# taz.de -- Klagen gegen Infrastrukturprojekte: Übers Ziel hinausgeschossen
       
       > Die Bundesregierung will die Energie- und Verkehrswende vorantreiben.
       > Darunter könnten Klagen im Eilverfahren leiden, kritisieren mehrere
       > Verbände.
       
 (IMG) Bild: „Es gibt kaum Windenergievorhaben, die nicht beklagt werden.“
       
       FREIBURG taz | Umweltverbände äußern massive Kritik an einem Gesetzentwurf
       von Justizminister Marco Buschmann (FDP). Die geplante Beschleunigung der
       Prozesse gegen Infrastrukturvorhaben führe zum „faktischen Ende des
       Eilrechtsschutzes“, kritisiert etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz
       (BUND) in seiner Stellungnahme.
       
       Die Bundesregierung will insbesondere Projekte der Energie- und
       Verkehrswende, also etwa den Bau von Windrädern, Strom- und Bahntrassen,
       vorantreiben. „Unser Ziel ist es, die Verfahrensdauer mindestens zu
       halbieren“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch die Gerichtsverfahren
       sollen einen Beitrag leisten. Minister Buschmann [1][hat daher im August
       den „Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen
       Verfahren im Infrastrukturbereich“ vorgelegt].
       
       Inzwischen ist die Verbände-Anhörung zu Ende und es zeigt sich, dass vor
       allem Umweltverbände das Gesetz ablehnen. Es beschränke sich eben nicht auf
       Vorhaben der Verkehrs- und Energiewende, sondern gelte auch für Prozesse
       gegen Müllverbrennungsanlagen, Autobahnen und Flughäfen.
       
       Im Mittelpunkt der Kritik steht ein neuer Paragraf 80c der
       Verwaltungsgerichtsordnung, der die Möglichkeiten, ein Vorhaben im
       Eilverfahren zu stoppen, stark einschränken soll. „Das Gericht kann einen
       Mangel des angefochtenen Verwaltungsaktes außer Acht lassen, wenn
       offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird“, so
       die geplante Formulierung. „Heilbare“ Verfahrens- und Abwägungsfehler,
       sollen in der Regel nicht mehr zu einem gerichtlichen Baustopp führen. Wenn
       etwa eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterlassen wurde, soll diese in
       einem ergänzenden Verfahren nachgeholt werden.
       
       ## Nur bei schweren Fehlern noch Stopp im Eilverfahren
       
       Nur wenn die Fehler so schwer sind, dass sie die Planung als Ganzes in
       Frage stellen, soll eine Klage im Eilverfahren noch zum vorläufigen Stopp
       des Projekts führen. Doch das seien „extrem seltene“ Fälle, betont
       Rechtsanwältin Franziska Heß, die die Stellungnahme des BUND geschrieben
       hat.
       
       Der BUND sieht nicht nur die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes
       verletzt, sondern erkennt auch Verstöße gegen die völkerrechtliche
       Aarhus-Konvention und EU-Recht. Es sei „praktisch ausgeschlossen“, dass
       Buschmanns Vorschlag vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben wird.
       Auch die Deutsche Umwelthilfe und der Deutsche Naturschutzring halten die
       geplante Einschränkung des Eilrechtsschutzes für verfassungs-,
       völkerrechts- und EU-rechtswidrig.
       
       Dagegen geht die Einschränkung der Deutschen Bahn nicht weit genug. Um eine
       „maximale Beschleunigung“ zu erreichen, sollen die Gerichte verpflichtet
       werden, Paragraf 80c zwingend anzuwenden. Aus der geplanten „Kann“-Regel
       soll eine „Muss“-Regel werden, heißt es in einer von der Bahn unterstützten
       Stellungnahme des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen.
       
       ## Windkraftbranche fürchtet langwierige Prozesse
       
       Der BUND begrüßt zwar die angekündigte Beschleunigung von
       Infrastrukturvorhaben. Für Verzögerungen seien aber weniger die
       Gerichtsprozesse verantwortlich, sondern vor allem die vorherige
       Planungsphase, die durch Personalmangel in den Behörden und fehlende
       Digitalisierung der Verfahren geprägt sei.
       
       Das sieht jedoch der Bundesverband Windenergie (BWE) anders. „Zentrales
       Problem beim Ausbau der Windenergie an Land sind die in der Regel extrem
       langen Gerichtsverfahren von Klagen gegen erteilte Genehmigungen für
       Windenergieanlagen“, heißt es in der BWE-Stellungnahme. „Es gibt [2][kaum
       Windenergievorhaben, die nicht beklagt werden].“
       
       In Kürze wird sich das Bundeskabinett mit Buschmanns Gesetzentwurf
       befassen. Das Umweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) nimmt die Kritik
       der Umweltverbände ernst und fordert Änderungen.
       
       20 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Beschleunigung_verwaltungsgerichtliche_Verfahren.html
 (DIR) [2] /Gesetzespaket-zur-Energiewende/!5858262
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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