# taz.de -- Erfolgreiches Experiment in den USA: Was die Kernfusion bedeutet
       
       > US-Forschern ist ein wissenschaftlicher Durchbruch gelungen: eine
       > Kernfusion, die mehr Energie erzeugte als benötigte. Welche Folgen hat
       > das?
       
 (IMG) Bild: Das Lawrence Livermore National Laboratory
       
       BERLIN taz | Es ist eine bemerkenswerte Pionierleistung – jedenfalls für
       Wissenschaft und Technik: Forschern in Kalifornien ist erstmals kurzfristig
       eine Kernfusion gelungen, die mehr Energie erzeugte als zuvor
       hineingesteckt wurde. Nachdem die Daten im Rahmen eines in der Wissenschaft
       üblichen Prozesses einer „Peer-Review“ von Fachkollegen geprüft wurden,
       gingen die Forscher nun gut eine Woche nach dem eigentlichen Experiment an
       die Öffentlichkeit.
       
       Was für die Forschung ein Durchbruch bedeutet, heißt in der realen,
       energiewirtschaftlichen Welt noch wenig. Die Technik ist noch weit davon
       entfernt, praktische Relevanz zu erlangen. Auf diesen Sachverhalt wiesen
       auch die Wissenschaftler der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence
       Livermore National Laboratory nach ihrem Experiment hin.
       
       Was genau haben die Forscher gemacht? Sie erhitzten Atome von Deuterium und
       Tritium (das sind Wasserstoffatome, die im Kern zusätzliche Neutronen
       besitzen) in einer winzigen Kapsel mit den stärksten Lasern der Welt auf
       mehr als 100 Millionen Grad Celsius. Dabei entstand ein Plasma. Das ist der
       vierte Aggregatzustand von Materie – neben den auf der Erde vorkommenden
       Zuständen fest, flüssig und gasförmig. In diesem Plasma verschmelzen die
       Wasserstoffkerne zu Heliumkernen – und setzen dabei Energie frei.
       
       Drei Zahlen geben einen Eindruck von dem Versuch, denn sie stehen
       einerseits für den wissenschaftlichen Erfolg, andererseits aber auch für
       die Ferne einer praktischen Nutzung. Die 192 Laser, in deren Strahlen eine
       Energiemenge von 2,05 Megajoule steckte, konnten durch den Fusionsprozess
       eine Energiemenge von 3,15 Megajoule freisetzen. Dieser Energiegewinn, der
       sogenannte „target gain“, markiert den technischen Durchbruch.
       
       ## Viel Zukunftsmusik
       
       Zugleich mussten in der gesamten Apparatur jedoch rund 300 Megajoule
       aufgewandt werden, um die gut zwei Megajoule an Laserenergie zu erzeugen.
       Die Gesamtrelation wiederum – 300 Energieeinheiten vorne rein, drei
       Einheiten hinten raus – steht folglich für den noch bestehenden
       Entwicklungsbedarf. Denn schließlich kann erst dann, wenn die Gesamtbilanz
       positiv ist, ein solches Konzept für ein Kraftwerk taugen.
       
       Hinzu kommt, dass das Experiment in Kalifornien aktuell nur bestenfalls
       einmal am Tag im Labor für den winzigen Bruchteil einer Sekunde gezündet
       werden kann. Von einem kontinuierlichen Prozess und einer Hochskalierung
       ist die Technik noch weit entfernt. Entsprechend wiesen die Forscher
       während ihrer Pressekonferenz am Dienstag darauf hin, dass es wohl noch
       „einige Dekaden“ brauchen werde, bis daraus ein kommerziell nutzbares
       Kraftwerk entstehen könne.
       
       Gleichwohl sprach Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger von
       einem „historischen Tag für die Energieversorgung der Zukunft“. Erstmals
       hätten Forscher gezeigt, dass man „die Sonne tatsächlich auf die Erde holen
       und mit der Fusion netto Energie erzeugen kann“, so die FDP-Politikerin im
       ZDF. Das werde „die Energieversorgung revolutionieren“ und könnte eventuell
       in zehn Jahren auch in Deutschland funktionieren.
       
       ## Dynamik in der Fusionsbranche
       
       Aus wissenschaftlicher Sicht ist die gelungene Fusion insofern
       bemerkenswert, weil die Kalifornier an dem erst 2009 gegründeten Institut
       ein ganz anderes Verfahren nutzen, als es etwa im europäischen
       Kernforschungszentrum JET in Südengland seit den 1980er Jahren oder künftig
       im Versuchs-Kernfusionsreaktor ITER in Frankreich eingesetzt wird. Bei den
       beiden europäischen Anlagen vom Typ Tokamak wird in einem Torus – ein
       Körper in Form eines Donut – ein Magnetfeld aufgebaut, in dem ein Plasma
       entsteht. Mit etwas anderer Bauform und daher etwas anderen Eigenschaften,
       vom Prinzip aber mit einigen Parallelen zum Tokamak, steht in Greifswald
       außerdem die Fusionsanlage Wendelstein vom Typ Stellarator.
       
       Erst in der vergangenen Woche hatte Sibylle Günter, Wissenschaftliche
       Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP), bei einer
       Fachtagung am IPP in Garching von einer enormen Dynamik berichtet, die die
       Fusionsbranche gerade erlebe. Nun gratulierte sie ihren amerikanischen
       Kollegen zu ihren „tollen Ergebnissen“ und sprach von „ganz spannender
       Plasmaphysik“.
       
       Für ein Kraftwerk sei das am NIF genutzte Verfahren allerdings „vermutlich
       zu ineffizient“. Außerdem müsse man in einem Kraftwerk ein solches
       Brennstoffpellet mindestens zehn Mal pro Sekunde zünden – statt wie bisher
       im Labor bestenfalls einmal pro Tag.
       
       Noch müssten viele technische Fragen beantwortet werden, ehe man an den Bau
       eines Kraftwerks denken könne. Zu den offenen Fragen zähle auch die
       Herstellung des Brennstoffs Tritium und die Wärmeabfuhr der Fusionsanlage.
       Um diese Themen, sagte Günther, habe sich „die Laserfusions-Community
       bisher meines Erachtens noch gar nicht gekümmert“.
       
       14 Dec 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernward Janzing
       
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