# taz.de -- Sabotage im Krieg: Kritische Infrastruktur gefährdet?
       
       > Der russische Invasionskrieg in der Ukraine trifft auch unsere
       > Versorgungswege. Wie angreifbar sie sind? Die wichtigsten Fragen und
       > Antworten.
       
 (IMG) Bild: Einer der wenigen technischen Taucher, die unter Wasser schweißen können
       
       Nach der [1][mutmaßlichen Sabotage] der Pipelines Nord Stream I und II ist
       die Sicherheit kritischer Infrastrukturen ganz oben auf der politischen
       Agenda gelandet. Was bedeutet der Begriff? 
       
       Damit Unternehmen arbeiten können, die Kita geöffnet bleibt und im
       Supermarkt Obst, Gemüse und Milchprodukte verfügbar sind, braucht es vor
       allem Energie, aber auch Verwaltung, Logistik, Transportmittel und
       Arbeitskräfte. All diese Systeme zählen zur kritischen Infrastruktur. Hinzu
       kommt der ungehinderte Zugang zu Medien. Der Begriff „kritisch“ bezieht
       sich dabei auf die Systemrelevanz dieser Infrastrukturen. Sie sind die
       Grundvoraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft funktionieren kann.
       
       Wie gefährdet ist unsere kritische Infrastruktur? 
       
       Hochwasser, Stürme oder andere Naturkatastrophen belasten Infrastrukturen.
       Die Coronapandemie hat gezeigt, wie schnell Einrichtungen des
       Gesundheitswesens an ihr Limit kommen. Durch den russischen Angriffskrieg
       auf die Ukraine ist die Zerbrechlichkeit unserer kritischen Infrastruktur
       noch sichtbarer geworden. Durch die Pipelines strömt nach den Explosionen
       so gut wie kein Gas mehr, durch die [2][Getreideblockade] verteuerten sich
       weltweit die Lebensmittel. Der Krieg ist ein [3][hybrider Krieg], der nicht
       nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch am Energiemarkt und – wie wir jetzt
       erleben – unter Wasser ausgetragen wird.
       
       Dort befinden sich auch jene Unterwasserkabel, mit denen wir an das
       Internet angeschlossen sind. Doch in Tausenden Metern Tiefe ist es quasi
       unmöglich, diese Kabel vor Sabotage zu schützen. Auch die Wartung ist
       schwierig, da die Daten über den Zustand der Kabel nirgendwo
       zusammengeführt werden. Zudem gibt es weltweit nur wenige Spezialschiffe,
       mit deren Hilfe solche Kabel repariert werden können.
       Wissenschaftler:innen beklagen eine „kollektive Meeresblindheit“, die
       beschreibt, wie sehr das Treiben im Meer politisch vernachlässigt wird.
       
       Wer ist für den Schutz dieser Infrastruktur zuständig? 
       
       Es ist kompliziert. Die Betreiber stehen vor allem in der Pflicht. Im Fall
       der Pipelines, die unmittelbar Teil des aktuellen Kriegsgeschehens sind,
       helfen Schweden und Dänemark bei der Aufklärung. Aber auch die EU und die
       Nato-Staaten. Die Bundeswehr hat ein Minentaucher-Einsatzboot geschickt,
       die Bundespolizei will verstärkt an den deutschen Küsten kontrollieren. Und
       natürlich sollen die Geheimdienste Informationen liefern. Vor Attacken auf
       die Unterwasserkabel wurde mehrfach gewarnt. Insgesamt zeigt der Fall zu
       den Pipelines erneut, dass Zuständigkeiten nicht geklärt sind und im
       Krisenfall hektisch agiert werden muss.
       
       Und wie sieht es in Deutschland aus? 
       
       Die oberste Zuständigkeit für den Schutz kritischer Infrastruktur liegt
       beim Bundesinnenministerium. Aber die Betreiber der Infrastrukturen müssen
       eigene Schutzmaßnahmen gewährleisten, die Länder für polizeiliche Maßnahmen
       sorgen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erstellt
       Empfehlungen und Leitfäden für Betreiber – und berät quasi für den
       Krisenfall. Laut Bundesdigitalministerium soll auch die „Resilienz“ von
       Telekommunikationsnetzen erhöht werden.
       
