# taz.de -- Wirtschaftsabkommen EU–Kanada: Ceta bleibt falsch
       
       > In dieser Woche soll der Bundestag grünes Licht für Ceta geben. Gegen das
       > EU-Kanada-Handelsabkommen gingen zu Recht Hunderttausende auf die Straße.
       
 (IMG) Bild: Demonstration gegen das Handelsabkommen Ceta im September in Berlin
       
       Schon 2017 ist Ceta, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, zu
       großen Teilen in Kraft getreten. Während die Große Koalition es jedoch
       nicht vollständig ratifizierte, geschieht dies nun ausgerechnet unter
       Federführung eines grünen Wirtschaftsministeriums. Und das, obwohl der
       Ceta-Investitionsschutz, der nun vollständig wirksam werden soll,
       Demokratie, Klima- und Umweltschutz gefährdet.
       
       Zwar hatte die Bundesregierung ihre Zustimmung zur [1][Ceta-Ratifizierung]
       Ende Juni an die Verabschiedung einer sogenannten Interpretationserklärung
       geknüpft. Sie soll zwei der gefährlichsten Klauseln des
       Sonderklagerechtssystems begrenzen: den Schutz von Investoren vor
       „ungerechter Behandlung“ und vor „indirekter Enteignung“.
       
       Der zwischen der EU und Kanada abgestimmte Text dieser
       Interpretationserklärung wurde allerdings bis heute nicht veröffentlicht.
       Auch der Textentwurf, den die Bundesregierung gemeinsam mit der
       EU-Kommission im Rat vorlegte, gelangte Anfang September nur durch ein Leak
       an die Öffentlichkeit. Welche Änderungen die anderen EU-Mitgliedstaaten
       oder Kanada danach noch durchsetzten, ist völlig unklar.
       
       Selbst die Bundestagsabgeordneten, die in wenigen Tagen über das Abkommen
       abstimmen sollen, kennen den Text noch nicht. Ein solches Ausmaß an
       Intransparenz und an selbst geschaffenem Zeitdruck sollte eigentlich schon
       genügen, um den Deal abzulehnen. Doch auch inhaltlich gibt es mehr als
       genug zu kritisieren. Befürworter*innen weisen gern darauf hin, dass
       sich der Ceta-Investitionsschutz von älteren Varianten der
       Sonderklagerechte unterscheide.
       
       ## Weiter Sonderklagerechte für Konzerne
       
       Und es stimmt, dass beispielsweise eine Berufungsinstanz eingeführt wurde
       und dass Schiedsrichter*innen unter Ceta von den Vertragsstaaten
       berufen werden statt von den Streitparteien selbst. Aber: Am entscheidenden
       Mechanismus hat sich nichts geändert. Internationale Konzerne erhalten
       weiterhin Sonderrechte und können vor einem extra dafür eingerichteten
       Schiedsgericht hohe Entschädigungen von Staaten verlangen, deren politische
       Maßnahmen ihre Konzernprofite einschränken.
       
       Nur beispielhaft sei hier auf die kürzlich entschiedene
       Schiedsgerichtsklage von Rockhopper gegen Italien verwiesen: Etwa 250
       Millionen Euro wurden dem britischen Öl- und Gaskonzern zugesprochen, weil
       Italien eine Ölbohrinsel nicht genehmigt hatte. Ein Vielfaches der Summe,
       die der Konzern zuvor in das Projekt investiert hatte.
       
       Nach Recherchen von [2][Greenpeace] würden mindestens 360 kanadische
       Unternehmen durch Ceta Sonderklagerechte gegen Deutschland bekommen – viele
       davon im Energiesektor. Darüber hinaus könnten auch US-amerikanische
       Konzerne über ihre kanadischen Tochtergesellschaften den
       Ceta-Investitionsschutz in Anspruch nehmen, wie auch der Öl- und Gasriese
       ExxonMobil, der im vergangenen Jahr in Deutschland einen Umsatz von 9,5
       Milliarden Euro erzielte.
       
