# taz.de -- Kompositionslehrer über Weltraum-Oper: „Hirn und Universum ähneln sich“
       
       > Musiktheater-Projekt zu den ganz großen Fragen: In Hamburg treffen
       > Kompositions-Studierende auf Weltraum-Expert*innen.
       
 (IMG) Bild: Inspirierend: Sternentstehungsregion im Carina-Nebel, aufgenommen vom James-Webb-Weltraumteleskop
       
       taz: Herr Hajdu, haben Musik und Weltraumforschung etwas miteinander zu
       tun? 
       
       Georg Hajdu: Ja, schon. Das geht auf Kepler zurück, …
       
       … Johannes Kepler, deutscher Astronom und Mathematiker des späten 16.
       Jahrhunderts, …
       
       … der die Harmonien der Welten beschworen hat. Und wahrscheinlich auch auf
       die alten Griechen: Die haben in die Bewegung der Gestirne grundsätzlich
       Musikalisches hineininterpretiert. Bei Pythagoras findet man den Gedanken
       von der Einheit der Welten als philosophische Idee; ausgehend von der
       Mathematik und einfachen Proportionen, die er dann auch in der Musik
       abbildet. Dieser Gedanke, dieses Konzept ist schon sehr alt.
       
       Wie ist nun das Projekt „A Space Journey“ zustande gekommen? 
       
       Jede Idee hat so ihre Evolution. Ich habe 2007 ein Stück geschrieben mit
       dieser besonderen Skala, …
       
       … der [1][Bohlen-Pierce-Tonleiter], …
       
       … die auch jetzt zum Einsatz kommt. Auch damals ging es ums Weltall und
       Dunkle Energie. Und die erwähnte Skala eignet sich sehr gut, um kosmische
       Dimensionen darzustellen; quasi als klangliche Metapher. Diese Idee hatte
       ich schon relativ früh. Und vor einigen Jahren bin ich dann mit einem der
       nun auch beteiligten Komponisten in die Diskussion getreten über die
       Möglichkeit, ein Event zu konzipieren. Das Projekt mussten wir dann aber
       erst mal auf Eis legen. Irgendwann kam dann „Hamburg Innovation“ ins Spiel.
       
       Was ist das? 
       
       Eine Serviceeinrichtung für Forschung und Transfer, getragen von allen
       hiesigen Hochschulen. Die haben eine Art Steckbrief von mir erstellt, und
       in dem Zusammenhang kam die Idee auf, dass wir als Musikhochschule für ein
       Projekt mit der [2][Sternwarte in Hamburg-Bergedorf] zusammenarbeiten
       könnten.
       
       Und dabei konnten Sie zurückgreifen auf frühere Ideen? 
       
       Ja, genau.
       
       Angekündigt wird nun „multimediales“ Musiktheater. Das klingt einerseits
       nach einem etwas anderen Musiktheater. Andererseits muss der Einsatz von
       Multimedia heute ja nicht mehr besonders betont werden, so etwas gehört
       vielfach einfach dazu; auch im Musiktheater bewegt sich ja etwas. 
       
       Das hat sich in gewisser Weise längst angenähert, Multimedia und das
       Theatrale. Dass da Menschen hinter irgendwelchen Rechnern saßen, es keine
       Körperlichkeit gab, ist lange her. Wir sind auf das Musiktheater
       zugedriftet – und das Musiktheater auf uns: Da gab es auch junge
       Regisseure, die experimentieren wollten und das Bestehende als Stillstand
       erlebt haben.
       
       Sie haben da nun eine interessante Arbeitsweise entwickelt. 
       
       Wir arbeiten mit Studierenden der Regie, die sich zusammentun mit
       Komponist*innen mit Multimediaerfahrung und Experten von der Sternwarte
       – Musiker-, Regisseur- und Wissenschaftler*in bilden ein Team.
       
       Es sind nun acht solcher Teams. Hat die Zahl eine Bedeutung? 
       
       Nein. Wir waren mal bei neun, dann ist jemand abgesprungen.
       
       Es wird also acht kurze, multimediale Musikstücke geben, die sich zu
       „Stationen auf einer Reise durch das Universum“ verbinden. Was heißt
       Stationen in diesem Zusammenhang? 
       
