# taz.de -- Gedenken an Halle-Anschlag: Sie werden nicht müde
       
       > Zum dritten Mal jährt sich das Attentat von Halle. In der Stadt gab es am
       > Sonntag Gedenkveranstaltungen – nicht jede:r zieht dieselben Schlüsse
       > aus der Tat.
       
 (IMG) Bild: Am Sonntag wurde im Innenhof der Synagoge dem Anschlag gedacht
       
       HALLE taz | In einem sind sich alle einig: Dieses Datum, der 9. Oktober,
       gehört vor allem zwei Menschen: [1][Jana L. und Kevin S.] Vor drei Jahren,
       es war ein Mittwochmittag, [2][versuchte ein Rechtsextremist die Synagoge
       in Halle zu stürmen] und schoss in dem nahegelegenen Kiez-Döner um sich.
       Jana L. und Kevin S. starben an seinen von Hass geleiteten Kugeln. Ihnen
       gilt das Gedenken.
       
       Und doch gibt es zu diesem Tag [3][verschiedene Orte und Formen des
       Gedenkens]: Da sind das zentrale Gedenken der Stadt Halle mit der jüdischen
       Gemeinde an deren Synagoge, eine Veranstaltung beim Tekiez, dem früheren
       Kiez-Döner, verschiedene Kundgebungen und das Festival of Resilience vom
       jüdischen Verein Hillel.
       
       Am Sonntag, kurz vor 12 Uhr, steht die Holztür zum Synagogengelände weit
       offen und doch kommen nicht alle hinein. Es sind mehr Menschen gekommen,
       als der Vorplatz der Synagoge fassen kann. „Genau vor drei Jahren fand
       hier draußen, ungefähr 10 Meter vom Platz wo wir stehen, eines der
       schlimmsten Ereignisse im Leben von vielen von uns statt“, sagt der
       [4][Gemeindevorsteher Max Privorozki]. Er appelliert, an diesem Tag keine
       politischen Forderungen zu stellen.
       
       Doch die vergangenen Jahre haben gezeigt: Für manche ist eben dieser
       Jahrestag einer der wenigen Tage, an denen sie Gehör finden.
       
       ## Im Tekiez sitzen sie bei Çay und Kaffee
       
       600 Meter weiter, 13 Uhr. Im [5][Tekiez] sind die runden Cafétische
       zusammengeschoben. Um sie sitzen Betroffene des Attentats,
       Unterstützer:innen und die Landesopferbeauftragte Gabriele Thelen bei
       Çay und Kaffee zusammen. Sie sprechen nicht über das, was vor drei Jahren
       passierte. Sie sprechen über das, was seitdem passierte: über psychische
       Belastungen und den Umbau des Dönerimbiss zum Café. Sie sprechen über das
       was nicht passierte: Unterstützung durch die Stadt Halle.
       
       „Einen Kaffee hier zu trinken, hat hier mehr Bedeutung als ein normaler
       Kaffee. Er hilft zu erinnern und weiterzumachen“, sagt İsmet Tekin,
       Eigentümer des Tekiez der Opferbeauftragten. „Das ist kein normaler Laden.
       Er hat Bedeutung für die Demokratie.“ Noch im vergangenen Jahr hing vor dem
       Fenster des Tekiez eine politische Forderung: „Kein Gedenken ohne
       Betroffene“. An diesem Tag ist in und vor dem Laden genau dafür Raum.
       
       Vor dem Tekiez, 14 Uhr. Fünf junge Menschen in Jogginghose blicken auf
       Blumenkränze der Stadt Halle, dem Land Sachsen-Anhalt, dem türkischen
       Generalkonsulat. Einer löst sich aus der Gruppe und geht auf einen
       Unterstützer des Tekiez zu. „Habt ihr eine Kerze oder so, damit wir
       irgendwas haben? Wir sind Freunde von Kevin.“ Er zieht seine Gürteltasche
       von der Brust und zeigt auf seinen Pullover. Darauf ist das Symbol des
       [6][Halleschen FC, Kevins Fußballverein]. Einige Augenblicke später liegen
       fünf Teelichter in den Händen des Mannes. Eins für jeden der Freunde.
       
       ## Stimmen von Betroffenen rechter Gewalt
       
       Ein Mann baut derweil Boxen vor dem Laden auf. Durch sie tönen später am
       Nachmittag die Worte Betroffener rechter Gewalt – von Überlebenden und
       Hinterbliebenen aus Halle, Hanau, München, Mölln, Duisburg, Hamburg,
       Nürnberg, Köln. Hunderte Menschen hören ihnen zu.
       
       „Natürlich seid ihr müde. Ich bin müde. Aber meine Freunde, ‚müde‘ ist ihr
       Ziel. Lasst es nicht unseres sein“, sagt Rebecca Blady, Überlebende aus der
       Synagoge in Halle.
       
       „Heute sind wir hier in Solidarität mit euch, so wie ihr oftmals bei uns in
       Hanau wart. Der Schmerz verbindet uns“, sagt [7][Serpil Temiz Unvar],
       Mutter von Ferhat Unvar, der 2020 in Hanau ermordet wurde. „Wir müssen laut
       sein. Nur wenn wir laut sind, wird sich etwas ändern. Erinnerung heißt
       Veränderung.“
       
       „Liebe Familie L., liebe Familie S., meine Gedanken und mein Herz sind
       heute bei euch. Es gab viele Betroffene und Überlebende in Halle. Euer
       Schmerz ist mein Schmerz. Fühlt euch nicht allein“, sagt Aynur Satir,
       Überlebende des rassistischen Brandanschlags 1984 in Duisburg.
       
       „Was mir Stärke gibt, sind Betroffene von rechter, rassistischer und
       antisemitischer Gewalt, die immer wieder unermüdlich weiterkämpfen,
       Widerstand leisten und ihre Geschichten erzählen. Was ich mir für die
       Zukunft wünsche, ist, dass wir ein riesengroßes Netzwerk haben, wo wir
       gemeinsam intervenieren dürfen“, sagt İbrahim Arslan, Überlebender der
       rassistischen Brandanschläge 1992 in Mölln.
       
       Die Betroffenen sprechen längst nicht mehr als Opfer. Sie sprechen über
       Zusammenhalt und Kraft, Solidarität und Resilienz. Sie sprechen als
       Verbündete von Janas und Kevins Angehörigen und allen Betroffenen rechter
       Gewalt. Dieses Netzwerk, von dem İbrahim Arslan spricht, gibt es. Und es
       ist, so scheint es an diesem Tag, längst stärker als die Taten, aus denen
       es gewachsen ist.
       
       9 Oct 2022
       
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 (DIR) Pia Stendera
       
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