# taz.de -- UN-Missionen in Afrika: Ruhe in Frieden, UNO
       
       > Vor über 30 Jahren begann in Somalia die Ära der großen UN-Missionen in
       > Afrika. Ihre Zeit ist längst vorbei. Aber niemand bemüht sich, sie
       > abzuwickeln.
       
 (IMG) Bild: Bundeswehrsoldat der UN-Mission in Somalia in einem Panzerfahrzeug während einer Patrouille 1993
       
       Was waren das noch für Zeiten, als der [1][Sicherheitsrat der Vereinten
       Nationen] als oberstes Organ für Frieden in der Welt galt. Vor fast 31
       Jahren, am 31. Januar 1992, trafen sich zum ersten Mal in der UN-Geschichte
       die Staats- und Regierungschefs aller Sicherheitsratsmitglieder in New York
       und verkündeten eine Zeitenwende – „a time of momentous change“, wie es in
       der [2][Abschlusserklärung] der Sitzung heißt.
       
       „Die Beendigung des Kalten Krieges hat Hoffnungen auf eine sichere,
       gerechtere und menschliche Welt geweckt. […] Die Welt hat jetzt die beste
       Chance seit Gründung der Vereinten Nationen, internationalen Frieden und
       Sicherheit zu erreichen“, erklärten die Ratsmitglieder und stellten fest,
       „dass Frieden und Wohlstand unteilbar sind und dass dauerhafter Frieden und
       Sicherheit wirksame internationale Zusammenarbeit zur Ausrottung der Armut
       und der Förderung eines besseren Lebens für alle in Freiheit erfordern.“
       
       Wenige Monate nach diesen bis heute aktuellen Formulierungen
       veröffentlichte UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali die [3][„Agenda
       für den Frieden“], um daraus praktische Politik zu machen. Darin wurde das
       Konzept des „post-conflict peacebuilding“ entworfen: große
       UN-Friedensmissionen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau von
       Bürgerkriegsländern nach dem Ende eines Konflikts unter Aufsicht der
       Staatengemeinschaft.
       
       Afrika wurde ab 1992 das Exerzierfeld für diesen Höhepunkt des
       internationalen Interventionsoptimismus. In Somalia, das seit dem Sturz des
       Diktators Siad Barre Anfang 1991 keine anerkannte Regierung mehr hatte und
       gleichzeitig in Bürgerkrieg und Hungersnot versunken war, lud sich die UNO
       selbst zur „humanitären“ Militärintervention ein, mit einer Blauhelmmission
       auf Wunsch nicht der lokalen Regierung – die gab es ja nicht –, sondern auf
       Wunsch des Sicherheitsrats und daher mit einem Mandat unter Kapitel VII der
       UN-Charta, das Blauhelmsoldaten zur Gewaltanwendung ermächtigt.
       
       ## Debatten, die heute seltsam erscheinen
       
       Die heftigen Debatten jener Zeit über „robustes“ Eingreifen und auch, ob
       eine deutsche Bundesregierung wirklich deutsche Soldaten zum Schießen
       einsetzen darf, muten heute seltsam antiquiert an. Umgekehrt wäre es heute
       völlig undenkbar, dass die UNO in einem Land ohne Billigung durch die
       dortigen Machthaber eingreift.
       
       Bis heute ist Afrika der einzige Kontinent mit großen UN-Blauhelmmissionen
       auf dem Papier den Konzepten von 1992 treu geblieben. 18.278
       Missionsangehörige – Militär- und Zivilpersonal – hat laut [4][UN-Zählung]
       die ursprünglich 1999 gegründete UN-Mission [5][Monusco] in der
       Demokratischen Republik Kongo. 17.954 zählt die 2011 etablierte [6][UNMISS]
       in Südsudan, 17.557 die 2013 stationierte [7][Minusma] in Mali, 16.327 die
       seit 2014 bestehende [8][Minusca] in der Zentralafrikanischen Republik.
       
       Die Mandate dieser Missionen sind im Laufe der Jahre ständig gewachsen, aus
       „Peacekeeping“ wurde „Stabilisierung“, die regelmäßigen Resolutionen des
       UN-Sicherheitsrats sind wahre Reformkataloge der jeweiligen Innenpolitik.
       Aber die Überdehnung auf dem Papier geht einher mit einer Schwächung in der
       Realität.
       
       Wenn aktuell eine Pufferzone zwischen Armee und Rebellen in der
       Demokratischen Republik Kongo eingerichtet wird, tun das nicht die
       UN-Blauhelme, obwohl Tausende davon in der gleichen Gegend unterwegs sind,
       sondern Eingreiftruppen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC). Wenn
       Milizen in Südsudan die Zivilbevölkerung vertreiben, äußert die UN-Mission
       „tiefe Sorge“ und empfiehlt das Engagement junger Menschen für den Frieden,
       aber sie hütet sich einzugreifen.
       
