# taz.de -- Der Hausbesuch: Es ist ein Aufstand der Frauen
       
       > Seit über 50 Tagen kampieren Frauen vor der Grünen-Parteizentrale. Sie
       > unterstützen die Protestbewegung im Iran. Wir haben drei von ihnen
       > besucht.
       
 (IMG) Bild: Maryam Bahrami, Setayesh H. und Saba S. vor iranischer Flagge mit Aufschrift „Frau, Leben, Freiheit“
       
       Um den Kampf der Iranerinnen für gleiche Rechte zu unterstützen, wollen sie
       mehr tun, als nur bei einer Demo in Berlin mitzulaufen. Deshalb haben sie
       ein Camp errichtet, direkt vor der Parteizentrale der Grünen, und fordern
       [1][die Außenministerin] heraus.
       
       Draußen: Der Platz am Neuen Tor in Berlin ist ein liebloser Fleck,
       unterteilt in vier spärlich bepflanzte Quadrate. Im Süden werden sie
       begrenzt vom Bettenhochhaus der Charité, im Norden von der Invalidenstraße
       mit Naturkundemuseum und Verkehrsministerium. Straßenbahnen rattern dort
       vorbei. Auf dem nordöstlichen Quadrat des Platzes, das direkt vor der
       Bundesgeschäftsstelle der Grünen liegt, stehen Zelte. Auch sind Plakate
       aufgehängt, „Frau, Leben, Freiheit“ steht auf vielen von ihnen.
       
       Drinnen: Im Hauptzelt findet sich alles, was sich in über 50 Tagen als
       unerlässlich herausgestellt hat. Bänke, Stühle, ein Tisch mit Wasserkocher
       und Herdplatte, Decken, Thermoskannen, Kuchen, Brot, Obst. Der Heizstrahler
       ist wichtig, seit es nicht mehr so warm ist. An den Wänden hängen Plakate,
       die Frauenrechte, Menschenrechte, queere Rechte einfordern. Dazu Bilder von
       im Iran ermordeten Frauen, Mahsa Zhina Amini, Nika Shakarami. Die Referenz
       an Allah auf einer iranischen Flagge wurde mit einer Grafik in arabischer
       Typografie ersetzt. „Frau, Leben, Freiheit“ steht auch dort jetzt drauf. Es
       ist die Flagge der Zukunft.
       
       Protest: Seit bald drei Monaten gehen Frauen und Männer im Iran gegen das
       islamische Regime auf die Straße. Angefangen hat es mit [2][dem Tod von
       Mahsa Zhina Amini] Mitte September. Die 22-jährige Kurdin starb, nachdem
       die Sittenpolizei sie verhaftet hatte, weil sie ihren Hijab nicht wie
       vorgeschrieben trug. Frauen, „die im Iran halb so viel wert sind wie
       Männer, sollen in der Öffentlichkeit gekleidet sein, als wären sie nur ein
       Schatten“, sagt Maryam Bahrami. Sie ist eine der Aktivistinnen, die am 9.
       Oktober den Platz vor der Zentrale der Grünen besetzten. „Annalena Baerbock
       spricht von feministischer Außenpolitik. Im Iran ist eine feministische
       Revolution im Gange. Wo gab es das je? Was läge näher für Baerbock und alle
       Feministinnen, diese zu unterstützen?“ Setayesh H. fragt das. Seit 50 Tagen
       verbringt sie, wie Saba S. und Maryam Bahrami, viel Zeit im Camp. Die
       Frauen sind drei für viele. „Feminista Berlin“ nennt sich die Gruppe, die
       nach dem Tod von Mahsa Zhina Amini innerhalb kürzester Zeit entstanden ist.
       
       Aktiv werden: „Auf Demos gehen war uns nicht genug“, sagt Setayesh H. „Ich
       wollte aktiv werden. Nicht passiv bleiben. Wir können doch nicht wegsehen.“
       Und Maryam Bahrami, die zehn Jahre älter ist als die beiden anderen, sagt:
       „Ich wollte helfen.“ Sie arbeitet als Softwareingenieurin in Berlin.
       Zusammen mit ihrem Mann verließ sie den Iran, als vor mehr als zehn Jahren
       die damalige Protestwelle, „die Grüne Bewegung“, niedergeschlagen wurde.
       Immer wieder gab es Aufstände im Iran. Immer wieder schlug das Regime
       gnadenlos zu.
       
       Der Schwarm: Eine Twitternachricht habe alles ins Rollen gebracht, erzählt
       Saba S. Wie sie am Ende auf dem Platz landeten, weiß sie nicht mehr genau.
       Jemand sagt etwas, jemand nimmt es auf, jemand tut etwas. Sie dachten an
       Sitzstreik, dann wurde es das Camp, es habe sich organisch ergeben. Eine
       Woche wollten sie vor der Parteizentrale ausharren und ihre Forderung
       klarmachen, dass die Bundesregierung das Regime im Iran nicht länger als
       legitimes politisches Gegenüber betrachten soll, mit dem man Geschäfte
       macht. Jetzt sind sie schon mehr als sieben Wochen auf dem Platz. „Seit 47
       Tagen war ich nicht mehr zu Hause“, sagt Saba S. Sie wohnt eigentlich in
       Hannover und ist Informatikstudentin. Seit sieben Jahren lebt sie in
       Deutschland.
       
