# taz.de -- Liebe zum Dartsport: Was für ein Spiel!
       
       > Wer nach dieser WM immer noch kein Fan von Darts ist, hat sich nie an
       > einem Wurf probiert. Über die dramatische Kraft eines feinfühligen
       > Sports.
       
 (IMG) Bild: Jetzt hat es geklappt, und wie: Michael Smith feiert mit der Sid-Waddell-Trophäe
       
       Zweieinhalb Wochen Leben in der Parallelwelt sind vorbei. Draußen:
       Weihnachten, Jahresrückblicke, Silvester, [1][Böller- und
       Migrationsdebatten]. Ganz egal. Drinnen das hier: Nachmittagssession,
       Abendsession, 93 Männer und drei Frauen spielen um den Weltmeistertitel der
       [2][Darts-WM] in Londons Alexandra Palace, den alle kennerisch nur „Ally
       Pally“ nennen.
       
       Gibt es eigentlich noch eine Sportart, bei der die Diskrepanz zwischen der
       notwendigen Konzentration der Athlet*innen und der Kulisse, die ihnen
       die Fans dafür schaffen, noch größer ist als beim Darts? Mentalsportarten,
       die eine hohe Hand-Auge- oder auch Kopf-Körper-Koordination erfordern, gibt
       es viele, vom Billard oder allen Schießsportarten bis zum Curling oder
       Petanque. Aber bei keiner dieser Sportarten versuchen 3.000 Betrunkene, so
       viel Lärm wie möglich zu veranstalten, während die Spieler*innen sich
       auf ihren Wurf konzentrieren. Wer Darts im Fernsehen sieht, sollte die
       Lautstärke hochdrehen.
       
       Seit gut 50 Jahren ist Darts auch im Fernsehen zu sehen, damals zunächst
       nur in seinem Geburtsland Großbritannien. Bei der ersten live übertragenen
       Weltmeisterschaft 1978 warf der Waliser Leighton Rees einen Zehn-Darter,
       was damals neuer WM-Rekord im Fernsehen war. Der britische Kommentator
       merkte an: „Und er ist auch auf dem Weg zu einem anderen Rekord, das ist
       schon sein fünftes Pint Bier“. Ja, die Spieler tranken auf der Bühne.
       
       Das ist lang vorbei. Darts hat sich zu einem ernst genommenen Sport
       entwickelt, heutige Topspieler lassen sich von Mental-Coaches beraten. Das
       hat schon dem deutschen Gabriel Clemens gut getan, vor allem aber dem
       Engländer Michael Smith, der am Dienstagabend im Endspiel gegen den
       Niederländer Michael van Gerwen stand. Es war Smiths drittes WM-Finale, nie
       hatte er gewinnen können. Jetzt hat es geklappt, und wie.
       
       ## Das beste Leg
       
       Das rot markierte Feld, das auf der Dartscheibe die dreifache 20 markiert,
       sieht auf dem Bildschirm, eingefangen von den hochauflösenden Kameras, die
       zuhauf auf der Bühne angebracht sind, einfach riesig aus. Dabei ist es wie
       alle anderen Tripple-Felder gerade einmal 8 Millimeter hoch und knapp 3
       Zentimeter breit. Dieses knappe Fünftel einer Streichholzschachtel ist das
       Hauptziel im ersten Teil eines jeden „Legs“, bei dem 501 Punkte auf null
       gespielt werden müssen. In dieses Feld trümmern die Spieler*innen aus
       der Distanz von 2,37 Metern Pfeil um Pfeil, am besten gleich alle drei
       hintereinander für die 180, die höchstmögliche Punktzahl. Am Schluss eines
       Legs, um genau auf null zu kommen, muss aus lauter Gemeinheit auch noch ein
       Doppelfeld getroffen werden.
       
       Das bestmögliche Leg besteht aus neun perfekt geworfenen Pfeilen (meist
       sieben auf die Tripple-20, einen auf die Tripple-19 und am Schluss einen
       auf die Doppel-12). Auf diesem Weg waren am Dienstagabend im zweiten Satz
       gleich beide Spieler. Nach je sechs perfekten Darts war der anwerfende van
       Gerwen am Zug – und verfehlte mit dem letzten Dart die Doppel-12 um ein
       paar Millimeter. Nicht so Smith. Tripple-20, Tripple-19, Doppel-12 – die
       Betrunkenen im Ally Pally brüllten sich die Lunge aus dem Hals. Ein solches
       Leg hatte es noch nie gegeben, wird man noch in Jahrzehnten zeigen.
       
       Aber warum wollen Menschen das sehen? Was ist der Witz daran, „Bully Boy“
       Michael Smith gegen den glatzköpfigen „Mighty“ Michael van Gerwen Pfeile
       werfen zu sehen?
       
       Einerseits: Wer jemals selbst auch nur drei Pfeile auf ein Dartboard
       geworfen hat, weiß, wie schwer es ist, diese kleinen Felder zu treffen,
       erst recht mehrmals hintereinander. Dartschauen ist insofern auch, wie
       einem Profikoch beim Zwiebelnschneiden zusehen – es sieht einfach toll aus.
       
       Dart hält [3][sportliche Dramen] bereit, die sich beim Eisschnelllauf nicht
       werden finden lassen. Und wer beim Schauen noch ein Bier trinkt, fühlt sich
       eigentlich ganz richtig aufgehoben. Kein Wunder, dass das Finale in
       Deutschland von 1,72 Millionen Menschen gesehen wurde – in der Zielgruppe
       der 14- bis 49-Jährigen war es mit 850.000 Zuschauern oder 16,6 Prozent das
       erfolgreichste Primetime-Format.
       
       4 Jan 2023
       
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 (DIR) Bernd Pickert
       
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