# taz.de -- Neues Album von Drummer Makaya McCraven: Solieren auf Seidenlaken
       
       > Jazz, der fast klingt wie instrumentaler R&B: „In These Times“ ist das
       > neue, diesmal komponierte Album des Schlagzeugers Makaya McCraven.
       
 (IMG) Bild: Makaya McCraven liefert kosmopolitischen Mischpult-Jazz
       
       Als der Chicagoer Drummer und Bandleader Makaya McCraven 2015 sein Album
       „In the Moment“ veröffentlichte, offenbarte er in den Songs eine Praxis,
       die seinen Sound vollständig transformiert hatte. Sie sorgte auf fulminante
       Weise dafür, dass McCraven jenseits der Jazzszene auf eine größere
       Umlaufbahn katapultiert wurde: Allwöchentlich hatte er im Jahr zuvor im
       kleinen [1][Chicagoer Club] The Bedford auf der Bühne gestanden, um sich
       einige der hochkarätigsten Musiker:innen der Stadt.
       
       Jene losen, groovebasierten Sessions, die dabei entstanden, hatte er
       komplett aufgenommen. Am Ende waren 48 Stunden Rohmaterial
       zusammengekommen, das McCraven im Studio akribisch nachbearbeitete, remixte
       und in zwingenden Schlussfassungen auf dem Album präsentierte.
       
       Einzigartig war, wie der 38-Jährige die Schnittarbeit an der Konsole in
       seinen Kompositionsprozess überführt hatte, sodass etwa Fragmente von
       Rhythmus oder Melodie, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten,
       zu kohärenten Songs wurden. Diese internalisierten McCraven und seine Leute
       und beackerten die Musik wiederum auf Tour.
       
       ## Cut&Paste am Mischpult
       
       Jener raffinierten Cut-&-Paste-Technik ist der US-Künstler auf den seither
       erschienenen Alben meist treu geblieben – mit erstaunlichem Erfolg. Bei
       Konzerten von Makaya McCraven [2][und einem wechselnden Line-up von
       Musiker:innen entsteht aus der sorgfältig gearbeiteten Mixtur durch
       Improvisation eine neue Schnittmenge,] irgendwo zwischen abgewandeltem
       Material und abgeschlossenen Kompositionen.
       
       Nun legt Makaya McCraven mit seinem neuen Album „In These Times“ eine
       Schippe drauf. Die neuen Songs seien in den sieben Jahren seit „In the
       Moment“ entstanden, heißt es. Jedenfalls ist er den Kompositionsprozess
       konventioneller angegangen und hat, statt von Jamsessions Miniaturen
       abzusamplen, Songideen am Notenblatt ausarrangiert. Es gab nie den
       leisesten Zweifel, dass McCraven, Sohn der ungarischen Musikerin Agnes
       Zsigmond und des langjährigen Archie-Shepp-Drummers Steve McCraven, selbst
       ein Könner an der Schießbude ist.
       
       Seine scheinbar tiefenentspannte Fähigkeit, Beats zu verschleppen und auf
       den Kopf zu stellen, macht den Unterschied. Makaya McCraven versteht es
       zudem meisterlich, vom Schlagzeug aus seine Combos zu dirigieren und sein
       Spiel so zu manipulieren, dass bei den Hörer:innen alle emotionalen
       Schalter anspringen. Er umgibt sich mit exzellenten Kolleg:innen, denen
       Improvisation ein Leichtes ist.
       
       ## Lehrgänge in Effizienz
       
       McCraven-Konzerte sind Lehrgänge in Effizienz: Die computergenerierten
       Songs werden mit viel Feuerwerk und rhythmischer Vielfalt zum Leben
       erweckt. Aber: Am Ende geraten die Darbietungen manchmal etwas zu
       streberhaft vorhersehbar. Sie wollen uns weismachen, sie seien Jazz, aber:
       Ihnen fehlen Überraschungsmomente. Der Musik mangelt jener Hauch Ärger, wie
       er den gefährlichsten Jazz auch in 100 Jahren auszeichnen wird.
       
