# taz.de -- Experte zu Durchbruch bei Kernfusion: „Fusion kann Erneuerbare ergänzen“
       
       > Erstmals ist es gelungen, bei der Verschmelzung von Atomkernen mehr
       > Energie zu erzeugen als zu verbrauchen. Was bedeutet das?
       
 (IMG) Bild: An der National Ignition Facility in Kalifornien gelang das Kernfusions-Experiment
       
       taz: Herr Zohm, wie würden Sie einem Kind Kernfusion erklären? 
       
       Hartmut Zohm: Also, erst einmal würde ich sagen, Kernfusion ist die
       Energiequelle der Sterne. Wenn man Wasserstoff nimmt, ein chemisches
       Element, das jeder kennt, weil es das H in H2O ist, und diesen Wasserstoff
       auf sehr hohe Temperaturen erhitzt, dann kommen sich die Teilchen so nahe,
       dass sie miteinander verschmelzen können. Und dabei wird Energie frei.
       Diese Verschmelzung nennt man Kernfusion. Das ist das, was in der Sonne
       passiert, bei 15 Millionen Grad.
       
       Kernfusion fasziniert, weil es klingt, als könne man damit alle
       Energieprobleme der Menschheit lösen. Sie forschen schon sehr lange zu
       diesem Thema. Können Sie die Faszination nachvollziehen? 
       
       Diese Faszination ist einer der Gründe, weshalb ich mich schon so lange mit
       diesem Thema beschäftige. Aber gleichzeitig sage ich ganz klar: Jede
       Energiequelle hat ihre Nachteile, auch die Kernfusion. Diese Vorstellung,
       dass da unendlich Strom aus der Steckdose kommt, völlig ungefährlich und
       umsonst, die stimmt so nicht.
       
       Wie stellen Sie sich denn die Energiegewinnung der Zukunft vor? 
       
       Ich denke, wir müssen und werden die erneuerbaren Energien ausbauen, Wind,
       Solar, das ist wichtig. Dann brauchen wir eine Ergänzung, die wir einsetzen
       können, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint und die
       Speicherkapazität nicht ausreicht. Die Kernfusion ist eine der wenigen
       Alternativen, denn die fossilen Energieträger wollen wir aus guten Gründen
       nicht mehr, genauso wie die Kernspaltung, also die Gewinnung von
       Atomenergie. Das heißt, wir müssen die Kernfusion voranbringen, aber als
       Ergänzung und nicht anstelle von erneuerbaren Energien.
       
       Forscher:innen in Kalifornien haben es [1][diese Woche geschafft], beim
       Verschmelzen von Atomkernen mehr Energie zu erzeugen als zu verbrauchen.
       Hat Sie das überrascht? 
       
       Nein, das habe ich im Prinzip erwartet. Es ist so: Die Kollegen haben ein
       ähnliches Resultat im Sommer 2021 verkündet, da war das Verhältnis von
       Energie, die man rausbekommt, zu der, die man reinstecken muss, 0,7. Jetzt
       ist dieses Verhältnis 1,5, das heißt, man hat die magische Grenze von 1
       überschritten. Weil das ein kontinuierlicher Anstieg ist, war es zu
       erwarten, dass das passiert.
       
       Also kein revolutionärer Durchbruch? 
       
       Nee, das ist es nicht. Es ist ein tolles Resultat. Aber die Rechnung, die
       gemacht wurde – und das ist völlig legitim –, bezieht sich nur auf die
       Laserenergie, die in das System hineingeleitet wird. Die Energie, die
       benötigt wird, um überhaupt diesen Laser zu betreiben, fließt da nicht mit
       ein. Sie können sich das in etwa so vorstellen, dass man einen sehr kleinen
       Holzspan mit einem gigantischen Streichholz angezündet hat. Es ist toll,
       dass es da Feuer gab, aber wenn man die gesamte Energie, die dafür
       aufgebracht werden musste, mit einbezieht, ist die Bilanz nicht mehr
       positiv. Das hat aber auch niemand behauptet.
       
