# taz.de -- Lützerath und die Klimabewegung: Mehr als ein Symbol
       
       > In Lützerath wird die Hoffnung planiert, dass sich die Klimakrise mit
       > Kompromissen lösen lässt. Die Räumung wird unsere Vorstellung von Politik
       > verändern.
       
 (IMG) Bild: Mehr als nur Symbol: Räumung in Lützerath
       
       Anfang Oktober stand mal wieder [1][ein dämlicher Kommentar in dieser
       Zeitung]. Der Autor behauptete, dass die Klimabewegung einen Fehler begehen
       würde. In Lützerath klammere man sich an einem Ort fest, in dem niemand
       außer den Aktivist:innen selbst ein Symbol erkennen könne.
       
       Der Kommentar war von mir. Und ich habe mich offensichtlich getäuscht. Denn
       der Aufschrei über die Räumung ist groß. International zeigt man mit dem
       Finger auf Deutschland, das noch im Jahr 2023 Dörfer für den Kohleabbau
       räumen lässt. Und auch hierzulande kommt die Empörung nicht nur von den
       üblichen Verdächtigen. Warum ist das so?
       
       Lützerath ist eben nicht nur symbolisch, wie ich behauptet hatte, sondern
       ganz materiell auf Braunkohle gebaut. Natürlich ist es eine Zuspitzung,
       dass genau hier die 1-5-Grad-Grenze verlaufe. Aber die Zuspitzung
       funktioniert. Sie zeigt die Dringlichkeit, dass das fossile Leben nicht
       erst 2030 enden darf, sondern wir sofort aus der Braunkohle aussteigen
       müssen. Lützerath mag nur ein kleiner Weiler sein, aber das Rheinische
       Braunkohlerevier ist die größte CO2-Quelle Europas.
       
       Braunkohle entsteht, geologisch gesprochen, wenn tote Pflanzen unter hohem
       Druck und unter Luftausschluss verdichtet werden. Das geschah in Lützerath
       vor vielen Millionen Jahren. Heute verdichten sich in dem Dorf politisch
       die Widersprüche der Klimakrise.
       
       ## Die Hoffnung wird planiert
       
       In Lützerath geht etwas kaputt, das größer ist als ein paar alte Gebäude.
       Hier prallt mehr aufeinander als die Körper von Besetzerinnen und
       Polizisten. Es geht um zwei fundamental verschiedene Vorstellungen von
       Politik.
       
       In Lützerath wird die Hoffnung planiert, dass sich die Klimakrise mit
       Kompromissen lösen lässt, die niemandem wehtun – weder den
       Aktivist:innen noch den Geschäftsinteressen von Unternehmen. Der
       Kompromiss, dass RWE nun mal das Recht habe, Braunkohle wegzubaggern, und
       ein Kohleausstieg in sechs Jahren doch auch ein Erfolg sei, wurde als faul
       entlarvt.
       
       Für Kompromisse mit der Klimakrise stehen nicht nur die Grünen, sondern
       sämtliche Parteien. Die Mehrheit der Gesellschaft hegt diesen Tagtraum und
       verdrängt das Offensichtliche. „Fürchtet euch nicht“, sagte Annalena
       Baerbock 2020, die „Klimarevolution“ werde „in etwa so verrückt wie ein
       Bausparvertrag“. Lützerath zeigt, dass das nicht stimmt.
       
       Wenn der Weg des Kompromisses gescheitert ist, stellt sich die Frage: Was
       ist die Alternative? Gibt es eine Mehrheit für radikalen Klimaschutz, auch
       gegen die Interessen von RWE und Millionen Autofahrer:innen? Für einen viel
       schnelleren Kohleausstieg, koste es, was es wolle?
       
       Darauf hat bisher keiner eine Antwort, auch die Klimabewegung nicht. Für
       sie ist der Kampf um das Dorf auch ein Zeichen ihrer Hilflosigkeit. Sie hat
       versucht, mit Großdemos auf die Bundesregierung einzuwirken. Nun ist sie
       zurückgeworfen auf ein paar Aktivist:innen, die in Baumhäusern einen Ort
       verteidigen.
       
       Dass nun [2][Luisa Neubauer], die Demonstrationen mit mehr als einer
       Million Teilnehmer:innen organisiert hat und ins Kanzleramt eingeladen
       war, glaubt, dass sie die Politik der Bundesregierung mit einer
       Sitzblockade aufhalten muss, zeigt, an welchem Scheidepunkt die Bewegung
       steht.
       
       Einladungen ins Kanzleramt und in Talkshows haben der Bewegung wenig
       gebracht. Nun muss sie versuchen, Klimaschutz mit Macht durchzusetzen,
       nicht mit Argumenten. In Gewerkschaften und Parteien ist sie nicht stark
       genug, um eigene Macht aufzubauen.
       
       Es ist zu früh, Lützerath historisch einzuordnen. Aber die Räumung wird die
       Klimabewegung und unsere Vorstellung von Politik in der Klimakrise
       nachhaltig verändern. Ich glaube, damit täusche ich mich diesmal nicht.
       
       14 Jan 2023
       
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