       Reaktion: Erst hätten die Grünen vor der Parteizentrale sie ignoriert,
       erzählt Setayesh H., „dann wurden wir lauter, begannen zu stören“. Wie? Mit
       Parolen, mit Krach. „Your silence is violence!“ – Dein Schweigen ist
       Gewalt. [3][Omid Nouripour, der Bundesvorsitzende der Grünen], kam
       inoffiziell mal vorbei; seine Familie ist aus dem Iran. Was er gesagt habe,
       sei eher lau gewesen. Die Aktivistinnen wollen, dass Deutschland die
       diplomatischen Beziehungen herabstuft. „Ja, wir überlegen. Geben euch
       Bescheid.“ – Das seien so Antworten gewesen. „Die dachten: ‚Das Wetter wird
       kälter, die gehen schon wieder‘“, sagt Setayesh H..
       
       Das Camp: Die drei sind nicht alleine. Ständig kommt jemand ins Zelt. Eine
       lesbische Frau ist darunter. „Lesbisch geht im Iran gar nicht.“ Auch Männer
       sind da. „Frauen sind mutiger“, sagt einer. „Die Frauen müssen die Stimme
       haben bei diesem Protest, aber Männer wollen auch Gleichberechtigung“, sagt
       Setayesh H.. Und dann wiederholt sie: „Aber die Frauen müssen die Stimme
       haben.“ Es braucht viele Leute, um rund um die Uhr das Camp zu halten.
       Einige schlafen nachts im Zelt; einige machen Nachtwache. Es gab schon
       Angriffe. Die Polizei fährt regelmäßig vorbei.
       
       Wellen: Seit der [4][Islamischen Revolution 1979] kämpfen Frauen im Iran um
       gleiche Rechte, sagt Maryam Bahrami. „Seit 43 Jahren.“ Immer wieder flammt
       der Protest auf und wird niedergeschlagen. Saba S. sagt, es sei
       unbegreiflich, dass Deutschland für den Iran in all der Zeit
       [5][Wirtschaftspartner Nummer eins in der EU] wurde. „Man nimmt den Kampf
       der Frauen dort nicht ernst, sonst würde man das nicht zulassen.“ Maryam
       Bahrami gerät außer sich: „Frauen und Mädchen im Iran sind Bürgerinnen
       zweiter Klasse. Mit 13 kann man sie verheiraten. Du kannst dich nicht
       scheiden lassen, bekommst das Sorgerecht nicht. Bei einem Unfall erhalten
       Frauen die Hälfte der Entschädigung eines Mannes. Für alles müssen sie
       Männer um Erlaubnis fragen. Frauen können gesteinigt werden für unehelichen
       Sex. Stell dir das vor. Steinigung – das ist nicht mit großen Steinen, das
       ist mit kleinen. Die Frauen sollen lange leiden.“ Sie zählt noch viel mehr
       auf. „Und jetzt sehen wir den Aufstand der Frauen.“ Sie sehen ihn von
       Berlin aus.
       
       Klassenfrage: Saba S. und Setayesh H. mussten in Deutschland [6][auf einem
       Sperrkonto über 11.000 Euro hinterlegen], wie jede, die aus dem Iran kommt
       und hier studieren will. „Arme Familien können sich das nicht leisten“,
       sagt Setayesh H. Sie zählt ihre Familie zur Elite, zumindest sei es vor
       sechs Jahren so gewesen, als sie kam. „Jetzt ist der Mittelstand verarmt.“
       Ihr Vater ist Banker, die Mutter Schneiderin. „Wir versuchen auch hier mit
       unserem Protest repräsentativ zu sein. Aber wir wissen nicht, ob uns das
       gelingt. Wir kommen nicht aus ärmeren Regionen.“
       
       Und Zukunft? „Unsere anderen Leben pausieren gerade“, sagt Setayesh H. Sie
       meint ihren Alltag, meint ihr Studium der Prozesstechnik, meint ihren
       deutschen Mann, den sie gerade selten sieht. Ihr Aufenthaltsstatus ist
       sicherer als der von Saba S.. „Ich dagegen bin zur Studentin verurteilt“,
       sagt sie. Einen Aufenthaltstitel bekäme sie nur, wenn sie einen Job
       nachwiese mit einem Gehalt [7][von 46.000 Euro im Jahr]. Aber während
       Setayesh H. und Maryam Bahrami lieber in Deutschland bleiben, kann sie sich
       vorstellen, auch zurück in den Iran zu gehen. „Wenn ich dort so leben
       könnte wie hier.“
       
       4 Dec 2022
       
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