       Trotzdem hat die Nachricht sehr viel Begeisterung ausgelöst. Die
       Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat anlässlich der
       Meldung davon gesprochen, dass schon in zehn Jahren [2][das erste deutsche
       Fusionskraftwerk ans Netz gehen könnte]. Das klingt euphorisch, oder? 
       
       Ja, auch in meinen Ohren. Aber sie hat dann ja auch gesagt, dass das
       überambitioniert sein mag, aber man ambitioniert sein muss. So würde ich
       das auch sehen. Ich persönlich glaube nicht, dass wir innerhalb von zehn
       Jahren einen Fusionsreaktor am Netz haben. Aber ich glaube, wenn wir diese
       Ambitionen und Euphorie mit entsprechenden Geldmitteln unterlegen, geht es
       deutlich schneller als bisher.
       
       Wie schnell? 
       
       Wenn jetzt alles sehr gut läuft, dann könnte es in 20 bis 30 Jahren
       klappen. Die Direktorin des Labs, an dem diese Woche dieses Experiment
       geglückt ist, hat danach auch gesagt, es wird einige Jahrzehnte brauchen,
       nicht fünf oder sechs, aber einige. Das deckt sich also.
       
       In der Physik gibt es einen Witz: Es dauert noch 50 Jahre bis zur
       Fusionskraft, aber diese Zahl ändert sich nie. 
       
       Ich weiß, das bekomme ich bei meinen Vorlesungen auch immer zu hören. Aber
       wir wissen heute genau, welche Annahmen früher unvollständig waren, und
       konnten diese ergänzen.
       
       Bei der Nachricht aus den USA ging es um Trägheitsfusion, das ist eine
       andere Art von Kernfusion als die Magnetfusion, an der Sie forschen. Können
       Sie den Unterschied kurz erklären? 
       
       Grundsätzlich muss man bei der Kernfusion dafür sorgen, dass der
       Brennstoff, den man reinfüllt, also die Wasserstoffisotope miteinander
       verschmelzen können. Dafür muss man die Isotope zusammenhalten, weil sie
       sich eigentlich abstoßen. Bei der Fusion mit magnetischem Einschluss macht
       man das, indem man ein Magnetfeld erzeugt, sodass die Teilchen an den
       Magnetfeldlinien kleben und dadurch eingeschlossen werden. Das ist dann
       stationär, man muss zwar Brennstoff nachfüllen, aber das Magnetfeld und das
       dadurch eingeschlossene Plasma bleibt einfach da.
       
       Ist das der Unterschied zur Trägheitsfusion? 
       
       Genau. Die Trägheitsfusion oder Initialfusion macht etwas ganz anderes. Die
       funktioniert im Prinzip so wie die Wasserstoffbombe, nur in Miniaturform.
       Da geht es darum, etwas ganz schnell aufzuheizen und zu komprimieren, es
       brennt ab und fliegt dann auseinander. Wie bei einer
       Wasserstoffbomben-Explosion, nur eben viel kleiner, sonst fliegt ja die
       Anlage in die Luft. Damit es beherrschbar ist, muss man ein ganz kleines
       Kügelchen nehmen.
       
       Wie klein, so wie eine Erbse? 
       
       Sogar noch etwas kleiner, wie ein Pfefferkorn, ungefähr. Und dann macht man
       diesen Prozess zehnmal in der Sekunde, immer hintereinander. Ein
       Pfefferkorn fällt rein, wird mit dem Laser beschossen, und dann kommt jedes
       Mal ein Energiepuls.
       
       Die National Ignition Facility macht militärische Forschung. Heißt das, die
       Nachricht von dieser Woche ist gar kein Schritt hin zum Kraftwerk, sondern
       zum besseren Verständnis der Bombe? 
       
       Man muss schon sagen: Diese Anlage wurde erbaut, um die Bombe besser zu
       verstehen. Es gibt zwar glücklicherweise keine Atomwaffentests mehr, aber
       es ist ja leider nicht so, [3][dass diese Waffen alle weggeschmissen
       wurden]. Die Amerikaner haben gesagt, wir brauchen ein Programm, um zu
       verstehen, was mit diesen Waffen passiert, während sie rumliegen. Das ist
       jetzt sehr salopp gesagt, natürlich.
       
