# taz.de -- Amazon-Serie „Jungle“: Zum Glück ist da Rap
       
       > In „Jungle“ kämpfen junge Menschen für ein besseres Leben. Die Geschichte
       > ist wenig originell, aber die Serie überzeugt trotzdem: mit Ästhetik und
       > Musik.
       
 (IMG) Bild: Marcus (Poundz) würde gerne Kunst studieren, doch muss sich um anderes kümmern
       
       Jede Handlung hat Konsequenzen, auch nicht intendierte. Manche Handlungen
       mit guten Intentionen resultieren in schlechten Konsequenzen. Und je
       nachdem, welche Ressourcen einer Person im Leben zur Verfügung stehen,
       können sich diese Konsequenzen mehr oder weniger existenziell auswirken.
       Das ist das Grundmotiv der britischen Serie „Jungle“, das von der Stimme
       aus dem Off, die sich am Anfang und Ende in jeder der sechs Episoden zu
       Wort meldet, immer wieder vorgetragen wird.
       
       Auch sonst philosophiert diese Stimme über das Leben der Charaktere der
       Serie herum: „Unsere Sprache spiegelt die Umwelt wider, in der wir
       aufgewachsen sind, sie ist hart und gnadenlos.“ Oder gleich auf Metaebene
       über die Form, in der diese Serie unschöne gesellschaftliche Realität
       verhandelt und daraus Unterhaltung produziert: „Was wäre, wenn ich dir
       sagen würde, dass das alles wahr ist?“
       
       „Jungle folgt den Leben verschiedener Personen, die miteinander verbunden,
       obwohl sie einander fremd sind. Jede dieser Personen ist mit ihrem eigenen
       Kampf konfrontiert“, kündigt Amazon die Serie dann aber doch etwas zu
       bedeutungsschwanger an.
       
       ## Im düsteren Dystopie-London
       
       Konkret geht es um junge Menschen aus der Londoner Unterschicht, deren
       Träume auf den ersten Blick kein Material für das Genre Gangstermovie
       bieten: Jessica (Nadia A’Rubea) und Gogo (Ezra Elliot), etwa Mitte zwanzig,
       wollen einfach eine bürgerliche Kleinfamilie gründen. Sie erwarten ein Kind
       und würden sich gerne mental und praktisch darauf vorbereiten. Das geht
       aber nicht, weil bei Gogos letztem Raubüberfall (er hat versprochen: das
       letzte Mal!) nicht alles nach Plan läuft – und er deshalb weitermachen
       muss. Die finanzielle Abhängigkeit von seinem Komplizen erschwert den
       Ausstieg zusätzlich.
       
       Teenager Marcus (Poundz) sitzt am liebsten stundenlang in seinem Zimmer und
       zeichnet. Hätte er nicht die drogensüchtige Mutter Vivian (Madeline
       Appiah), die er ebenso versorgen muss wie seinen kleinen Bruder Danial
       (Seyi Andes-Pelumi), würde er möglicherweise Kunst studieren. Aber es ist
       halt nicht so und dann ist da noch diese Gewalttat, die er mal begangen
       hat, obwohl er eigentlich ein ganz lieber Kerl ist, und die ihn jetzt
       wieder einholt.
       
       [1][Die Motive von „Jungle“ sind also nicht unbedingt originell.] Gangster,
       die vergeblich versuchen, aus der Illegalität auszusteigen, gab es in
       Serien und Filmen schon zuhauf. Genauso ist es mit Kindern, die wegen ihrer
       prekären Ausgangsbedingungen sehr schnell erwachsen werden und zu früh zu
       viel Verantwortung übernehmen müssen. Was diese Serie aber von ähnlichen
       Serien wie der sehenswerten und ebenso britischen Netflix-Produktion „Top
       Boy“ unterscheidet, ist die formale und ästhetische Umsetzung, die sie dann
       doch sehr aufregend macht: Gogo und Marcus bewegen sich nämlich durch ein
       futuristisches, von Hologrammen durchzogenes düsteres Dystopie-London. Der
       Kontrast zwischen Wolkenkratzern und sozialer Verwahrlosung erinnert sehr
       an Batmans Gotham City.
       
       ## Gleichzeitig von Unschönem und Schönem
       
       Hinzu kommt, dass die Figuren nicht nur miteinander reden, einander
       abziehen oder töten, sondern gegen- oder miteinander rappen. Viele der
       Darsteller:innen stammen aus den Reihen mehr oder weniger bekannter
       britischer Grime- und Drill-Musiker:innen: Tinie Tempah zum Beispiel, der
       als Tinie eine Art Mentor von Gogo spielt; Rapper RA als Gogos Komplize
       Slim oder die Musikerin IAMDDB als Schmuckhändlerin Mia Mor$.
       
       Möglicherweise ging es den Produzent:innen Junior Okoli und Chas
       Appeti, die unter dem Label Nothing Lost zusammenarbeiten, auch gar nicht
       hauptsächlich darum, durch das Erzählerische zu überzeugen. Sondern durch
       die unbehagliche und irritierende Gleichzeitigkeit von Unschönem und
       Schönem etwas in Bewegung zu setzen.
       
       Weil man aber eben nicht alles haben kann, wirkt so mancher
       schauspielerische Auftritt etwas holprig. Für ein deutsches Publikum,
       [2][das sich für Rap im Allgemeinen] und die britische Rapszene im
       Besonderen interessiert, bieten die vielen neuen Musiker:innen, die man
       beim Serienschauen kennenlernt, eine gerechte Kompensation.
       
       13 Oct 2022
       
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