       Die Frage bleibt: Warum sollten diese Investoren Zugang zu einer
       Sondergerichtsbarkeit bekommen, statt – wie alle anderen Akteure auch – vor
       ordentliche Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten und Kanada zu ziehen? Dass
       Konzerne Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen einreichen können, daran wird
       also die Interpretationserklärung nichts ändern: Die Schutzstandards
       „unfaire Behandlung“ und „direkte Enteignung“ werden nicht aus Ceta
       gestrichen, sondern lediglich etwas genauer „interpretiert“.
       
       Ein großer Spielraum verbleibt somit bei den Schiedsgerichten. Im konkreten
       Fall werden die beispielsweise darüber entscheiden, ob ein Förderverbot für
       fossile Energien als angemessene Klimaschutzmaßnahme oder als „indirekte
       Enteignung“ eines Ölkonzerns zu werten ist. Das Ceta-Abkommen macht
       keinerlei Vorgaben, ob Schiedsrichter*innen über umweltrechtliche
       Expertise verfügen müssen.
       
       Dafür schreibt es Fachwissen in Völkerrecht sowie optional im Investitions-
       und Handelsrecht sowie der Streitbeilegung vor. In einem Gutachten haben
       die Juristinnen Alessandra Arcuri und Federica Violi von der Universität
       Rotterdam unter anderem darauf hingewiesen, dass diese Gruppe von
       Schiedsrichter*innen in der Vergangenheit häufig Umweltrecht
       missachtete. Ob man in der Zukunft ausgerechnet ihnen die Entscheidung über
       die Angemessenheit von Klimamaßnahmen übertragen sollte, darf daher
       bezweifelt werden.
       
       ## BIP der EU würde nur geringfügig steigen
       
       Wenn die Abgeordneten in den kommenden Tagen also für die
       [3][Ceta-Ratifizierung] stimmen, stimmen sie damit auch für die Ausweitung
       eines Klagesystems, das massiv den staatlichen Handlungsspielraum unter
       anderem in Bezug auf den Klimaschutz und die Energiewende bedroht. Und das
       völlig ohne Notwendigkeit: Eine Modellierungsstudie im Auftrag der
       EU-Kommission ergab bereits 2017, dass das Bruttoinlandsprodukt der EU
       durch Ceta um gerade einmal 0,01 Prozent ansteigen würde.
       
       Und selbst dieser Anstieg wäre vor allem auf Zollsenkungen und andere
       Inhalte zurückzuführen, die mittlerweile bereits seit Jahren angewendet
       werden. Es gibt also keinerlei Belege dafür, dass die noch bevorstehende
       vollständige Ratifizierung einen konkreten ökonomischen Nutzen für
       Deutschland hätte. Mit der Ceta-Ratifizierung zeigt die Bundesregierung
       letztendlich, dass sie lieber an völlig überholten Instrumenten aus dem
       letzten Jahrtausend festhält.
       
       Progressive Wege in Richtung einer echten Transformation sehen anders aus.
       Ceta ist hierfür im Übrigen nur ein Beispiel. Auch die geplanten
       Handelsabkommen der EU mit Chile und Mexiko will die Ampelkoalition
       einschließlich der Sonderklagerechte für Konzerne ratifizieren, wenn ihnen
       Interpretationserklärungen beiseitegestellt werden. Für alle, die sich für
       eine gerechte Handelspolitik einsetzen, wird es daher nach der Abstimmung
       an diesem Donnerstag noch weitaus mehr zu tun geben.
       
       28 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Staatssekretaerin-Brantner-zu-Ceta/!5894002
 (DIR) [2] https://www.greenpeace.de/ueber-uns/leitbild/boese-geschwister
 (DIR) [3] /Staatssekretaerin-Brantner-zu-Ceta/!5894002
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Bundschuh
       
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