       Das heißt, es geht gar nicht um Energiegewinnung? 
       
       Aus den Experimenten, die dort gemacht werden, kann man auf jeden Fall auch
       etwas für die Energiegewinnung durch Kernfusion lernen. Aber das Prinzip,
       das dort verwendet wird, müsste man grundlegend ändern, wenn man es für die
       zivile Nutzung anwenden wollen würde.
       
       Das ist bei der Forschung, die Sie betreiben, anders? 
       
       Ja, bei Magnetfusion ging es schon immer um zivile Nutzung.
       
       Für die Magnetfusion ist der wichtigste nächste Schritt der [4][Bau des
       Versuchsreaktors Iter] im französischen Kernforschungszentrum Cadarache.
       Wie geht es da voran? 
       
       Der Iter ist wichtig, weil wir hier in Garching und auch in Greifswald,
       [5][wo es ebenfalls einen Versuchsreaktor gibt], gelernt haben, dass wir
       einen sehr großen Reaktor brauchen, um weiterzukommen. Der wird jetzt in
       Frankreich gebaut, das ist sehr beeindruckend, aber auch wahnsinnig
       komplex. Ich denke, dass der Iter Ende des Jahrzehnts in Betrieb sein wird
       und im nächsten Jahrzehnt dann die positive Energiebilanz stationär
       nachweist. Wenn er funktioniert, kann man das Kraftwerk bauen.
       
       Das [6][Max-Planck-Institut] wird staatlich gefördert. In den letzten
       Jahren haben aber auch immer mehr private Investoren das Feld Kernfusion
       entdeckt, es werden Start-ups gegründet, die große Versprechungen machen. 
       
       Ja, das beobachten wir tatsächlich. Ich denke, hier haben mehrere Faktoren
       zusammengespielt: Energie wird ein immer wichtigeres Thema, auch
       Energieknappheit. Dann gibt es diese ersten Erfolge bei der Fusionskraft,
       die zeigen, was möglich sein könnte. Auch die niedrigen Zinsen der letzten
       Jahre haben dafür gesorgt, dass Kapitalgeber auf der Suche nach
       Investitionsmöglichkeiten sind.
       
       Was halten Sie von dieser Entwicklung? 
       
       Man muss da unterscheiden. Es gibt private Unternehmen, die sehr seriös
       sind, mit denen arbeiten wir auch zusammen. Es gibt aber auch Leute, die
       sagen, wir steigen da jetzt ein und können das alles viel besser als die,
       die schon 30 Jahre lang forschen. Viele der Unternehmen haben keine
       physikalische Basis. Sie bekommen eine große Anschubfinanzierung – und
       kommen dann ins Rudern. Für uns als staatlich Geförderte ist das
       schrecklich mit anzusehen, aber auf dem Gebiet der Start-ups ist es völlig
       normal, dass vieles nicht klappt.
       
       Lassen Sie uns zum Schluss noch über Atomkraft, also Kernspaltung,
       sprechen. Es gibt den Vorwurf, dass die Fusionskraft auch nicht ohne
       Radioaktivität auskommt. 
       
       Wir behaupten nie, dass keine Radioaktivität im Spiel ist. Zum einen
       brauchen wir Tritium als Brennstoff, das ist radioaktiv. Zum anderen führen
       die Prozesse in einem Fusionsreaktor dazu, dass die Wandelemente
       radioaktiv werden. Aber es ist trotzdem ein riesiger Unterschied zur
       Kernspaltung: Sowohl das Tritium als auch die Wandelemente haben eine
       kurze Halbwertszeit, es dauert nicht Jahrtausende, sondern wenige
       Jahrzehnte, bis sie nicht mehr strahlen. Es bräuchte also keine Endlager.
       Und der schlimmste Unfall, der in einem Fusionsreaktor passieren könnte,
       würde dazu führen, dass man die direkte Umgebung für ein paar Tage sperren
       muss. Je nachdem, wie der Wind steht, vielleicht noch nicht mal das. Ein
       Unfall wie in Tschernobyl [7][oder Fukushima] kann mit Kernfusion niemals
       passieren.
       
       16 Dec 2022
       
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