# taz.de -- Ende des 9-Euro-Tickets: Fahrscheine, bitte!
       
       > Unsere Autorin hat sich nach dem Ende des 9-Euro-Tickets vor den Berliner
       > Ticketautomaten umgeschaut. Wie erleben die Fahrgäste die alte
       > Normalität?
       
 (IMG) Bild: Stempeln nicht vergessen!
       
       „Scheiße ist das“, ruft mir die junge Frau mit rot gefärbten Haaren
       entgegen, noch bevor ich meinen Satz beenden kann. Sie steht vor dem
       Fahrkartenautomaten am Berliner Alexanderplatz. Vor ihr tippt ein Mann mit
       zusammengekniffenen Augen und dem Gesicht fast am Bildschirm klebend darauf
       herum. „Nirgendwo kann ich mehr hinfahren. Und das Geld ist einfach weg“,
       fährt die Frau fort. Ihre Freundin nickt. „Wissen Sie, wir sind zwei junge
       Mütter. Ich habe zwei, sie drei Kids“, sagt sie und zeigt auf die
       rothaarige Frau.
       
       In der Hand hält sie zusammengefaltete Geldscheine. Der bräunliche
       50-Euro-Schein blitzt hervor. Von dem Geld hätten sie etwas für die Kinder
       kaufen können, erzählen die Frauen. Das falle jetzt weg. Beide stehen an,
       um sich ihr Monatsticket zu kaufen. Beide wohnen in einer
       Mutter-Kind-Einrichtung. [1][Und beide wünschen sich das 9-Euro Ticket
       zurück.]
       
       Seit Donnerstag kann nicht mehr mit dem 9-Euro-Ticket gefahren werden. Die
       dreimonatige Entlastung ist vorbei. In diesen drei Monaten habe ich viel
       über das 9-Euro-Ticket gelesen. Über die Vorteile, die Nachteile. Über die
       besten Reiseziele und überfüllte Züge. Kein Ticket ziehen zu müssen, bevor
       man in die Bahn steigt, war plötzlich ganz normal. Fast so normal, man
       hätte glatt vergessen können, dass diese Leichtigkeit bald endet. Aber eben
       nur fast. Zu groß ist dafür die [2][finanzielle Belastung], die in diesen
       Krisenzeiten nun wieder auf manche Menschen zukommt.
       
       Vor dem Fahrkartenschalter der Berliner Verkehrsbetriebe hat sich eine
       lange Schlange gebildet. Ein junger Mann im grünen T-Shirt, vielleicht
       Mitte 20, beugt sich immer wieder zur Seite, um den Anfang der Schlange zu
       sehen. Er tut es in regelmäßigen Abständen, als könnte er dadurch die
       Wartezeit verringern. Ob es heute einen besonderen Ansturm auf die Tickets
       gebe, frage ich die Mitarbeiterin hinter dem Schalter. „Können Sie mal die
       Maske abnehmen, ich kann sie so ja nicht verstehen“, raunzt sie mich
       augenrollend an. Dabei ist mir eigentlich nach Augenrollen, wenn ich auf
       den „Der Zutritt ist nur mit FFP2-Maske erlaubt“-Zettel schaue, der neben
       dem Schalter hängt. Denn kaum jemanden scheint das hier zu interessieren.
       
       ## Entlastung statt Komfort
       
       Also brülle ich in meine Maske hinein, und bekomme eine Antwort.
       „Arbeitslosengeld II kommt am Ende des Monats. Darum kaufen die Leute jetzt
       ihr Ticket, am Ersten ist es hier immer so voll“, sagt sie. Natürlich sei
       das in den letzten drei Monaten anders gewesen. „Da war es dann sehr
       ruhig“, erinnert sie sich. Heute sei es aber eben wieder normal. Ein
       normaler Monatsbeginn, an dem die Berliner*innen ihr Monatsticket
       kaufen.
       
       Diese Normalität verspüre ich auch im Bahnhofsgebäude. Menschen rennen zu
       ihren Zügen, hier und da überschlagen sich die Rollen von voll gepackten
       Reisekoffern. Im Reisezentrum der Deutschen Bahn sieht es entspannter aus –
       überschaubare Schlangen. Nur das rote Plakat mit der großen Neun in der
       Mitte, das an der Scheibe hängt, erinnert an die letzten drei unbeschwerten
       Monate.
       
       Hier sind manche Berliner*innen auch froh darüber, dass das
       9-Euro-Ticket Geschichte ist. Zwei ältere Frauen stehen in der Schlange, um
       sich über das günstigste Reiseangebot zu informieren. Es soll an die
       Nordsee gehen. „Innerhalb Berlins ist das toll. Aber gerade mit Blick auf
       die lange Reise bin ich froh, dass das Ticket weg ist“, erklärt mir die
       eine. Fast schon unverschämt sei das gewesen, wie voll die Züge waren, sagt
       sie.
       
       Ja, das 9-Euro-Ticket stand nicht für Komfort. Dafür aber für bezahlbares
       Fahren. Für Flexibilität und Entlastung. Und für soziale Teilhabe. Ein Mann
       im dunkelblauen Blazer und langem Rauschebart erzählt mir, dass er über die
       Anforderungen der Menschen verwundert sei. Wenn man sich ein T-Shirt beim
       Discounter kauft, sagt er, erwartet niemand eine Qualität, die für immer
       hält. Beim 9-Euro-Ticket wollen die Menschen aber fast umsonst durch ganz
       Deutschland fahren und erwarten dann noch Sekt, fährt er fort. [3][Er
       wünscht sich eine Anschlusslösung.] Nicht für 9 Euro, aber eben eine, die
       die Menschen finanziell entlastet. Eine Lösung ohne Sekt, aber eben
       bezahlbar.
       
       1 Sep 2022
       
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 (DIR) Larena Klöckner
       
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