# taz.de -- Wissenschaftlerin über Geoengineering: „Wir geben der Natur Rückenwind“
       
       > Die Geologin Maria-Elena Vorrath entwickelt Techniken, mit denen CO2 aus
       > der Atmosphäre geholt werden kann. Sie sagt: Ohne Geoengineering geht es
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Geoengineering: Bei der Verwitterung der Gesteinsart Olivin wird der Atmosphäre CO2 entzogen
       
       taz: Frau Vorrath, Sie sagen, es sei Ihr Beruf, die Erde abzukühlen. Wie
       machen Sie das? 
       
       Maria-Elena Vorrath: Die Erde weiß ziemlich genau, wie sie sich selbst
       abkühlen kann. Seit es sie gibt, befördert sie selbst Kohlendioxid und
       Treibhausgase aus der Atmosphäre wieder zurück in den Boden oder ins
       Wasser. Das macht sie [1][zum Beispiel durch die Fotosynthese], bei der CO2
       in Biomasse umgesetzt wird, die nach Absterben der Pflanzen dann irgendwann
       unter der Erde liegt. Der andere Prozess ist die Gesteinsverwitterung.
       Daran forschen meine Arbeitsgruppe und ich schon seit vielen Jahren – und
       speziell daran, wie man den Prozess beschleunigen kann.
       
       Was heißt das genau? 
       
       Gesteinsverwitterung funktioniert so: Wenn Wasser und CO2
       aufeinandertreffen, entsteht eine schwache Säure, nämlich Kohlensäure. Wenn
       die wiederum an Gestein gelangt, löst es sich auf. Bei dieser Reaktion
       verwandelt sich CO2 in Bikarbonat. Das ist ein Stoff, der im Wasser sehr
       lange verweilen oder auch zu einem festen Mineral werden kann. Durch die
       Mineralisierung ist der Kohlenstoff, der vorher als CO2 die Erde aufgeheizt
       hat, sozusagen unschädlich. Wir forschen daran, wie verschiedene
       Gesteinsarten dazu beitragen und wie wir der Natur Rückenwind geben können,
       um diesen sehr langsamen Prozess etwas schneller ablaufen zu lassen.
       
       Und, wie können wir? 
       
       Das ist im Prinzip ganz einfach, nur ein bisschen Physik und Chemie. Wir
       können das Gestein zum Beispiel möglichst fein mahlen. Dann wird die
       Oberfläche im Verhältnis zum Volumen größer, es gibt also mehr
       Angriffsfläche für die Kohlensäure. Und wir können das Gestein in besonders
       günstige Milieus bringen, zum Beispiel dorthin, wo besonders viel CO2 zum
       Reagieren vorhanden ist. Das ist etwa im Boden der Fall, da ist der
       CO2-Gehalt häufig noch 20- bis 50-mal höher als in der Luft. Außerdem
       laufen chemische Prozesse ja immer ganz gut ab, wenn es warm ist. In den
       Tropen funktioniert das also besser als an den Polen.
       
       In der Praxis könnte das zum Beispiel heißen: Man bringt das gemahlene
       Gestein auf einem Acker aus, wo dann durch Regen oder Bewässerung die
       beschleunigte Gesteinsverwitterung in Gang gesetzt wird. 
       
       Genau, zum Beispiel. Das Gestein hat nämlich auch noch tolle Nebeneffekte.
       Versauerte Böden profitieren davon, weil der pH-Wert etwas steigt. Viele
       Gesteine enthalten außerdem wichtige Mikronährstoffe für Pflanzen, die auch
       häufig in den industriell hergestellten Mineraldüngern stecken. Wenn sich
       durch das Zerfallen des Gesteins neue Tonminerale bilden, kann das außerdem
       die Wasserhaltekapazität des Bodens verbessern. Und das CO2, das im Boden
       zu Bikarbonat umgewandelt wurde, wird nach und nach einfach ins Grundwasser
       und ins Meer gespült – dort bleibt es im Wasser oder mineralisiert.
       
       Das klingt gut. Aber solche Techniken gehören in den Bereich des
       Geoengineerings. Viele Leute zucken bei diesem Wort zusammen, die Öko-Szene
       ist skeptisch. Verstehen Sie das? 
       
       Ja, weil Hollywood da ganze Arbeit geleistet hat. Man hat gleich
       irgendwelche Katastrophenfilme im Kopf, bei denen es um Wettermanipulation
       geht. Geoengineering umfasst aber auch Technologien, mit der wir die
       Ursache der Klimakrise anpacken: die Treibhausgase. Geoengineering heißt
       erst mal nur, dass wir auf globaler Ebene die geochemischen oder
       biogeochemischen Kreisläufe verändern.
       
       Und das macht Ihnen keine Angst? 
       
       Geoengineering findet längst statt, nur leider in die falsche Richtung. Wir
       haben 200 Jahre lang alles CO2 in die Atmosphäre gepustet, das wir kriegen
       konnten, und dadurch eine Erwärmung ausgelöst. Jetzt überlegen wir, [2][wie
       wir das Gegenteil machen können]. Es gibt viele Abstufungen, wie
       technologisiert man da rangeht oder wie nah man an der Natur bleibt. Auf
       Island gibt es ein Projekt mit Maschinen, die das CO2 per Aminowäsche
       direkt aus der Luft in Wasser lösen und im Basaltgestein mineralisieren
       lassen. Mit der beschleunigten Gesteinsverwitterung versuchen wir, einen
       natürlichen Kreislauf zu stärken. Selbst wenn ich einen Baum pflanze,
       manipuliere ich bewusst die Umgebung.
       
       Dann ist aber alles, was wir Menschen tun, ein Eingriff in die Natur. 
       
