# taz.de -- Besetzung gegen Braunkohle: Ein Symbol weniger
       
       > Lützerath fällt. Seit dem Mittwochmorgen ist die Polizei dabei, das
       > besetzte Dorf zu entvölkern. Das Ortsschild ist schon verschwunden.
       
 (IMG) Bild: Räumung im Bollerwagen
       
       Ein Mann hat sich mit einer Schutzbrille vor Augen in ein Autowrack begeben
       und sich dort angekettet – mit einem neben ihm auf dem Beifahrersitz
       liegenden Gullydeckel. Acht Polizisten arbeiten an ihm: Einer flext, einer
       leuchtet, einer sprüht Wasser aus einer Handpumpe, einer versucht mit einem
       Tuch, den Funkenflug vom Nacken des Angeketteten abzuhalten. Die anderen
       assistieren. Es dauert eine halbe Stunde, bis der Mann das Auto verlassen
       muss.
       
       Wenige Meter entfernt werden Demonstranten unter einem Tripod einzeln
       weggeschleift, eine Frau dabei kopfüber über einen Zaun gehievt. „Keine
       Gewalt“, skandieren die friedfertig Sitzenden. Und immer wieder: „Du bist
       nicht allein.“
       
       Seit Wochen war darüber gerätselt worden, wann denn die Räumung des
       besetzten Weilers [1][Lützerath] im rheinischen Braunkohlerevier durch die
       Polizei beginnen würde – dort, wo der Energiekonzern RWE die Braunkohle
       unter dem Ort abbaggern möchte. Noch in dieser Woche, vermuteten die einen.
       Nein, erst nach der für das nächste Wochenende geplanten Großdemonstration,
       meinten die anderen.
       
       Doch jetzt, an diesem regnerischen Mittwoch, ist die Polizei plötzlich da,
       sperrt die Zugänge und beginnt damit, ihrerseits das Dorf [2][Lützerath zu
       besetzen]. Das sind nur ein paar alte Häuser, Baumhütten, eine
       provisorische Kapelle und einige Hundert Menschen, die sich dort
       niedergelassen haben. Die wollen ausharren, und zwar so lange wie nur
       irgend möglich, um den von seinen ursprünglichen Bewohnern verlassenen Ort
       gegen die riesigen Schaufelradbagger zu verteidigen.
       
       Doch am Ende des ersten Tags der Auseinandersetzung zwischen der Polizei
       und den Besetzern sieht es nicht danach aus, als könnte ihnen das gelingen.
       Eine Besetzerin sagt schon am Mittag geschockt: „Wenn das so weitergeht,
       ist am Samstag zur großen Demonstration alles weg.“
       
       ## „Verlassen Sie diesen Ort“
       
       Die Polizei ist am frühen Morgen angetreten und hat überraschend schnell
       die Häuser von Lützerath erreicht. Jetzt, am Mittag, schallen immer wieder
       ihre Durchsagen über Lautsprecher: „Verlassen Sie diesen Ort, dann hat das
       keine Konsequenzen“, heißt es da. Doch nur vereinzelt gehen Menschen. Eine
       kleine Gruppe wird in Marschformation von zwei Dutzend Polizisten umringt
       hinausgeführt. Die Gruppe marschiert ironisch mit und singt dabei
       widerständige Lieder.
       
       Die Polizei scheint überall in dem kleinen Ortsgelände präsent zu sein,
       aber noch ist sie nicht in den Häusern selbst aufgetreten. Alle gut 30
       Baumhäuser stehen am Mittag noch. Geräumt werden vorläufig nur die Menschen
       auf den Straßen und Wegen.
       
       Da draußen steht [3][David Dresen] von der Gruppe „Alle Dörfer bleiben“. Er
       sagt: „Die Kohle unter Lützerath brauchen wir erst in sechs Jahren. Die
       grüne Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, hetzt
       Menschengruppen gegeneinander auf.“
       
       Mittags hinter der Scheune des ehemaligen Gehöfts von Bauer Heukamp: Großer
       Jubel schallt von oben, wo Leute auf Scheunendächern und Tripods sitzen:
       Ein großer Bagger hat sich in einem Graben festgefahren. Er versucht
       Manöver aller Art, vor und zurück, mit der Baggerschaufel als Hebel –
       erfolglos.
       
       Anderthalb Stunden dauert es, bis ihn ein noch viel größerer Bagger
       schiebend befreit. Daneben kommen die ersten polizeilichen
       Höheninterventionsteams zum Einsatz und arbeiten an einer Vorrichtung eines
       Bodenholzhauses und einer komplexen Seilkonstruktion. Am Nachmittag fallen
       die ersten selbst gebauten kleinen Holzhäuser auf Stelzen. Die Arbeit der
       Beamten wird von Umstehenden mit Schmährufen begleitet.
       
       ## Im Bollerwagen geräumt
       
       Auf der Straße werden Menschen nach draußen getragen oder im Bollerwagen
       aus Lützerath herausgefahren. Auch ein Mann im Eisbärenkostüm, der an der
       Mahnwache eben noch Kaffee ausgeschenkt hat, verlässt Lützerath waagerecht.
       Zwei kräftige Beamte tragen ihn.
       
       Alles laufe „sehr effizient“, sagt die parlamentarische Beobachterin der
       Linken, die Bundestagsabgeordnete [4][Kathrin Vogler], „die Polizei hat
       offenbar aus Hambach 2018 gelernt“.
       
       Noch ist es nur windig, aber frisch und schon jetzt tief vermatscht. Am
       Donnerstag sollen 40 Liter Regen fallen.
       
       Währenddessen bauen Polizeikräfte an einem Zaun, der den ganzen Ort
       umschließen soll. Alle Zugangswege sind voller Sicherheitskräfte. Dresen
       sagt: „Ich bin empört, dass die Presse nicht rein darf. Dann können die ja
       unbeobachtet machen, was sie wollen.“ Dem ist allerdings nicht ganz so.
       Denn Hunderte Fotografen, Kameramenschen und Journalisten berichten von vor
       Ort. Allerdings ist der Zugang nach Lützerath am Mittwochmorgen auch für
       Vertreter der Presse eher eine Frage des Glücks. An dem einen Checkpoint
       pochen die Beamten auf ein striktes Zugangsverbot, an einem anderen geht
       man freundlich lächelnd und grüßend ohne Kontrolle einfach durch.
       
       Eine Gruppe von Sanitätern des Roten Kreuzes berichtet, sie seien am Morgen
       im Ort gewesen und hätten Platzverweis bekommen. „Wenn es einen Notfall
       gibt, dann sollen die den Notruf wählen und Polizeikräfte würden sich
       kümmern. Das geht doch nicht. So was habe ich noch nie erlebt.“
       
       ## Das Ortsschild fällt
       
       Andrea Gerhards von der Mahnwache in Lützerath steht ratlos am Rand des
       Geschehens: „Ich bin für das alles zu sensibel“, sagt sie schluchzend, „das
       macht mich so fertig, überall plötzlich nur noch Polizeihundertschaften, wo
       du hinguckst.“ Eines hat sie noch vor: das Straßenschild „Weg der
       Radikalisierung“ hinausschaffen heute Abend. Das Haus der Geschichte NRW in
       Düsseldorf will das gerne haben.
       
       Am Nachmittag ist auch das vielfach fotografierte Ortsschild von Lützerath
       mit den vielen Aufklebern rund um das große „Bleibt!“ wegrasiert. Dahinter
       steigt die erste Hebebühne auf zum Baumhaus an der Ecke.
       
       11 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Müllender
       
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