb gerade darüber
       zerwirft, wie sich in den gegenwärtigen Krisen zu positionieren sei, geben
       Sie Ihr künstlerisches Konzept für den deutschen Beitrag auf der
       diesjährigen Venedig-Biennale bekannt – und viele scheinen aufzuatmen
       angesichts Ihrer Wahl. Warum? 
       
       Çağla İlk: Ich kann schwer ahnen, warum [1][die einen „aufatmen“] und
       andere nicht, aber ich spüre, dass wir uns als Menschen, insbesondere in
       Zeiten der humanitären Krise, nach Orten des Zusammenhalts sehnen. Orten,
       an denen wir zusammenfinden, über Vergangenes, Gegenwärtiges und die
       Zukunft frei sprechen können. Orten, die uns daran erinnern, was es
       bedeutet, Mensch zu sein – in aller Ungewissheit. Für mich liegt ein erster
       Schritt darin, an dem Gedanken des Zusammenarbeitens festzuhalten.
       
       Wir werden in Venedig versuchen, Räume aufzumachen, statt sie zu verengen.
       Es gibt angesichts der multiplen Krisen wenige Anlässe zum „Aufatmen“. Wenn
       es uns gelingt, einen Ort zu schaffen, an dem wir atmen können, wäre schon
       viel erreicht.
       
       „Thresholds“ (Schwellen) ist Titel und Thema des deutschen Beitrags in
       Venedig, und es ist auch ein sehr viel diskutiertes Motiv in der
       Architektur. Dann handelt es sich zumeist um Räume des Übergangs, etwa die
       Zone zwischen Gebäude und Umgebung, zwischen Stadt und Land, zwischen
       Staaten. Auch Sie sind Architektin. Um welche Schwelle wird es Ihnen auf
       der Kunstbiennale gehen? 
       
       Kein Beitrag für den deutschen Pavillon kann der faschistischen Architektur
       des Pavillons entkommen. Dieses Gebäude spricht die [2][Sprache einer
       Ideologie von Endgültigkeit] und Ewigkeit. Mit „Thresholds“ setzen wir der
       statischen Machtgeste des Hauses drei Szenarien entgegen. Thresholds, das
       soll die Perspektive unserer Besucher:innen sein. Die Schwelle
       interessiert uns als Punkt zwischen einer Vergangenheit, die verschwindet,
       und einer Zukunft, die ich noch nicht betreten habe. Räumlich bedeutet
       Thresholds in unserer Arbeit das Infragestellen von nationalstaatlichen
       Konstruktionen und eine Sehnsucht nach Deterritorialisierung der
       politischen Fantasie.
       
       Wir erleben gerade in Deutschland, wie extrem Menschen in einem
       nationalstaatlichen, territorialen Denken verhaftet sein können, das
       unseren Diskurs über Geschichte und damit auch über Zukunft beherrscht. Wir
       werden das nicht ändern, aber wir können zumindest andere Vorschläge
       machen. Veränderung fängt da an, wo ich mir der Vorläufigkeit meiner
       Position bewusst werde. Der Ort dafür ist die Türschwelle zwischen zwei
       Räumen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir den Pavillon entgrenzen können
       und auf La Certosa einen zusätzlichen Ort bespielen und die Mauern
       verlassen.
       
       Wie kamen Sie zu der Auswahl der sechs Künstler:innen, von denen kaum
       eine:r den klassischen bildenden Künsten zuzuordnen ist? 
       
       Mit allen Künstler:innen verbindet mich eine langjährige,
       vertrauensvolle und glückliche Zusammenarbeit! Aber das war nicht der
       einzige Grund. Für den deutschen Beitrag in Venedig habe ich nach
       Künstler:innen gesucht, die transdisziplinär arbeiten, unterschiedliche
       Bereiche in ihre künstlerische Praxis integrieren: Wissenschaft,
       Geschichte, verschiedene performative Formen, Klang, Musik. Vielleicht bin
       ich da hoffnungslos „geschädigt“ vom Theater, aber ich kann diesen
       Gedanken des Zusammenarbeitens und gemeinsamen Denkens einfach nicht
       lassen.
       
       Mit Jan St. Werner, Nicole L’Huillier, Robert Lippok und Michael Akstaller
       werden sich vier Künstler:innen auf unterschiedliche Art mit der
       akustischen Entgrenzung von Räumen beschäftigen. Im Deutschen Pavillon
       kommen mit Yael Bartana und Ersan Mondtag zwei Künstler:innen zusammen,
       für die die Auseinandersetzung mit den zeichenhaften Fragmenten der
       Vergangenheit und die politische Auseinandersetzung mit den Bildwelten der
       Gegenwart auf extrem unterschiedliche Art wesentlich ist. Ich habe [3][nach
       Grenzüberschreiter:innen] gesucht, und ich glaube, ich habe sie
       gefunden!
       
       19 Jan 2024
       
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