# taz.de -- Rechte und „Querdenker“ in der Justiz: Staatsstreich mit Rechtsbeugung
       
       > Die Richterin und AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann sitzt wegen
       > mutmaßlicher rechter Umsturzpläne in U-Haft. Nur ein Einzelfall in der
       > Justiz?
       
 (IMG) Bild: Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann
       
       BERLIN taz | Am 13. Oktober 2022 hatte die ehemalige
       AfD-Bundestagsabgeordnete und [1][Berliner Landrichterin Birgit
       Malsack-Winkemann] Grund zu feiern: Das Richterdienstgericht beim
       Verwaltungsgericht Berlin hatte den Antrag der Justizsenatorin Lena Kreck
       (Linke) abgelehnt, sie aus dem Dienst zu entfernen. Ihr Glück währte jedoch
       keine zwei Monate. Seit Anfang Dezember sitzt sie in Untersuchungshaft –
       wegen des Verdachts, mit einer Gruppe von Reichsbürgern,
       Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten einen Staatsstreich geplant zu
       haben.
       
       Die Schlüsselfrage: Ist der Absturz der Richterin [2][ein Einzelfall in der
       Justiz?] Was die mutmaßliche Verstrickung in den geplanten Putsch angeht:
       sicher. Nicht jedoch bezüglich ihrer ideologischen Nähe zu der Mischszene
       aus Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Querdenkern. Deren Virus hat
       einzelne Staatsanwälte und Richter während der Coronapandemie infiziert.
       
       ## „Gib Gates keine Chance“
       
       Eine rechte Querdenkerin war die Berliner Staatsanwältin Renate H. (Name
       geändert). Bei Angriffen von Rechtsextremisten und Hooligans auf Polizisten
       vor der russischen Botschaft am 29. August 2020 marschierte sie mit ihrem
       Sohn in der ersten Reihe, obwohl sie als Staatsdienerin eigentlich auf der
       anderen Seite der Polizeiabsperrung stehen sollte. Später mündete diese
       Demonstration in dem Versuch, den Reichstag zu stürmen
       
       Allem Anschein nach ist Renate H. keine Gelegenheits-, sondern
       Überzeugungstäterin. Schon im August 2020 marschierte sie mit Reichsbürgern
       auf der ersten großen Demo gegen die Coronapolitik in Berlin. Im August
       2022 besuchte sie teilweise gewalttätige Proteste in Leipzig. Auf ihrem
       Facebook-Profil verbreitete die Vertreterin der Staatsgewalt monatelang
       Verschwörungstheorien.
       
       Lange stand auf ihrem Profilbild der Slogan „Gib Gates keine Chance“. In
       Querdenker-Kreisen ist die These populär, dass der Microsoft-Gründer Bill
       Gates die Pandemie absichtlich ausgelöst habe. Andere Posts legen den
       Schluss nahe, dass sie im rechtsextremen Milieu verwurzelt ist. Mehrfach
       hat sie Beiträge geteilt, die von der schwarz-weiß-roten Reichsflagge als
       „Symbol für einen Friedensvertrag“ sprachen.
       
       ## Weimars Anti-Corona-Richter
       
       Ideologisch schwer einzuordnen sind drei Entscheidungen der Amtsgerichte
       Weimar und Weilheim, die die Maskenpflicht in Schulen für verfassungswidrig
       und nichtig erklärt haben, obwohl ausschließlich Verwaltungsgerichte
       zuständig sind. Eine klare Zuständigkeitsanmaßung.
       
       Gemeinsam ist den drei Amtsrichtern, dass sie mit ihren Entscheidungen eine
       politische Agenda verfolgt haben, eine richterliche Todsünde, weil sie
       damit gegen das Gebot der richterlichen Neutralität verstoßen. In ihren
       Entscheidungen polemisieren sie offen gegen die Bundesregierung oder
       verstecken sich hinter juristischer Dogmatik – zum Beispiel durch die
       selektive Auswahl von Gutachtern, die als Coronaverharmloser bekannt sind,
       oder durch medizinisch unbelegte Behauptungen.
       
       Der Weimarer Amtsrichter Matthias Guericke geißelte Lockdowns als
       „katastrophale politische Fehlentscheidung“ und ein Strategiepapier des
       Innenministeriums als „Science-Fiction“. Solche politischen
       Meinungsäußerungen haben in gerichtlichen Entscheidungen nichts zu suchen.
       Im Echo auf Guerickes Beschluss rätselten viele, wo er politisch steht, ob
       er Reichsbürger, Querdenker oder AfD-Sympathisant sei. Auf die Idee, dass
       er ein Grüner sei, wie Guericke selbst über sich behauptet, kam niemand.
       
       Sein Weimarer Kollege Christian Dettmar behauptete kontrafaktisch, dass
       „nach wissenschaftlichen Erkenntnissen“ „Masken keinen Effekt auf das
       Infektionsgeschehen haben“ und der PCR-Test „prinzipiell nicht zur
       Feststellung […] von Infektionen geeignet“ sei. Im Zorn erließ der
       Meininger Amtsrichter Volker Kuba im Februar 2021 einen Beschluss im Duktus
       eines Querdenkers: „Wie mittlerweile allgemein bekannt, gelten in der BRD
       momentan weder das Grundgesetz noch andere Gesetze.“
       
       Im Januar 2021 gründete sich das „Netzwerk kritischer Richter und
       Staatsanwälte“. Es versteht sich in seinem rechtlichen Widerstand gegen die
       staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen als „politisch neutral“. Befeuert durch
       Kontroversen über die Impfpflicht, haben drei Mitglieder im September 2021
       das Netzwerk verlassen: der Recklinghausener Amtsrichter Oliver Nölken, der
       Erfurter Landrichter Detlev Pahl und der pensionierte Landrichter Thomas
       Braunsdorf.
       
