# taz.de -- Autorin übers Sich-Trennen: „Manche Beziehungen sind scheiße“
       
       > Jacinta Nandi über gute und noch bessere Gründe, den eigenen Mann zu
       > verlassen – und die neuen Probleme, die danach kommen können.
       
 (IMG) Bild: Gegenwind, und viel bergauf: Frau mit Kinderwagen
       
       taz: [1][Jacinta Nandi], was uns hier zusammenführt, ist Ihr neues Buch,
       „50 Ways to leave your Ehemann“. Den Titel könnte man als gewitzte
       Anspielung interpretieren auf [2][ein einigermaßen altes Lied]. Ist es denn
       ein Ratgeber – wie das am besten geht, den Ehemann zu verlassen? 
       
       Jacinta Nandi: Es ist ein Versuch, Rat zu geben von einer ratlosen Frau
       vielleicht. Ich wollte, dass es wirklich so Girl-Boss- oder positiver
       Single-Mom-Feminismus ist. So nach dem Motto: Just do it girl – verlass’
       deinen Mann! Aber beim Schreiben hat die Realität mich überholt und das
       Buch ist ein bisschen wütender, als ich das vorhatte. Weil nach der
       Trennung kommen andere Problemen.
       
       War das überraschend? 
       
       Ich war nicht wirklich überrascht. Ich habe immer viele alleinerziehende
       Freundinnen gehabt, auch als ein bisschen kreative, selbst alleinerziehende
       Berlinerin. Aber auch als ich in Partnerschaften war, hatte ich viele
       alleinerziehende Freundinnen. Und ich wusste eigentlich um diese
       Problematik. Eine meiner beste Freundinnen hat eine gewalttätige Beziehung
       verlassen, und ihr Mann hat sie nicht gehen lassen wollen; das war 2005
       oder 2006. Er hat sie nicht losgehen lassen, er hat Formulare nicht
       unterzeichnet. Als ich die Idee für das Buch bekam, habe ich noch zusammen
       gewohnt mit meinem Ex – und ich habe mich wirklich gefreut auf die
       Freiheit. Und es ist ja auch nicht völlig anders geworden, als ich das
       vorhatte. Es ist ambivalent.
       
       So wie die Freiheit selbst. 
       
       Es ist eine gewisse Art von Freiheit, ohne einen Mann zu leben. Es ist auch
       eine gewisse Art von Freiheit, trotzdem diese Mutterliebe an sich selbst zu
       erleben. Es gibt Stellen im Buch, die haben etwas vom
       Leave-your-Ehemann-Ratgeber, etwas Positives. Aber es gibt auch andere
       Stellen, die trauriger und einsamer und verzweifelter sind. Jemand, nur ein
       einziger Mensch, hat zu mir gesagt, dass es wehleidig sei. Aber dieser Typ
       hat keine Kinder, ist kein Alleinerziehender. Keine der Mütter, die es
       gelesen haben, hat so was gesagt. Ich finde es nicht wehleidig. Ich finde,
       die Realität ist so scheiße.
       
       Die Ambivalenz ist dem Thema doch angemessen: Eine Beziehung zu verlassen,
       das heißt ja auch etwas vielleicht Beengendes, Ungutes loslassen, das man
       aber wenigstens kennt. The devil you know, sozusagen. Demgegenüber kann die
       vielleicht kommende Freiheit doch auch etwas Beunruhigendes an sich haben. 
       
       Was sehr wichtig ist, finde ich: Frauen dürfen eine Beziehung einfach
       scheiße finden. Es [3][muss nicht immer gleich Gewalt im Spiel sein].
       Manche Leute sind einfach scheiße, manche Beziehungen sind einfach scheiße.
       Frauen haben das Recht, diese Beziehungen abzulehnen, sie zu beenden. Ich
       habe immer ein bisschen ein schlechtes Gewissen gehabt, als mein großer
       Sohn klein war: Weil ich dachte, ich hätte unser Familienglück zerstört.
       
       Durch die Trennung. 
       
       Auch wenn es sehr schön ist für Kinder, zusammen zu wohnen mit beiden
       Elternteilen: Wenn eine Frau unglücklich ist, darf sie weggehen. Ich finde
       es sehr wichtig, dass wir das anerkennen.
       
       Gibt es die alleinstehende, ihren Mann verlassen habende Frau? Das Buch
       beschreibt ja ein ganzes Spektrum. Und die einen scheinen – das ist
       wichtig: scheinen – besser zurecht zu kommen, als es die Erzählerin von
       sich selbst sagt. 
       
       Ja, und ich finde es ein bisschen unfair, wenn jemand, der nicht in einer
       gewalttätigen Beziehung ist und sich super mit ihrem Ex versteht, wenn so
       eine Frau dann sagt: Trenn’ dich einfach! Denn wo Gewalt im Spiel ist,
       sagen wir mal, da gibt es kein „einfach“. Wenn Gewalt im Spiel ist, müssen
       Frauen klug sein, wenn sie weggehen. Sie müssen taktisch vorgehen. Ich habe
       ein Kapitel darüber geschrieben, dass die Leute einem schlechten Rat geben.
       Viel denken: Frauen in gewalttätigen Beziehungen, Frauen, die aus solchen
       Beziehungen fliehen, die werden beschützt von der Gesellschaft – das werden
       sie aber nicht.
       
