# taz.de -- Russlandpolitik der Sozialdemokraten: Die Illusionen der SPD
       
       > Parteichef Lars Klingbeil kritisiert vier Irrtümer der SPD in Sachen
       > Russland. Putin sei kein vertrauenswürdiger Partner. Doch manches bleibt
       > vage. 
       
 (IMG) Bild: Frank-Walter Steinmeier und Sergei Lawrow bei Ukraine-Beratungen in der Villa Borsig am 17.8.2014 in Berlin
       
       BERLIN taz | Im Wahlprogramm der SPD von 2021 steht: „Frieden in Europa
       kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“ Seit dem
       [1][russischen Überfall auf die Ukraine] am 24. Februar ist diese
       Einschätzung offenkundig Makulatur. Die SPD hatte, wie Union und die
       deutsche Industrie auch, in der Russland-Politik lange auf gute Geschäfte
       und Diplomatie gesetzt. Vor allem die SPD hatte die Energiedeals mit Moskau
       mit historischer Bedeutung und Moral aufgeladen, indem sie diese mit dem
       der Entspannungspolitik von Willy Brandt entlehnten Slogan „Wandel durch
       Annäherung“ garniert hatte.
       
       Zeit also für eine Korrektur. „Wandel durch Annäherung ohne politische
       Agenda funktioniert nicht“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil am Montagabend im
       Willy-Brandt-Haus. Angekündigt war eine selbstkritische Bestandsaufnahme
       des SPD-Vorsitzenden, der lange persönlich eng mit dem Gazprom-Lobbisten
       Gerhard Schröder verbunden war. Klingbeil identifizierte vier grundlegende
       Fehler seiner Partei.
       
       Man habe die Bedeutung der gemeinsamen Geschichte überschätzt, so der
       SPD-Chef etwas wolkig. Gemeint ist wohl, dass Moskau wegen des
       NS-Vernichtungskrieges nicht nur für die Sozialdemokraite eine Art
       moralischen Bonus hatte. Zudem habe die SPD nicht realisiert, dass Russland
       seit langem „innenpolitisch repressiver und außen politisch aggressiver“
       wurde. Letzteres meint offenkundig die Annexion der Krim 2014 und die
       Aggression im Donbas.
       
       Drittens habe man sich leichtfertig abhängig von billigen Energieimporten
       aus Russland gemacht. Und zudem habe man mit starrem Blick auf Moskau die
       kritischen Einwände aus Ostmitteleuropa nicht berücksichtigt. „Wir hätten
       mehr auf unsere Partner in Ostmitteleuropa hören müssen.“ Klingbeil betonte
       angemessen zerknirscht, dass die Reihe „der blinden Flecken“ nicht
       vollständig und wohl noch länger sei.
       
       ## Klingbeil schwieg zu Schwesig
       
       Auffällig war, wozu Klingbeil nichts sagte. Kein Wort zu der [2][engen
       Zusammenarbeit der Schweriner SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig mit
       Gazprom] in Sachen Nord Stream 2, kein Wort zu der [3][Russland-Connection
       des Ex-SPD-Kanzlers Gerhard Schröder]. Einen Bogen machte der SPD-Chef auch
       um die von dem damaligen SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier
       verantworteten Minsker Abkommen. Keine Kritik, keine Verteidigung.
       
       Dafür nahm Klingbeil lieber die Zukunft ins Auge, die es mit einem
       Dreiklang zu bewältigen gelte. Es brauche eine starke EU. Deutschland soll
       dort eine Führungsrolle spielen und zudem international verhindern, dass
       Putin einen antiwestlichen Block schmiede.
       
       „Russland hat sich aus dem System der gemeinsamen Sicherheit verabschiedet.
       Unsere Sicherheit muss ohne Russland funktionieren“, sagte Klingbeil. Der
       SPD-Chef fügte hinzu, dass sich Russland fundamental ändern müsse, damit es
       wieder „ein gemeinsames Vorgehen bei Klimafragen und Abrüstung“ geben
       könne. Also keine Rüstungskontrolle mehr? Keine Beteiligung Russlands an
       Klimaschutzabkommen? Klingbeils Formulierung ließ viel offen.
       
       Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff kritisierte in der
       anschließenden Debatte, dieses neue Sicherheitskonzept sei „zu kurz
       gedacht“. Vielmehr müsse der Westen Russland, so wie es jetzt ist, also mit
       Putin, illusionslos in Sicherheitskonzepte miteinbeziehen. Der Westen müsse
       wieder lernen, was er zu Zeiten des Kalten Krieges konnte – „aus Feinden
       Gegner machen“.
       
       Klingbeil konterte, dass Putin kein vertrauenswürdiger Partner mehr sei,
       weil er „uns angelogen hat“. Deitelhoff beharrte darauf, dass Vertrauen nur
       in der Innenpolitik essenziell sei. In der Außenpolitik sei Kooperation
       etwa bei Rüstungsbegrenzungen „auch ohne Vertrauen“ möglich. Obwohl es gut
       und nötig sei, dass die EU weitgehend geschlossen die Sanktionen gegen
       Russland trage, warnte Deitelhoff vor llusionen. Der Ukrainekrieg werde
       nicht automatisch für eine verstärkte Integration der EU sorgen.
       
       Klingbeil betonte, dass er keine neue Russland-Politik der SPD formuliert
       habe. Dafür sei es zu früh. Die neue Russland-Politik wolle er im Gespräch
       mit ostmitteleuropäischen Ländern entwickeln. Die Aufarbeitung der
       Russland-Politik der SPD ist also keineswegs beendet. Erfreulich wäre, wenn
       die Selbstkritik konkreter wäre. Ohne Bewertung der wesentlich von
       SPD-Ministern forcierten Krisendiplomatie nach der Annexion der Krim bleibt
       das Bild unvollständig.
       
       19 Oct 2022
       
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