# taz.de -- Festival Transmediale: Debatten über Macht und Karten
       
       > Das Berliner Medienkunstfestival Transmediale ist nach zwei Jahren
       > Coronapause wieder zurück. Ein Großteil der Arbeiten ist im Stadtgebiet
       > verteilt.
       
 (IMG) Bild: Simulation eines Sturms
       
       Nach zwei Jahren Coronapause ist die Transmediale zurück – und wie! Während
       [1][das Berliner Medienkunstfestival 2021 und 2022 vorwiegend online
       stattfand,] hatte man sich diesmal für Ausstellung und Konferenzprogramm in
       der Akademie der Künste am Hanseatenweg eingemietet. Und während viele
       Theater, Kinos und Museen ihr Vor-Corona-Publikum noch nicht von der Couch
       zurück in die Kulturstätten bewegen konnten, standen bei der Eröffnung der
       Transmediale die Besucher um den Block.
       
       Das Festival hat sein internationales Publikum trotz Pandemie halten
       können. Gerade die medienaffinsten Menschen haben offenbar wieder ein
       gesteigertes Bedürfnis nach körperlicher Nähe und informellen Treffen und
       Gesprächen im überfüllten Foyer statt Zoom-Meetings und Streams.
       
       Dazu passt in gewisser Weise das diesjährige Festivalthema:
       „Skalierungstechnologien“, also das Verhältnis vom Allerkleinsten zum
       Allergrößten – zum Beispiel von immateriellen Computercodes auf den
       physischen Raum, der (von Google Maps über die Lieferapps für Lebensmittel
       bis zu computergenerierten Wetterprognosen und Raumsimulationen) unsere
       Umwelt umgestaltet. Ein großer Teil der Transmediale ist darum diesmal in
       der Ausstellung „Out of Scale“ quer über die ganze Stadt verteilt zu sehen.
       
       Neben einer Reihe von Plakaten der Künstlerin Lauren Lee McCarthy, die in
       U-Bahnstation außerhalb des S-Bahnrings zu sehen sind und die mit
       wissenschaftlichen Statistiken („You are likely to have contact with bodily
       fluids in the next seven minutes.“) die trügerische Post-Corona-Sicherheit
       im öffentlichen Raum hinterfragen, gehören dazu auch eine Oper über das
       Anthropozän der katalanischen Künstlerin Joanna Moll, die man auf dem
       Tempelhofer Feld mit dem Smartphone hören kann.
       
       Einige Arbeiten von Transmediale-Künstlern werden bei Ebay angeboten. Und
       bei Berliner Spätis werden Wundertüten verkauft, die – ein Fluxus-Traum
       wird wahr! – einen USB-Stick mit digitalen Arbeiten und andere kleine
       Kunstwerke enthalten.
       
       ## Animierte Simulation eines Wintersturms
       
       Während diese Arbeiten bis Ende Februar zu sehen sind, wurde der größte
       Teil der Arbeiten, die in der Akademie der Künste gezeigt wurden, am
       Sonntagabend schon wieder abgebaut. Die Nan-Goldin-Ausstellung nimmt den
       größten Teil der Ausstellungsfläche ein, und nur eine Videoinstallation von
       Alan Butler und Simone C Niquille, die die Simulation eines Wintersturms im
       amerikanischen Yosemite-Nationalpark mit Bildern aus einer quietschbunten
       Animationsserie vermischt, ist bis zum 26. Februar zu sehen.
       
       Das ist schade, denn einige der Arbeiten würden länger denn nur als
       temporäre „Interventionen“ im Foyer für ein verlängertes Wochenende
       funktionieren – wie zum Beispiel die Installation „Water Cybernetics
       Hydrofiction 01: Holy Waters“ der chilenischen Künstlerinnen Antonia
       Hernandez und Laura Cugusi, die sich auf künstlerische Art für die
       Weisheiten der „Chicago Boys“ rächen, die ihr Heimatland in eine
       marktwirtschaftliche Hölle verwandelt haben.
       