       Interessant fand ich, welche Rolle die Mutter im Buch spielt. Ich selbst
       kenne Frauen aus früheren Generationen, die sagen: Den Anspruch auf Glück
       darf man nicht übertreiben, man muss sich auch mal ein bisschen
       durchbeißen, es gibt immer auch Durststrecken. Ihre Mutter tritt da ganz
       anders auf. 
       
       Ja – aber nicht für sich selbst. Für ihre Kinder, für ihre Töchter schon.
       Das ist interessant. Ich meine: Was erwarten wir? Meine Großmutter hat
       nicht erwartet, dass sie ein glückliches Leben führen würde.
       
       Und Sie? 
       
       Jetzt klinge ich wohl richtig böse. Aber ich denke, wir übertreiben es ein
       bisschen mit unseren [4][Instagram-Leben]. Niemand ist immer glücklich. Du
       kannst nicht immer glücklich sein – und die Wohnung kann nicht immer
       perfekt aussehen. Das Leben ist nicht rosa. Wir übertreiben also ein
       bisschen. Aber unsere Großmütter, die haben nicht gewusst, dass sie
       überhaupt etwas erwarten dürfen.
       
       Dass ihnen Glück zusteht. 
       
       Eine Sache ist interessant: In England in den Sechzigern und Siebzigern
       haben die Leute in der Arbeiterklasse wöchentlich ihren Lohn bekommen, als
       Bargeld in einem Umschlag. Da sind die Männer nach Hause gegangen und haben
       diesen Umschlag ihren Frauen gegeben. Die Frau hat dann aus dem Gehalt dem
       Mann ein Taschengeld gegeben, damit sind sie in den Pub gegangen. Und die
       Frau hat das Wirtschaften übernommen. Sie hat die Rechnungen bezahlt. Er
       hatte sein Geld, Geld für seine Hobbys. Sie hatte kein eigenes Gelde, war
       aber voll verantwortlich für das Wirtschaften der Familie.
       
       So bleiben die Männer in der Rolle des Sohns, oder? Da muss die Frau
       übernehmen, was vorher die Mutter gemacht hat. Auch darum geht es ja im
       Buch. 
       
       Wir haben das immer noch, in Deutschland und in Großbritannien: Männer,
       Väter, die sagen: Oh ich weiß nicht, wie ich das Fläschchen desinfiziere.
       Und gleichzeitig sollen wir glauben, dass Männer genetisch überlegen sind,
       so sehr, dass sie alle Firmen leiten müssen, alle Erfindungen machen, alle
       Regierungen führen. Aber nicht wissen, wie man die Mikrowelle benutzt? Es
       gibt Frauen, wenn die ins Krankenhaus gehen, machen sie genug Essen für
       eine Woche fertig, und hinterlassen noch Anweisungen, wie man es heiß
       macht. Damit damit der Mann nicht verhungert? Nein. Damit er nicht den
       Lieferdienst kommen lassen muss, wenn doch das Geld knapp ist. Die sind
       wirklich wie Teenager. Obwohl: Teenager, die, na ja, sind manchmal
       unabhängiger. Ich habe aber auch Freundinnen mit Partnern, die mir richtig
       nett vorkommen, sie sich um die Kinder kümmern und so. Vielleicht kannst
       du, wenn in alleinerziehende Freundeskreisen schaust und schreibst, einen
       etwas verzerrten Blick kriegen. Aber ich kenne Paare, da sind die Partner
       okay, gute Papas und gute Hausmänner. Aber selbst da ist das nicht
       selbstverständlich. Selbst da müssen die Frauen dankbar sein. Müssen immer
       sagen: Oh, er hat diesen Monat öfter als ich das Kind aus der Kita
       abgeholt. Sie wissen, dass das immer noch eine Ausnahme ist.
       
       Es geht ja nicht nur im individuelle Dinge. Was müsste sich
       gesellschaftlich tun? 
       
       Beim Arbeitsamt oder Jobcenter gibt eine besondere Stelle für Akademiker
       und auch eine für Leute unter 25. Warum nicht auch eine für Mutter und
       Kinder, vielleicht auch Eltern, die sich trennen wollen. Ein Stelle, die
       deinen Antrag vielleicht schneller bearbeitet und weniger misstrauisch.
       
       Wohlwollender. 
       
       Genau. Ich bin Sozialistin und würde mir wünschen, dass alle Abteilungen
       des Jobcenters so funktionieren würden. Aber trotzdem glaube ich, dass
       Frauen mit Kindern anders behandelt werden sollten. Eine andere Sache, die
       ich anders organisieren würde, wäre diese Vergabe von
       Wohnberechtigungsscheinen. Ich weiß nicht, wie es anderswo in Deutschland
       ist, aber in Berlin, wissen die zuständigen Stellen nicht, wie lange du
       schon nach einer Wohnung suchst. Es sollte eine zentrale Liste geben und
       die Leute, die drauf stehen sollten unterschiedlich Priorität herhalten,
       also: Frau möchte abhauen; Typ ist obdachlos; Teenager hat gewalttätige
       Eltern, so was. Das wären meine zwei konkreten Vorschläge. Ach, und
       [5][Deutsche Wohnen enteignen!]
       
       15 Nov 2022
       
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