# taz.de -- Der Polizeieinsatz in Lützerath: Nicht mehr normal
       
       > Warum gilt es als angemessen, dass die Polizei Klimaaktivist:innen
       > räumt? Nicht aber, dass sie Braunkohlebagger stoppt? Ein Gedankenspiel.
       
 (IMG) Bild: Die Polizei, dein Freund und Auto-von-der-Straße-Schieber
       
       Das ist ja wieder mal alles ganz normal. Hunderte, vielleicht Tausende
       Polizist:innen sind [1][seit Mittwoch in Lützerath] im Einsatz. Sie
       [2][räumen das von Aktivist:innen besetzte Dorf] an der Abbruchkante
       zum Braunkohletagebau. Sie kesseln Menschen ein, tragen sie durch die
       Gegend, schubsen mal hier, drängeln mal dort. Sie holen Aktivist:innen
       von den Bäumen, schmeißen Holzhütten um, fahren mit Blaulicht durch die
       Gegend.
       
       Das ist normal. Oder besser gesagt, es gilt als normal, weil es der
       Rechtslage entspricht. Weil Gerichte den Einsatz bestätigt haben. Weil es
       um ein von Parlamenten und Regierungen beschlossenes Vorgehen geht. Aber
       dafür kann die Polizei ja nichts. Sie setzt um, was andere beschlossen
       haben. So weit, so gut?
       
       Auf Facebook schrieb jemand am ersten Tag der Räumung: „Der Tag ist nicht
       mehr fern, da wird der Bau von Windrädern wie der Abbau von Kohle in
       Lützerath durchgesetzt werden.“
       
       Klar, das klingt irgendwie gaga. Aber ist es das auch?
       
       Führen wir den Gedanken doch mal zu Ende: Warum eigentlich gibt es keine
       Einsatzhundertschaften, die [3][in windradresistenten Gegenden] die
       Blockierer:innen vertreiben, damit dort ein paar Anlagen in den Boden
       gebracht werden können?
       
       Und wieso holt die Polizei landauf, landab die Menschen von der Straße,
       [4][die sich für den Klimaschutz auf den Asphalt kleben], nur um für freie
       Fahrt für klimaschädliche Autos zu sorgen, anstatt genau diese von den
       Straßen zu verbannen?
       
       Oder wieso räumt die Polizei eigentlich die paar Hundert Aktivist:innen
       [5][aus dem kleinen Lützerath], anstatt selbst in die daneben liegende
       Grube zu springen und die dort [6][nach Kohle grabenden Bagger]
       stillzulegen? Die machen schließlich nicht nur die Gegend zwischen Köln und
       Aachen kaputt, sondern in logischer Konsequenz gleich noch das Weltklima.
       
       Schon klar, auf solch utopische Weltverdrehungen kann nur ein ökoverliebter
       Schreiberling von der taz kommen. Für alle anderen klingt das – ja was?
       Lustig?
       
       Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Der Klimawandel ist real. Und ein
       drängendes Problem. Ein sehr drängendes. Und die Aktivist:innen, die gerade
       in erster Linie der aus allen Ecken der Republik zusammengetrommelten
       Polizei, tatsächlich aber vor allem den sich hinter ihr versteckenden
       Braunkohleverheizer:innen im Wege stehen, fordern ja auch nicht
       irgendeinen weltfremden Quatsch, sondern genau das, worauf sich die
       Weltgemeinschaft [7][in einem einmaligen Schritt bei der Klimakonferenz
       2015 in Paris] geeinigt hat: die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles.
       
       Und dieses Ziel ist auch nicht irgendeine
       nice-to-have-schön-dass-wir-mal-drüber-geredet-haben-aber-ansonsten-völlig-
       egale Absichtserklärung. Nein, es wurde 2021 [8][durch einen Beschluss des
       Bundesverfassungsgerichts faktisch in den Verfassungsrang gehoben]. Je
       weiter der Klimawandel voranschreitet, umso mehr Gewicht habe dieses
       Klimaschutzgebot, argumentierte Deutschland höchstes Gericht.
       
       Dass es dennoch keine Polizeieinsätze zugunsten des Klimaschutzes gibt, hat
       mehrere Gründe. Da ist als Erstes die aktuelle Bundesregierung. Die
       behandelt wie ihre Vorgängerin das Paris-Abkommen eben doch wie eine
       nice-to-have-schön-dass-wir-mal-drüber-geredet-haben-aber-ansonsten-völlig-
       egale Absichtserklärung. Bei der Umsetzung in Recht und Gesetz hapert es an
       allen Ecken und Enden.
       
       Damit hat die Polizei natürlich auch keine Handhabe, keinen Auftrag, an
       irgendeiner Stelle in dieser Richtung tätig zu werden.
       
       Noch wichtiger aber: Klimaschutz, der nur mit einem Großaufgebot der
       Polizei durchgesetzt werden kann, das erscheint so antiutopisch, so
       obrigkeitsstaatlich, dass man es sich selbst in der buntesten Ökofantasie
       nicht vorstellen mag. Weil es tatsächlich absurd ist.
       
       Eine Frage aber bleibt: Wenn massive Polizeieinsätze im Auftrag des
       höchstrangigen Klimaschutzes aus guten Gründen immer noch absurd
       erscheinen, warum zum Kohlebagger sollen sie dann gerade zur Durchsetzung
       von klimaschädlichem Handeln normal sein?
       
       13 Jan 2023
       
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