       Diese Gruppe von chilenischen Wirtschaftswissenschaftlern hatte an der
       University of Chicago die neoliberalen Lehren von Friedrich August von
       Hayek und Milton Friedman kennengelernt und unter Pinochet implementiert:
       der Markt regelt, der Staat hält sich raus. Die Künstlerinnen haben darum
       an der Uni in Chicago Trinkwasser aus einem öffentlichen Trinkwasserbrunnen
       gezapft und damit eine Avocado-Plantage gewässert, die auf den früheren
       Feldern von enteigneten chilenischen Bauern angelegt wurde und nun ihrer
       Umwelt das Wasser entzieht.
       
       Wie Infrastruktur und geographische Entfernungen soziale Ungleichheit
       zementieren interessiert auch den amerikanischen Künstler Evan Roth, der
       seit Jahren mit Videos die Orte dokumentiert, an denen die globalen
       Internet-Tiefseekabel an Land kommen. Zu sehen sind reizvolle Strände,
       unter denen aber die Leitungen verlaufen, mit denen global Kapital und
       Macht verteilt werden. Diese Arbeiten haben ihnen nun zu einer
       Auseinandersetzung mit Weltkarten geführt, die scheinbar objektiv den
       Erdball zeigen, auf denen aber – wie bei der bis heute gängigen
       Mercator-Projektion – Alaska größer als Afrika ist.
       
       ## Die Macht der Kartographierung
       
       Um die Nachteile der verschiedenen gängigen Darstellungsweisen zu vermeiden
       und eine Debatte über Macht und Kartographierung anzustoßen, hat er ein
       Programm geschrieben und online veröffentlicht, mit dem man seine eigene
       Kartierungsprojektionen auf den Globus anwenden kann. So entstandene Bilder
       waren im vergangenen Jahr bereits im Kartenlesesaal der Berliner
       Staatsbibliothek zu sehen. Im Projektraum Rosa am Rosa-Luxemburg-Platz
       waren zur Transmediale nun Bilder vom Himmel über Berlin zu sehen, die mit
       diesen Kartierungsalgorithmen bearbeitet worden waren.
       
       Bei soviel Publikumszuspruch wie in diesem Jahr könnte man bei den
       kommenden Ausgaben der Transmediale wieder mehr Wert auf eine zugängliche
       Präsentation legen: mit einer übersichtlichen Website, einer transparenten
       Beschilderung der komplexen Arbeiten und einer längeren Ausstellungsdauer.
       So bleibt für alle, die am vergangenen Wochenende verhindert waren, nur ein
       Besuch des Transmediale-Ausstellungsraum im Silent Green im Wedding, wo
       eine kleine Präsentation bis zum 26. Februar zu sehen ist.
       
       Vielleicht findet man im von globalen Daten- und Warenströmen nur scheinbar
       abgekoppelten Späti an der Ecke aber auch noch eine
       Transmediale-Wundertüte.
       
       6 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Medienkunstfest-Transmediale/!5750031
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tilman Baumgärtel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) zeitgenössische Kunst
 (DIR) Medien
 (DIR) Transmediale
 (DIR) Festival
 (DIR) Animation
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Bildende Kunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Clubszene in der Ukraine: Ein Grollen, ein Brodeln
       
       Das Berliner CTM-Festival widmet der ukrainischen Club- und Elektronikszene
       einen Abend. Dort geht es um den Kriegsalltag zwischen Heimatland und Exil.
       
 (DIR) Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein: Zwischen Albtraum und Voyeurismus
       
       Die Kunst des Autodidakten Matthias Groebel liegt an der Schnittstelle von
       Malerei und Medienkunst. Sie entwickelt den Sog des alten Privat-TV.
       
 (DIR) Ausstellung von Wieland Schönfelder: Untote aus dem 3D-Drucker
       
       Wieland Schönfelder geht im Haus Coburg in Delmenhorst auf die digitale
       Spurensuche einer futuristischen Oper. Dabei trifft er El Lissitzky.