# taz.de -- Wartezeit für die Einbürgerung: Abgewimmelt und hingehalten
       
       > Die Wartezeit auf Einbürgerung ist oft unerträglich lang, teils braucht
       > die Bürokratie Jahre. In Aachen wurde nun die Goldene Warteschleife
       > verliehen.
       
 (IMG) Bild: Fast überall in Deutschland dauern Einbürgerungen skandalös lang
       
       AACHEN taz | Rachid ist seit 2010 in Deutschland. Seit Mai 2021 wartet der
       Mann, der ursprünglich aus Marokko kommt, auf den Einbürgerungsbescheid.
       Zwischendurch, erzählt er, lag der Antrag monatelang auf Eis, weil die
       Ausländerbehörde sich wegen [1][Corona] außerstande erklärte, für den
       verpflichtenden Einbürgerungstest. „Vor vier Monaten hieß es, man bearbeite
       gerade die Fälle vom Dezember 2020, jetzt heißt es: man sei bei Januar
       2021. Da will ich gar nicht weiterrechnen“, erzählt Rachid. Positives?
       „Doch“, berichtete er, „wenn man im Ausländeramt anruft, geht jemand dran.“
       Aber dann werde nur abgewimmelt.
       
       Rachids Geschichte reichte in einem besonderen Wettkampf am Mittwochabend
       zum 3. Platz: er trägt jetzt die Bronzene Warteschleife.
       
       Die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) in Aachen, sehr engagiert in der
       Flüchtlingshilfe, hatte den Contest ausgelobt. Sie vergab bei einer
       Preisverleihung in der Stadt feierlich die Warteschleifen in Gold, Silber
       und eben Bronze. Für besonders üble Erlebnisse mit dem Ausländeramt.
       
       Zehn KandidatInnen hatten sich zur Wahl gestellt: Alle erzählten sie
       absurde Geschichten vom Hinhalten, von bürokratischen Hürden. Einer
       berichtete, er sei vor bald zehn Jahren hergekommen, „jetzt möchte ich in
       Deutschland ankommen.“ Der eine bekam gesagt: Rufen Sie die nächsten 12
       Monate nicht an, dem anderen werden gleich 18 Monate gesagt. Sonst:
       Schweigen. „Warum sind nur so herzlose Menschen im Amt?“
       
       ## Bis zu 24 Monate warten in Berlin
       
       Eine fünfköpfige Jury hatte zu entscheiden. Einer der Juroren,
       Hochschulkanzler Manfred Nettekoven, schimpfte: „Wir haben es mit einer
       Behörde zu tun, die nur sich selbst schützt. ‚Rufen Sie nicht an!‘, ist
       immer die erste Anweisung. Das ist gegen das Rechtsstaatsprinzip.“
       
       Fast überall in Deutschland dauern Einbürgerungen [2][skandalös lang].
       Hamburg meldet mindestens sieben Monate Bearbeitungszeit, München acht bis
       zwölf, [3][in Berlin dauert es auch mal 24 Monate]. In Krefeld, so der
       dortige Flüchtlingsrat, warte man allein auf den obligatorischen
       Beratungstermin bisweilen ein volles Jahr. Die Stadt Köln will dagegen
       Fälle schon nach einem Monat abgeschlossen haben. Deutscher oder Deutsche
       zu werden ist ein undemokratisches Lotteriespiel, abhängig vom Wohnsitz und
       von der personellen Ausstattung der Ämter. Die ist oft schlecht.
       
       Überall klagen Ämter laut einer aktuellen Recherche des Südwestrundfungs
       über Personalmangel, hohe Krankenstände, Überbelastung, schlechte Stimmung
       intern. Als Hauptgründe dafür nennen mehr als 70 Prozent zu wenig geeignete
       Bewerber, zu wenige oder unbesetzte Planstellen, aber auch fehlende
       Räumlichkeiten oder eine zu geringe Bezahlung.
       
