# taz.de -- Klimabewegung und Grüne: Lützerath als Zerreißprobe
       
       > In Lützerath hat der Klimaprotest seine Entschlossenheit bewiesen. Doch
       > der politische Druck auf die Grünen war nicht stark genug.
       
 (IMG) Bild: Pinky & Brain im Tunnel unter Lützerath
       
       Für einen kurzen Moment waren sie die Helden der Klimabewegung: Als letzte
       Besetzer Lützeraths verließen Pinky und Brain am Montag das von der Polizei
       doppelt umzäunte Gelände im rheinischen Braunkohlerevier. Fünf Tage lang
       hatten sie in einem Tunnel ausgeharrt, vier Meter unter der Erde.
       
       Während sie dort saßen, machten über ihren Köpfen Polizist*innen aus
       dem ganzen Bundesgebiet in hoher Geschwindigkeit zunichte, was
       [1][Aktivist*innen anderthalb Jahre lang aufgebaut hatten]: Baumhäuser,
       Barrikaden und den Traum, das Dorf und das Klima vor dem Kohlehunger der
       fossilen Industrie zu retten. Nachdem 35.000 Demonstrant*innen die
       Zerstörung nicht aufhalten konnten, war der Tunnel das Ass im Ärmel. Er
       sollte die Räumung verzögern, bis der politische Druck auf die Grünen so
       hoch wäre, dass sie ein Moratorium für die Räumung durchsetzen würden.
       
       „Pinky und Brain haben mehr fürs Klima getan und mehr Rückgrat bewiesen,
       als alle Bundestagsabgeordneten der Grünen zusammen“, [2][twitterte] die
       Hamburger Aktivistin Emily Laquer. Die Aussage trifft ins Schwarze: Obwohl
       sie das Dorf nicht retten konnten, hat Lützerath der Klimabewegung
       Auftrieb verschafft.
       
       Den Spalt, der zwischen den Grünen und der Bewegung verläuft, hat es jedoch
       zu einem Graben gemacht. Und es hat die Bundesregierung, vor allem die
       grüne Beteiligung daran, international bloßgestellt. „Deutschland plant,
       dieses Dorf für eine Kohlemine zu zerstören“, titelte CNN. „Greta Thunberg
       von Spezialeinheit der Polizei abgeführt“, schrieb The Guardian.
       „Deutschland blamiert sich selbst“, fasste Thunberg zusammen.
       
       ## Es geht um das 1,5-Grad-Ziel
       
       Ist das Fiasko der einen gleich dem Erfolg der anderen? Der Klimabewegung
       geht es nicht darum, die Grünen als Heuchler*innen dastehen zu lassen.
       Trotzdem bemisst sich der Erfolg von Lützerath in erster Linie an der
       Wirkung in der Öffentlichkeit. Kein deutschsprachiges Medium erschien in
       der vergangenen Woche ohne Berichte über die Besetzer*innen, und viele
       übernahmen deren Framing: Es ging nicht um ein Dorf, sondern um die
       Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.
       
       Wenn [3][Anne Will am Sonntagabend vor 3,5 Millionen Zuschauer*innen]
       die Frage stellt, ob es nicht klüger wäre, die Kohle unter Lützerath im
       Boden zu lassen, hat sich etwas bewegt. Für die Deutschen ist Klimaschutz
       wieder etwas, für das Junge und Alte zu kämpfen bereit sind, und nicht nur
       etwas, das auf dem Weg zur Arbeit die Kreuzung mit Sekundenkleber
       blockiert.
       
       Dass es den Aktivist*innen dieses Mal gelungen ist, ein Stück weit die
       Deutungshoheit über die Geschehnisse zu behalten, liegt auch daran, dass
       sie nicht in eine Falle getappt sind: Sie haben sich nicht in „gute“ und
       „schlechte“ Demonstrant*innen spalten lassen. Flaschen, Steine und ein
       Molotowcocktail, die Vermummte zu Beginn der Räumung in Richtung der
       Polizist*innen warfen, brachten die Umweltverbänden und
       Bürgerinitiativen nicht dazu, sich von gewalttätigen Demonstrant*innen
       zu distanzieren.
       
       ## Die nächsten Schritte entscheiden
       
       Natürlich lehnen die Verbände und wohl auch die allermeisten
       Demonstrant*innen solche Gewalt ab. Doch Distanzierungen von
       Mitstreiter*innen, auch wenn diese daneben liegen, schwächen soziale
       Bewegungen. In Lützerath standen von der moderatesten NGO über die
       militantesten Aktivist*innen alle zusammen. Das gab es sehr lange nicht
       mehr.
       
       Für eine Suchende, die die Klimabewegung derzeit ist, kam Lützerath gerade
       noch rechtzeitig. Sind die von Fridays for Future mobilisierten Massen
       bereit, einen Schritt weiterzugehen, angemeldete Demonstrationen zu
       verlassen und zivilen Ungehorsam zu leisten? Greta Thunberg ließ sich, Füße
       voran, von der Polizei aus einer Blockade tragen. Ebenso Luisa Neubauer.
       Greenpeace-Chef Martin Kaiser blockierte eine Zufahrtsstraße. Zwar waren
       die Bedingungen in Lützerath günstig: Der Widerstand gegen Kohle ist
       anschlussfähiger als der Widerstand gegen Autos, außerdem ist er im
       Rheinland tief in der Zivilgesellschaft verankert.
       
       Gleichzeitig bleiben aber auch [4][Bilder von Polizeigewalt] und Narben von
       Knochenbrüchen. Und natürlich die Enttäuschung, dass Lützerath in Trümmern
       liegt. Versuche, aus der Großdemonstration heraus den Zaun zu stürmen und
       das geräumte Dorf wieder zu besetzen, sind gescheitert. Wohl auch, weil die
       Masse nicht bereit für diesen, den übernächsten Schritt ist.
       
       Pinky und Brain haben sich kurz nachdem sie den Tunnel verließen, aus der
       Öffentlichkeit verabschiedet. Sie wollen keine Helden sein, stellen sie
       klar: „Der Tunnel an sich hat keine Bedeutung.“ Wichtiger sei die
       Notwendigkeit, aus der er besetzt wurde. Über die immerhin ist sich die
       Bewegung einig. Damit geht sie gestärkt in kommende Auseinandersetzungen.
       Vielleicht klappt es dann beim nächsten Mal auch mit dem Zaun.
       
       20 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Proteste-gegen-die-Raeumung-von-Luetzerath/!5906173
 (DIR) [2] https://twitter.com/EmilyLaquer
 (DIR) [3] https://www.ardmediathek.de/video/anne-will/kampf-um-luetzerath-zerreissprobe-fuer-die-deutsche-klimapolitik/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS9kZjI5NGVlMy1iMmM3LTRiMjQtYTRhMS1iM2VhNWFhMTcwNDE
 (DIR) [4] /Polizeigewalt-in-Luetzerath/!5906671
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
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