       Das ist ganz unterschiedlich. Es ist so, dass jedes Thema eine bestimmte
       Anzahl von Minuten beisteuert, jede dieser Szenen dauert nun zehn Minuten.
       Dann gibt es noch ein dreiteiliges Stück von mir, quasi als Rahmen.
       Inhaltlich stiftet den der Roman „Solaris“ von [3][Stanislaw Lem]. Diese
       narrative Klammer hält also die musikalisch und dramaturgisch teils sehr
       unterschiedlichen Szenen zusammen.
       
       Wie genau? 
       
       Wir fangen mit dem Kosmos an, den größten Strukturen, die wir im Universum
       kennen. Und zoomen sozusagen rein, sodass wir in der Mitte des Projekts im
       Mesokosmos angekommen sind, [4][das ist bei „Solaris“ der Ozean, der den
       Planeten umschließt]; der so mysteriös ist, den wir nicht verstehen können.
       Wir können forschen, forschen, forschen, aber wir durchdringen ihn nicht.
       Am Schluss geht es dann um die Dimension des Bewusstseins, das ja erst
       entsteht durch Aktionen des Gehirns, der Neuronen. Da befinden wir uns dann
       auf dem Level des Mikrokosmos, sozusagen.
       
       Es geht also um das Universum – nicht zu verwechseln mit dem Weltraum.
       
       Genau. Interessant ist: Das Gehirn und die Filamentstruktur des Universums
       …
       
       … abgeleitet vom lateinischen „filum“, Faden: Die Idee ist, dass das
       Universum einer Wabenstruktur oder einem Netz ähnelt … 
       
       … weisen erstaunliche Ähnlichkeiten auf. Es gibt ein Paper, verfasst von
       Astronomen und Neurophysiologen, in dem aufgezeigt wird, dass die
       hierarchische Struktur des Weltalls und jene des Gehirns sehr viele
       Überschneidungen aufweisen. Und beides gehört zu den komplexesten Gebilden,
       die wir kennen.
       
       Wir sprachen eingangs von der besonderen Tonleiter, derer Sie sich bei dem
       Projekt bedienen: die Bohlen-Pierce-Skala. Was ist das? 
       
       Heinz Bohlen war ein Mikrowelleningenieur, auch eine Zeit lang in Hamburg
       tätig. Und der hat sich gefragt. [5][Warum müssen es zwölf Töne sein, die
       eine Oktave ergeben?] Geht das nicht auch anders? Ausgehend davon ist er
       auf eine Alternative gestoßen, eine Art musikalischer Parallelwelt. Ich
       vergleiche das gerne mit der Exobiologie.
       
       Die sich beschäftigt mit der Möglichkeit außerirdischen Lebens. 
       
       Da stellt man sich ja auch solche Fragen: Warum muss eine DNA aus genau
       diesen vier Nukleotiden bestehen? Geht das nicht auch anders? Wie hoch ist
       die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn wir irgendwo Leben finden, das unsere
       DNA verwendet? Und das fragen wir uns hier halt musikalisch: Gibt es
       Alternativen? Und es stellt sich heraus: Ja, die gibt es. Der Abend „A
       Space Journey“ ist der Beweis dafür, dass sich Musik schreiben lässt in
       einem völlig parallelen Universum. [6][Da hat die Hochschule sogar
       Pionierarbeit geleistet.]
       
       Inwiefern? 
       
       Seit 2007 entwickeln wir richtige Instrumente für diese Skala, die zum Teil
       ganz anders funktionieren, eine andere Mechanik haben. Aber ich wollte auch
       noch etwas zu Herrn Pierce sagen.
       
       Bitte! 
       
       John R. Pierce war auch Ingenieur, Kommunikationsingenieur, und daran
       beteiligt, den ersten künstlichen Satelliten in den Weltraum zu bringen.
       Wenn man nun ans [7][James-Webb-Observatorium] denkt: Das geht natürlich
       irgendwie darauf zurück. Er war auch derjenige, der dem Transistor seinen
       Namen gegeben hat. Ein ganz wichtiger Mann also, der sich auch für Musik
       interessierte. Er ist, unabhängig von Herrn Bohlen, auch auf diese Skala
       gestoßen.
       
       Wenn ich da nun im Publikum sitze: Höre ich, dass es eine andere Skala ist? 
       
       Es ist zwar strange, man merkt: Da ist etwas anders. Aber es ist nicht wie
       bei noch mal anderen Skalen, dass man denkt: Oh, das ist aber schräg.
       Sondern sie lädt einen ein, zieht rein in ihre Fremdartigkeit.
       
       21 Oct 2022
       
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