       ## Peacekeeping als lukrative Industrie
       
       In der Zentralafrikanischen Republik sind nicht die UN-Blauhelme, sondern
       Söldner aus Russland die aktivsten Interventionskräfte, und während deren
       Terror gegen die Zivilbevölkerung zunimmt, nennt die UN-Mission in ihren
       Berichten die Wagner-Söldnerarmee nicht einmal beim Namen. In Mali bleibt
       die UNO sogar passiv, wenn Malis Militärjustiz Soldaten aus der
       Elfenbeinküste, die im Auftrag des deutschen UN-Kontingents einfliegen,
       wegen „Terrorismus“ zum Tode verurteilt – die Ivorer sind mittlerweile
       wieder frei, aber nicht durch UN-Bemühungen.
       
       Keine dieser UN-Missionen würde man heute auf die Beine stellen, wenn es
       sie nicht schon gäbe. In allen vier Ländern trommeln die Machthaber gegen
       die UN-Präsenz und empfinden die detaillierten Vorgaben aus New York als
       unzulässige Beschneidung ihrer Souveränität. Sie wenden sich neuen
       verlockenden Partnern wie Russland zu, die militärisches Handeln ohne
       Völkerrecht anbieten, viel einfacher und praktischer.
       
       Afrikas neues Selbstbewusstsein im 21. Jahrhundert ist der Treiber dieser
       Entwicklung, aber das Debakel war bereits in Somalia 1992 angelegt. Da
       niemand vor Ort die Blauhelme eingeladen hatte, bat die UNO US-Präsident
       Bill Clinton, den Boden freizukämpfen. Die US-Marines in Mogadischu machten
       den „humanitären“ Einsatz zum Kampfeinsatz und die UN-Mission in der
       somalischen Wahrnehmung zum verlängerten Arm einer US-Invasion.
       
       Nach Hunderten Toten und schweren Kämpfen war 1995 alles wieder vorbei.
       Zwischenzeitlich hatten UN-Blauhelme auch beim Völkermord an den Tutsi in
       Ruanda 1994 komplett versagt und waren abgezogen, statt gegen die Massaker
       vor ihrer Nase einzugreifen.
       
       Immerhin ging das Beenden einer UN-Mission damals schnell. Heute ist das
       Peacekeeping eine lukrative Industrie geworden, in der Zehntausende
       internationale Experten Geld und Karriere machen und über die viele
       afrikanische und asiatische Länder ihre Armeen finanzieren. Die
       UN-Missionen sind zum Selbstzweck geworden. Ihr Scheitern ist ihre
       Überlebensgarantie: Je unwichtiger sie in der Realität sind, desto weniger
       stören sie und desto unbekümmerter können sie weitermachen. Niemand bemüht
       sich, sie abzuwickeln. Aber ihre Zeit ist vorbei.
       
       17 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.un.org/securitycouncil/
 (DIR) [2] https://www.un.org/en/sc/repertoire/89-92/Chapter%208/GENERAL%20ISSUES/Item%2028_SC%20respons%20in%20maint%20IPS.pdf
 (DIR) [3] https://digitallibrary.un.org/record/145749
 (DIR) [4] https://peacekeeping.un.org/en/where-we-operate
 (DIR) [5] https://monusco.unmissions.org/en
 (DIR) [6] https://unmiss.unmissions.org/
 (DIR) [7] https://minusma.unmissions.org/en
 (DIR) [8] https://minusca.unmissions.org/en
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Afrobeat
 (DIR) Vereinte Nationen
 (DIR) Afrika
 (DIR) Söldner
 (DIR) Somalia
 (DIR) Militär
 (DIR) Bürgerkrieg
 (DIR) Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
 (DIR) Mali
 (DIR) Ostkongo
 (DIR) Äthiopien
 (DIR) Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
 (DIR) UN
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) UN-Mission in Mali: Vor dem Aus
       
       Im UN-Sicherheitsrat streiten Mali und Frankreich über die UN-Mission
       MInusma. Die UNO nennt deren Lage „unhaltbar“.
       
 (DIR) Nach Protesten in Ostkongo: Tödliche Schüsse durch Blauhelme
       
       Gegen die internationalen Eingreiftruppen wird im Kriegsgebiet
       demonstriert. Bei Auseinandersetzungen mit UN-Soldaten sterben fünf
       Menschen.
       
 (DIR) Baerbock besucht Äthiopien: Kooperation nach Friedensabkommen
       
       Zwei Tage lang besucht die Außenministerin den ostafrikanischen Staat. Auch
       China und Russland spielen bei den Gesprächen eine wichtige Rolle.
       
 (DIR) Europäische Söldner im Kongo: Kongos geheime weiße Armee
       
       Erst suchte die Demokratische Republik Kongo Russlands Hilfe gegen die
       M23-Rebellen. Nun stehen in Goma Söldner aus Rumänien. Eine taz-Recherche.
       
 (DIR) Kolumne Afrobeat: Im Schlangennest
       
       UN-Einsätze konnten kaum etwas gegen Milizen bewirken. Politiker lassen
       sich keine Agenda diktieren, sondern nutzen die militärische Hilfe für ihre
       Zwecke.