       All das ist für „In These Times“ kaum von Bedeutung. Letztlich ist die
       Musik wie ein R&B-Instrumental-Album inszeniert, das mit dem Vokabular
       des Jazz gespickt ist. Auf fast allen der elf Tracks wird virtuos soliert.
       Erwähnenswert sind Trompeter Marquis Hill, Saxofonist Greg Ward und
       Harfenistin Brandee Younger. Ihre lakonischen Beiträge würde man eher auf
       einem Soulalbum der 1970er als auf einem zeitgenössischen Werk vermuten.
       
       Die 1970er beschwört McCraven als Klangära bewusst herauf: Die Arrangements
       teilen die Seidenlaken-Sinnlichkeit jener Zeit. Der Song „Dream Another“
       wird durch die extravaganten Arpeggios von Younger wachgekitzelt, genau wie
       von zackigen Pizzicato-Patterns eines Streichquartetts und dem nasalen
       Twang, den Matt Gold aus einer Danelectro Baby Sitar zaubert. Es ist ein
       Klangprofil, das eher an die Phillysoulband Delfonics erinnert, als an
       Delfayo Marsalis. Und das auch, obwohl hier gar nicht gesungen wird.
       
       ## Pointillistische Marimbas
       
       Zum Auftakt des Albums brandet zunächst Applaus auf, und die Rede eines
       Unbekannten ertönt, der den Anführern der Bürgerrechtsbewegung und ihren
       Zielen in einem alten Interview mit dem Chicagoer Autor Studs Terkel seine
       Solidarität versichert. Dazu gleiß eine Kaskade pointillistischer Marimbas
       auf, gespielt von Joel Ross und Becken, und weisen dem Rhythmus seinen Weg.
       
       Bevor wir allerdings in den Genuss des Beats kommen, mit dem McCraven wie
       gewohnt alle Musik anschiebt, klingt es durch ein opulentes
       Streicherarrangement zunächst balladesk. Golds Minisitar und eine Querflöte
       von De’Sean Jones dekorieren dieses wunderbare Etwas. Erst dann lässt Ward
       ein fettes Solo vom Stapel, das von einem [3][der
       1970er-Jahre-Motown-Meisterwerke] stammen könnte.
       
       Auch das nachfolgende Stück „The Fours“ beginnt mit einem gedämpften
       Schlagzeugpattern, bevor die muskulösen Basslinien von Junius Paul die
       Regie übernehmen. Weitere Instrumente greifen jeweils kontrapunktisch ein,
       bis der Bandleader mit routiniert geloopten Drums und schiefen Handclaps
       einsteigt. Soli gibt es keine, stattdessen brilliert hier das Arrangement:
       McCraven versetzt die Beiträge seiner Mitspieler:innen wie am Reißbrett
       und erzeugt so eine sich stetig verlagernde rhythmische Fantasielandschaft.
       
       Dass er am Mischpult und am Schlagzeug ein begnadeter Beatschmied ist, war
       bekannt. „In These Times“ zeigt jetzt eine XL-Fassung seines Stils. Aber
       McCraven drängt sich dem Jazz dadurch eben gerade nicht zwanghaft auf. Er
       hört genau hin und entwickelt dabei Ideen aus der Welt der Black Musik und
       darüber hinaus zu etwas Eigenem weiter.
       
       Obwohl das Highlight „Lullaby“, ein Stück, was vor allem durch Youngers
       Harfe und ein Geigensolo von Zara Zaharieva delikat klingt, nicht von
       ihm ist: Es basiert auf einer Komposition seiner Mutter zusammen mit Péter
       Dabasi und zeigt die Richtung an, in die es zukünftig gehen wird: eine
       Fusion von McCravens multikulturellem Erbe mit dem künstlerischen Ethos des
       Musikuniversalisten.
       
       Aus dem Englischen von Julian Weber
       
       22 Sep 2022
       
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