# taz.de -- Belarus im Krieg gegen die Ukraine: Lukaschenkos verdeckte Mobilmachung
       
       > Putins engster Partner hilft im russischen Krieg gegen die Ukraine – und
       > rekrutiert vor allem treue Gefolgsleute, um seine Gegner waffenlos zu
       > halten.
       
 (IMG) Bild: Bewohner inspizieren eine Ausstellung von Armeefahrzeugen zum Minsker Stadt-Tag am 10. September
       
       MINSK taz | In Minsk herrscht Altweibersommer: blauer Himmel, eine
       strahlende Sonne, gelbe Blätter und saftige Äpfel. Manche Pflanzen haben
       sich dazu entschlossen, ein zweites Mal zu blühen. Auf dem Markt werden die
       Geschenke des Waldes verkauft – Pilze und Preiselbeeren. Doch über die
       Köpfe der Menschen fliegt ein Kampfflugzeug hinweg.
       
       In Belarus hat die Ankunft der ersten Angehörigen russischer
       Luftstreitkräfte als Teil einer [1][gemeinsamen regionalen Truppe]
       begonnen. Diese werde in Belarus ausschließlich zur Verstärkung der
       Verteidigung der Grenzen des Unionsstaates eingesetzt, versicherte ein
       Sprecher des Verteidigungsministeriums. Aufgrund der angespannten Lage um
       Belarus sei „die Notwendigkeit gegeben, eine Reihe zusätzlicher
       strategischer Eindämmungsmaßnahmen zu ergreifen“, sagte er.
       
       Tatsächlich hat der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko die
       Entscheidung getroffen, eine [2][verdeckte Mobilmachung] durchzuführen –
       ohne dies öffentlich zu verkünden. Die Leiter der Betriebe wurden
       angewiesen, Listen von Wehrpflichtigen zusammenzustellen. Das bedeutet,
       dass im Falle einer Mobilisierung die Einberufungsbescheide direkt am
       Arbeitsplatz verteilt werden können.
       
       Bisher ist die Rede nur von kurzfristigen Trainingslagern – angeblich, um
       die Kampfbereitschaft zu testen. Interessant ist, dass die Menschen auf dem
       Land, also die ergebensten Wähler von Lukaschenko, die ersten sein werden,
       die einberufen werden sollen.
       
       Offensichtlich befürchtet der Diktator, seine Waffen unsicheren Kantonisten
       in die Hand zu geben. Die könnten schließlich in die falsche Richtung
       zielen.
       
       ## Waffen für rund 1.500 Mitarbeiter
       
       Um die „Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes des
       Landes“ zu erfüllen, hat Lukaschenko dieser Tage Waffen an etwa 1.500
       Mitarbeiter des Ministeriums für Katastrophenschutz ausgegeben. Bei Bedarf
       könnten sie damit Proteste niederschlagen und die Armee unterstützen. Wenn
       man bedenkt, dass etwa 13.000 Personen in diesen Strukturen arbeiten, liegt
       der Wert des Vertrauens in das Personal bei nur 13 Prozent.
       
       Der regulären Armee von Belarus gehören insgesamt 45.000 Soldaten an. Die
       meisten haben noch nie an Kämpfen teilgenommen – ganz anders als bei dem
       gewaltsamen Vorgehen gegen unbewaffnete Demonstrant*innen im Jahr 2020.
       
       Derzeit wird in den staatlichen Medien nahezu ununterbrochen über
       angebliche [3][Nato-Panzer] berichtet, die an der Grenze zu Belarus
       stünden. Doch Umfragen unter Belaruss*innen besagen, dass die
       Bereitschaft, für die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu
       sterben, gegen Null tendiert. „Die Leute sind doch nicht blöd“, sagt ein
       Verkäufer auf dem Markt, der auf Kundschaft für seine Kartoffeln wartet.
       
       Ein Spaziergang über den Basar ist aufschlussreich. Denn das wahre Leben
       spielt sich hier ab und nicht in den bravourösen Reden der Propagandisten.
       Die Anzahl der Stände nimmt stetig ab. Einige Produkte, die bisher aus dem
       Ausland importiert wurden, sind vollständig verschwunden. Manche
       Verkäufer*innen sagen ganz ohne Umschweife: „Greifen Sie heute zu. Ab
       morgen erhöht der Hersteller den Preis. Wir verkaufen jetzt die letzten
       Chargen, werden diese Produkte dann aber aus dem Sortiment nehmen.“
       
       Vor Kurzem waren in einem Billig-Supermarkt Konserven im Angebot. Als Preis
       waren 2,69 belarussische Rubel – umgerechnet 1,09 Euro – ausgewiesen. An
       der Kasse kostete die Dose dann plötzlich 2,99 Rubel. Die Mitarbeiterin
       erklärte, die 2,69 seien der Preis vom Vortag, man habe noch keine Zeit
       gehabt, das zu ändern. Gemäß des Gesetzes über die Rechte von Verbrauchern
       müsste die Dose zum alten Preis verkauft werden. Mittlerweile ist das
       Geschäft geschlossen. „Zu vermieten“ steht auf einem Schild im Fenster.
       
       In der ersten Oktoberwoche traf sich Lukaschenko mit Wirtschaftsexperten
       aus der Regierung. Jegliche Preiserhöhungen wurden verboten – mit Ausnahme
       von Einzelentscheidungen des Ministers oder des Chefs der
       Gebietsverwaltung. Bei Zuwiderhandlungen drohen Strafverfahren und
       Haftstrafen. Die ersten zehn Strafverfahren wurden bereits nach wenigen
       Tagen eingeleitet. Seit Neuestem gibt es eine Vorschrift, wonach es
       belarussischen Geschäften verboten ist, frische, gekühlte oder gefrorene
       Hühner zu verkaufen, die sie selbst zerlegt haben.
       
       ## Repressionen gegen Oppositionelle gehen weiter
       
       Unterdessen geht die Repression gegen belarussische Oppositionelle weiter.
       An Montag ergingen die Urteile gegen 12 Vertreter*innen der so
       genannten Gruppe Awtuchowitsch. Die Anklagepunkte: Sturz der belarussischen
       Regierung mit Hilfe der ukrainischen Geheimdienste, Planung und
       Durchführung terroristischer Anschläge sowie der Import von Waffen aus der
       Ukraine.
       
       Der vermeintliche Anführer Nikolai Awtuchowitsch wurde zu 25 Jahren Haft
       und einer Geldstrafe von umgerechnet 13.000 Euro verurteilt. Er befand sich
       23 Tage im Hungerstreik und hat 20 Kilogramm Gewicht verloren. Uladzimer
       Gundar, der keine Beine hat, wurden in der Haft Prothese und Krücken
       weggenommen. Er wurde zu 18 Jahren Haft und einer Geldstrafe von mehr als
       10.000 Euro verurteilt. Das Verdikt gegen die krebskranke Rentnerin Galina
       Derbysch lautete 20 Jahre Haft und umgerechnet 9.000 Euro Geldstrafe.
       
       Aus dem Russischen von Barbara Oertel
       
       19 Oct 2022
       
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