       Ja, das könnte man sagen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir daran
       forschen. Damit meine ich auch die Sozialwissenschaften. Die sollten
       bewerten, welche Folgen die Eingriffe für die Gesellschaft haben. Für die
       Gesteinsverwitterung bräuchte es zum Beispiel eine große Bergbauindustrie.
       
       Fühlen Sie sich in der oft sehr verhärteten Debatte um Geoengineering
       missverstanden? 
       
       Ja. Es gibt viele Menschen, die da vielleicht noch so ein bisschen von den
       Neunzigern träumen: Fahr doch ein bisschen Fahrrad und iss mal ein
       Soja-Schnitzel, dann wird schon alles gut. Den Punkt haben wir schon lange
       überschritten. Wir sind in einer absoluten Notfallsituation. Wir müssen
       bereit sein, bestimmte Kosten in Kauf zu nehmen, um andere Kosten
       abzumildern. Das 1,5-Grad-Ziel werden wir nicht schaffen.
       
       Sie meinen das Ziel aus dem Pariser Weltklimaabkommen, die Erderhitzung
       möglichst bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu stoppen. Eine
       Marke, von der wir nur noch 0,3 Grad entfernt sind. 
       
       Es gab mal eine [3][Umfrage unter Autoren des Weltklimarats (IPCC]). Die
       meisten gehen von 3 Grad Erderhitzung bis zum Ende des Jahrhunderts aus.
       
       Das wäre ein Desaster mit noch viel mehr Naturkatastrophen, Zerstörung und
       Hungersnöten. 
       
       Viele Menschen halten sehr verträumt an der Vorstellung fest, dass Pflanzen
       uns retten. Aber wir gestehen erstens den Wäldern nicht den Platz zu, den
       sie brauchen. Und zweitens heißt jede Erwärmung auch, [4][dass die Wälder
       empfindlicher werden durch Dürren, Brände und Schädlinge]. Den Punkt, bis
       zu dem wir alles mit weichen und scheinbar natürlichen Methoden hätten
       lösen können, haben wir schon lange überschritten.
       
       Interessanterweise gibt es in der Debatte durchaus auch Zuspruch für
       Technologien, mit denen man CO2 aus der Luft filtern kann – aber oft von
       Leuten, die damit noch mehr CO2-Emissionen rechtfertigen wollen. Bereitet
       Ihnen das Sorge? 
       
       Die Wissenschaftler, die seriös an solchen Themen arbeiten, sagen ganz
       klar: Wir können CO2-Entnahme nur für die Emissionen einsetzen, [5][die
       sich wirklich nicht vermeiden lassen]. Ein Kohlekraftwerk lässt sich sehr,
       sehr gut vermeiden. Bei der Herstellung von Zement sieht das schon anders
       aus. Da würde es sich dann anbieten, entweder das CO2 direkt am Schornstein
       abzufangen oder eben zu sagen: Okay, wir holen das wieder aus der
       Atmosphäre raus, zum Beispiel durch Gesteinsverwitterung. Das ist aber
       nicht für irgendwelche Spaßemissionen da, die nur anfallen, weil jemand
       keine Lust hat, auf erneuerbare Energien umzustellen.
       
       Kann man denn schon sagen, wie viel Potenzial zur CO2-Entnahme es gibt? 
       
       Da gibt es große Unsicherheiten. Wir sagen grundsätzlich, dass wir im Jahr
       2050 theoretisch etwa 10 bis 20 Prozent der heutigen Emissionen absichern
       könnten – und zwar mit allen Methoden zusammen. In der Praxis müssten wir
       dafür aber skalieren wie die Blöden. Das heißt, die Industrie rund um
       CO2-Entnahme müsste sich alle zwei Jahre verdoppeln. Aber das passiert
       nicht, wir stehen noch ganz am Anfang. Selbst wenn wir es bis zum Maximum
       schaffen würden: Es hätte eben nur einen positiven Effekt, wenn wir
       gleichzeitig 90 Prozent unserer CO2-Emissionen reduzieren.
       
       Glauben Sie, dass die Menschheit in der Klimakrise auch
       Geoengineering-Technologien brauchen wird, [6][mit denen man das Wetter
       beeinflusst]? 
       
       Da geht es teilweise um sehr einschneidende Eingriffe, zum Beispiel darum,
       [7][Schwefeldioxid in die Atmosphäre zu sprühen, um das Sonnenlicht
       temporär zu dimmen]. Auf der anderen Seite tun wir wirklich jeden Tag alles
       dafür, dass diese Krise immer größer wird. Wir hauen Emissionen raus, als
       gäbe es kein Morgen. Und wir werden in eine Situation kommen, wo die
       Naturkatastrophen uns so aus dem Alltag reißen, dass einzelne Länder
       vielleicht keine andere Möglichkeit mehr sehen. Davor habe ich Angst: dass
       die Menschen so lange zögern mit Klimaschutz und Klimaanpassung, dass sie
       in Panik verfallen und dann eben etwas tun, was viel, viel weniger
       erforscht wurde als zum Beispiel Gesteinsverwitterung.
       
       Wie ist es für Sie, täglich an diesen Fragestellungen zu arbeiten? 
       
       Ich komme ursprünglich [8][aus der Polarforschung]. Das war sehr
       deprimierend, zu dokumentieren, wie die Klimakrise verläuft. Ein Kollege
       hat mal gesagt, dass wir im Grunde nur noch Sterbebegleitung bei der Natur
       machen. Das war wesentlich frustrierender als das, was meine Kollegen und
       ich jetzt machen. Wir wissen, dass unser Beitrag die Erde nicht allein
       retten wird. Aber er ist wichtig.
       
       11 Feb 2023
       
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