# taz.de -- Schweden stoppt umstrittenes Experiment: Klimamanipulation abgeblasen
       
       > Kann Kalkpulver in der Stratosphäre die Erderwärmung bremsen? In Lappland
       > gab es Proteste gegen ein solches Experiment – es wurde nun gestoppt.
       
 (IMG) Bild: Riskantes Projekt: Geoengineering-Versuch der Nasa in Neuseeland
       
       STOCKHOLM taz | Mehrere Kilo Kalziumkarbonat mit einem Ballon 20 Kilometer
       hoch in die Stratosphäre transportieren und dort das Kalkpulver in einer
       ein bis zwei Kilometer langen und mehrere 100 Meter breiten Wolke
       freisetzen: Das sieht das [1][ScoPEx- Experiment der US-amerikanischen
       Harvard-Universität] vor.
       
       Die WissenschaftlerInnen wollen so testen, inwieweit reflektierende
       Partikel die Sonneneinstrahlung verringern und so einen kühlenden Effekt
       auf die Erdatmosphäre haben könnten. Dieser „Stratospheric Aerosol
       Injection“-Plan ist eine der umstrittenen Geoengineering-Ideen, mit denen
       man hofft, den Klimawandel bremsen zu können. Bei Geoengineering handelt es
       sich um großtechnische Eingriffe in die globalen ökologischen Abläufe.
       
       Lange suchten die Harvard-WissenschaftlerInnen, die schon [2][2018 ein
       erstes Projekt zum „Dimmen“ der Sonne] vorgestellt hatten, nach einem
       passenden Startplatz für ihren Ballonversuch. 2020 wurden sie in Schweden
       fündig. Die staatliche Raumfahrtgesellschaft SSC war bereit, ihr
       lappländisches Raumfahrtzentrum Esrange, von wo aus Höhenforschungsraketen
       und -ballons gestartet werden, für das von Bill Gates mitfinanzierte
       Experiment zur Verfügung zu stellen. Bei einem ersten Ballonstart im Juni
       sollte die Technik getestet, im Herbst 2021 oder im Frühjahr 2022 dann das
       Pulver freigesetzt werden.
       
       Aber daraus wird nun nichts. Ende letzter Woche gaben Harvard und SSC
       bekannt, dass die Pläne auf Eis gelegt würden: Es gebe in der
       internationalen Wissenschaft einen Bedarf nach weiterer Diskussion zu
       diesem Thema, denn bislang gebe es „keinen Konsens, inwieweit ein solcher
       Versuch angemessen ist“. Die SSC-Mitteilung führt eine weitere Begründung
       an, die eine Beteiligung Schwedens am Test auf absehbare Zeit unmöglich
       machen dürfte: „Es fehlen heute internationale Abkommen bezüglich der
       Forschung im Geoengineering-Sektor.“
       
       Diese Erkenntnis sollte der staatlichen Raumfahrtgesellschaft allerdings
       nicht erst jetzt kommen. Schweden hat sich als Mitunterzeichner des
       „Übereinkommens über die biologische Vielfalt“ schon 2010 ausdrücklich zu
       [3][einem Moratorium bezüglich solcher Experimente] verpflichtet.
       
       ## Warnung vor „Todesspirale“
       
       Nachdem die Pläne für den Kalkpulverversuch im Dezember bekannt geworden
       waren, mehrten sich die Proteste. Schwedische und internationale
       Umweltschutzorganisationen, darunter Greenpeace und die
       Heinrich-Böll-Stiftung, [4][appellierten an Stockholm und SSC], das
       Experiment wegen der damit verbundenen geopolitischen, sozialen,
       ökologischen und ethischen Risiken zu stoppen. WissenschaftlerInnen
       widersprachen dem ScoPEx-Forschungsleiter Frank Keutsch, der argumentierte:
       „Das Risiko, nicht zu forschen, ist größer als das mit solcher Forschung
       verbundene Risiko.“
       
       Raymond Pierrehumbert, Geophysiker an der Universität Oxford, sprach von
       einem „Damoklesschwert über der Menschheit“: Greife man zu solchen
       Manipulationsversuchen, um die Erde bewohnbar zu halten, lasse man sich auf
       eine „Todesspirale“ ein. David King, früherer Professor an der Universität
       Cambridge, warnte vor „möglichen katastrophalen Eingriffen in das
       Wettersystem, deren Folgen niemand vorhersagen kann“. Würde Schweden den
       Test zulassen, müsse es sich „den Vorwurf gefallen lassen,
       Klimamanipulationstechniken zu unterstützen“, kritisierte Kevin Noone,
       Professor für Meteorologie an der Uni Stockholm.
       
       Åsa Larsson-Blind vom „Samen-Rat“ der skandinavischen Urbevölkerung
       begrüßte den jetzigen Stopp: Niemand brauche solch fragwürdige Technik.
       Notwendig sei „die Transformation zu Null-Carbon-Gesellschaften im Einklang
       mit der Natur“. Auch Johanna Sandahl, Präsidentin des schwedischen
       Naturschutzverbands zeigte sich erleichtert: Technische Eingriffe, die „den
       Wasserkreislauf verändern, Monsunmuster stören und Dürreperioden
       verschlimmern könnten“, seien „zu gefährlich, um sie je anzuwenden“.
       
       5 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.keutschgroup.com/scopex
 (DIR) [2] http://www.nature.com/articles/d41586-018-07533-4
 (DIR) [3] http://www.cbd.int/climate/geoengineering/
 (DIR) [4] http://www.geoengineeringmonitor.org/wp-content/uploads/2021/02/Letter-re-SCopEx-to-Swedish-Space-Corporation.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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