       In der schriftlichen Austrittserklärung werfen sie der „übergroßen Mehrheit
       der aktiven Mitglieder“ vor, das „Netzwerk als einen justiziellen Arm der
       Querdenker-Bewegung zu positionieren“: „Nach unserer Wahrnehmung nehmen
       medizinisches Halbwissen, Esoterik und Verschwörungsgeraune einen immer
       größeren Raum ein.“
       
       Empört hat die drei Richter unter anderem ein Beitrag auf der Webseite des
       Netzwerks, der das in Querdenker-Kreisen propagierte
       Pferde-Entwurmungsmittel Ivermectin als Wunderwaffe zur Behandlung von
       Coronakranken empfohlen hat. Außerdem fanden sie interne Chatnachrichten
       inakzeptabel, in denen „Corona-Schutzimpfungen in einen Zusammenhang
       gerückt, verglichen, sogar gleichgesetzt wurden mit biologischen
       Kampfstoffen, Völkermord und dem Holocaust“.
       
       Der Berliner Landrichter und Netzwerkmitbegründer Pieter Schleiter räumt
       relativierend ein, dass es in „zwei oder drei Fällen“ Beiträge „mit
       absurden Inhalten“ gegeben habe, deren „Inhalte gedanklich nicht voll
       erfasst wurden“. Allerdings scheint er selbst nicht frei vom
       Verschwörerischen zu sein. [3][In seiner Verfassungsbeschwerde] gegen
       staatliche Anti-Corona-Maßnahmen unkt er, dass „Zensur“ stattfinde und viel
       „Geld im Spiel“ sei, um „Sachverständige“ zu bezahlen, die „Entscheidungen
       wirkungsvoll beeinflussen“ können.
       
       ## Schwarz-weiß-roter Balkon
       
       Es gibt bereits ein Dutzend Urteile von Oberlandesgerichten und
       Verwaltungsgerichtshöfen, die Schöffen ihrer Ämter enthoben haben, weil sie
       sich als Mitglieder der NPD, einer rechtsextremistischen Skinhead-Band oder
       der Reichsbürger-Szene verfassungsfeindlich geäußert hatten.
       
       Getroffen hat es unter anderem einen Schöffen, der auf Facebook einen
       Beitrag mit den Worten weitergeleitet hatte: „Ich bin Bürger des Deutschen
       Reiches und kein Bürger der Firma BRD.“ Ein anderer Laienrichter musste
       gehen, weil er auf seinem Balkon die schwarz-weiß-rote Reichsfahne gehisst
       und die Bundesrepublik als „Besatzungsregime“ beschimpft hatte.
       
       Weil die politische Einstellung oder das Parteibuch bei der Wahl von
       Laienrichtern keine Rolle spielen soll, sorgen sich einige
       Gerichtspräsidenten, dass bei den Schöffenwahlen 2023 Bewerber vom rechten
       Rand unerkannt auf die Richterbank gelangen könnten.
       
       ## Schwerer Rechtsverstoß
       
       Wegen der richterlichen Unabhängigkeit ist es für die Selbstkontrolle der
       Justiz wesentlich schwerer, gegen Richter vorzugehen als gegen Schöffen,
       wenn sie politisch ausscheren. Die interne Dienstaufsicht wird nicht
       einheitlich gehandhabt. Das Reaktionsspektrum pendelt zwischen Wegschauen,
       falscher Toleranz bis zur schweren Keule einer Anklage wegen Rechtsbeugung.
       
       Der bereits erwähnte Richter Kuba aus Meiningen erhielt wegen Verstoßes
       gegen das Mäßigungsgebot einen bestandskräftigen Verweis, gegen die
       Berliner Querdenker-Staatsanwältin wurden strafrechtliche Ermittlungen und
       ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Glimpflich davongekommen ist Richter
       Guericke aus Weimar. Er wurde trotz „schwerer Rechtsverstöße“
       (Staatsanwaltschaft Erfurt) weder disziplinar- noch strafrechtliche
       sanktioniert.
       
       Sein Weimarer Kollege Dettmar und die AfD-Richterin Malsack-Winkemann
       werden ihre strafrechtlichen Verstrickungen dagegen beruflich wohl noch
       teuer bezahlen müssen, mit Entlassungen oder Versetzungen in den Ruhestand.
       Die bereits gegen Dettmar zugelassene Anklage wegen Rechtsbeugung ist
       rechtshistorisch eine Wegmarke: Es ist die erste Anklage wegen einer
       politisch motivierten Rechtsbeugung. Wegen dieser Anklage hat das Thüringer
       Richterdienstgericht am Landgericht Meiningen ihn vom Dienst suspendiert.
       Er hat seinen Arbeitsplatz geräumt und bekommt 25 Prozent weniger Gehalt.
       
       Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde aufgrund eines Hinweises des
       KRiStA n.e.V. aktualisiert. 
       
       Der Autor ist Jurist und Journalist. Sein Buch „Rechte Richter:
       AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den
       Rechtsstaat?“ ist kürzlich in der zweiten, erweiterten Auflage im Berliner
       Wissenschafts-Verlag erschienen.
       
       31 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Regelabfrage-beim-Verfassungsschutz/!5907868
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