       Aachen liegt weit oben in der bundesweiten Warteschleife. „Die Dauer eines
       Einbürgerungsverfahrens liegt aktuell bei ca. 18 Monaten“, teilt die
       Städteregion mit. Im Durchschnitt. Und die Antragszahlen für „Einbürgerung
       in den deutschen Staatsverband“ steigen: 2021 gab es in Aachen 1.723, in
       diesem Jahr werden es deutlich über 2.000 sein. Und die „Nachwirkungen der
       [4][Flüchtlingswelle] aus 2015“, so die Behörde, stünden noch bevor, weil
       man frühestens nach sechs Jahren einen Antrag stellen kann.
       
       Der Flüchtlingsrat NRW schreibt: „Bundesweit erhielten 2021 rund 19.100
       syrische Staatsangehörige ihre Einbürgerungsurkunden – fast dreimal so
       viele wie im Vorjahr (6.700) und rund fünfmal so viele wie 2019 (3.860).“
       In Aachen sind derzeit 2.870 Anträge unbearbeitet.
       
       ## Wer Geld hat, ist im Vorteil
       
       Das sind 2.870 Schicksale, 2.870-mal Warten, immer neue Kosten, die oft
       komplizierte Verlängerung alter Pässe aus den Herkunftsländern,
       Jobprobleme, Reiseprobleme. Und Unsicherheit: Was wird wann? Dazu Zweifel:
       Bin ich überhaupt willkommen? Fluchttraumata und „die tiefgreifende
       psychische Entwurzelung“, erklärte am Mittwochabend ein Psychotherapeut auf
       der Preisverleihung, ließen sich nur auf fester Basis bewältigen. „Das geht
       nicht ohne Konzept, Halt, Integration, Heimat.“
       
       Zukünftig mehr Anträge heißt noch länger warten. Es sei denn, man versucht
       den deutschen Pass indirekt zu kaufen: Anwälte empfehlen die Androhung
       einer Untätigkeitsklage. Das kann aber leicht tausend Euro Honorar kosten
       oder mehr.
       
       Die Silberne Warteschleife ging schließlich an ein Ehepaar aus Syrien:
       Data-Ingenieur Elie und Finanzberaterin Luciana, die auch seit über einem
       Jahr warten. Elie sagt: „Ich darf das Land nicht verlassen. Neulich hatte
       meine Firma einen großen Auftrag von BMW Spanien. Ich war raus.“ Im Januar
       bekommen die beiden ein Baby. „Welche Papiere bekommt das Kind?“, fragt
       Luciana.
       
       Das kann ihnen die Pakistanerin Rakhshanda sagen, die Gewinnerin des
       Gold-Preises: womöglich keine. Ihr Kind, 2019 geboren, ist bis heute
       staatenlos. Sie erzählte ihre Geschichte vom langjährigen Aufenthalt hier,
       von ihrem Master-Abschluss, dem Job, – und brach dann unter Tränen ab.
       Markus Reissen, der zuständige KHG-Referent, kennt ihre Lebensgeschichte
       gut: „Das zieht dir die Schuhe aus.“
       
       Dann standen sie da, die Gekürten, auf großem schwarz-rot-goldenem
       Dreifachpodest wie bei Olympia, Warteschleife-Schärpen über den Schultern
       und lächelten bitter. Ein Triptychon der Anklage.
       
       715 Einbürgerungen wurden 2021 in der Region Aachen tatsächlich
       abgeschlossen. Für die 413 neuen MitbürgerInnen mit Wohnsitz in der Stadt
       Aachen selbst findet am Samstag, 27. August, im Rathaus eine Feier statt.
       Markus Reissen von der KHG fände es „eine charmante Idee“, wenn die 2.870
       aus der großen Warteschleife auch hingingen. „Nur da stehen. Einer könnte
       stumm ein Schild hochhalten: Wir müssen leider draußen bleiben.“
       
       25 Aug 2022
       
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