       Die Bundesnetzagentur ist beauftragt, diesen „Branchendialog zwischen
       Unternehmen, Verbänden und Behörden fortzusetzen und die Umsetzung der
       vorgeschlagenen Maßnahmen zu begleiten“. Laut Koalitionsvertrag ist ein
       sogenanntes Kritis-Dachgesetz geplant, um kritische Infrastruktur sowohl
       physisch als auch digital besser zu schützen. Konkretes gibt es bisher aber
       nicht.
       
       Wie groß ist die Gefahr von Sabotage im virtuellen Raum? 
       
       Ob Kläranlagen, Logistik oder Strom- und Wasserversorgung. Alles wird in
       der Regel digital gesteuert. Systeme sind miteinander vernetzt und abhängig
       voneinander. Mit der Freude über den technischen Fortschritt und der damit
       verbundenen Arbeitserleichterung wird auch die Bedrohung aus dem Netz für
       die Anlagen größer. Ein Beispiel: Im Juli 2021 waren [4][im Landkreis
       Anhalt-Bitterfeld mehrere Server mit einer Ransomware infiziert worden].
       Daten wurden verschlüsselt und von den Erpressern ein Lösegeld gefordert.
       
       Die Folge: Sozialhilfe, BAföG, Eltern- und Kindergeld konnten nicht
       ausgezahlt werden. Vom Führer- bis zum Angelschein war keine Ausgabe
       möglich. Die komplette Verwaltung: Out of order. Bis auf die Telefonanlage.
       Der Landrat rief den Katastrophenfall aus, bundesweit erstmals wegen eines
       Cyberangriffs. Der Schaden wird auf etwa zwei Millionen Euro geschätzt. Das
       ist eine Menge Geld für eine 160.000-Einwohner:innen-Gemeinde.
       
       Wer sorgt für Schutz vor Cyberangriffen? 
       
       Kommt es zu einem Cyberangriff – wie zum Beispiel in Anhalt-Bitterfeld –
       sind zunächst die Behörden in den Kommunen zuständig. In diesem Fall das
       Landratsamt. Betroffene Organisationen, auch Unternehmen, können das
       Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) über das
       Nationale IT-Lagezentrum einschalten. Ist der Fall besonders schwerwiegend,
       wird ein sogenannter BSI-MIRT-Einsatz ausgelöst. Expert:innen werden
       entsendet, analysieren technische Daten und beraten, um Schaden abzuwenden.
       
       Spätestens der Fall Anhalt-Bitterfeld hat zu der bitteren Erkenntnis
       geführt, dass es für solche Fälle zu wenig Expert:innen gibt, die
       schnell eingreifen können. Anders als bei Hochwasser, Stürmen oder anderen
       Katastrophen gibt es zudem bisher keine ehrenamtlichen oder
       zivilgesellschaftlichen Gruppen, die die Menschen in den betroffenen
       Gebieten umgehend unterstützen.
       
       Das Technische Hilfswerk schleppt Sandsäcke bei Überflutungen. Kirchliche
       Organisationen versorgen Menschen, die ihre Häuser verloren haben, mit
       Unterkünften. Solche Hilfssysteme gibt es für den Angriff aus dem
       virtuellen Raum bisher nicht. Die AG Kritis fordert eine Art THW auch für
       Cyberangriffe. Dieses Cyberhilfswerk soll im Krisenfall schnell
       IT-Expert:innen zusammenholen, um Schutzmaßnahmen auch im digitalen Raum zu
       aktivieren. Das Bundesforschungsministerium fördert Wissenschaftsprojekte,
       die Cyberangriffe analysieren, Schulungen entwickeln und somit den Schutz
       kritischer Infrastrukturen aufbauen wollen.
       
       9 Oct 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tanja Tricarico
       
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