# taz.de -- Soziale Lasten fair verteilen: Kinderlos? Zahlen bitte!
       
       > Dass Kinderlose in Deutschland bald höhere Pflegeversicherungsbeiträge
       > zahlen sollen, hat einen unangenehm wertenden Beigeschmack.
       
 (IMG) Bild: Eltern müssen Kinderwagen schieben, Kinderlose wohl bald höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen
       
       Die vom Bundesverfassungsgericht gedeckten [1][Pläne von
       Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)], die Pflegeversicherungsbeiträge
       noch mehr als bisher zu Lasten [2][kinderloser Steuerzahlender] zu
       gewichten, hat einen unangenehm wertenden Beigeschmack.
       
       Denn seit jeher gibt es unter den Eltern auch immer diese hohlen Nüsse, die
       Kinderlose pauschal als unreifes Hedonistenpack abtun, das durch die Bank
       bewusst einem Lebensplan folgt, der aus [3][permanentem Drogenkonsum],
       Sonntagsbrunchs und Fernreisen besteht, bei denen Kinder, die man eh hasst,
       nur stören würden. Dass Unfruchtbarkeit, Abgänge, Kindstod oder andere
       Probleme sogar die häufigeren Gründ für Kinderlosigkeit sind, ficht die
       Verkünder der reinen Elternlehre nicht im Geringsten an. Für solche
       Differenzierungen sind sie zu blöd, ob aus väterlichem Dummstolz oder
       mütterlicher Stilldemenz heraus.
       
       Am schlimmsten sind hier oft die späten Eltern, die den
       selbstexkulpierenden Bekehrungsfanatismus des militanten Ex-Rauchers mit
       protoreligiösen Vorstellungen mischen, welcher Mensch wertvoll sei und
       welcher nicht, die sie wiederum mit Erzkatholiken, Taliban und Völkischen
       teilen.
       
       Dabei verwirklichen sie sich mit ihrer Entscheidung pro Kind ja ebenfalls
       oft nur selbst, haben fehlerhaft verhütet, oder wussten schlicht nichts
       besseres mit sich anzufangen. Auch ist dies sicher diejenige
       Lebensentscheidung, die man ausnahmsweise nur und ausschließlich mit dem
       Bauch treffen muss, denn alles andere spricht individuell ohnehin dagegen:
       Bequemlichkeit, kaum zu stemmende Verantwortung, und last but not least die
       klägliche Zukunftserwartung der Menschheit auf Erden an sich.
       
       ## Wir brauchen Zuwanderung, aber wir brauchen auch Kinder
       
       Doch verlassen wir an dieser Stelle einmal die Grabenkämpfe der Extremisten
       und Unversöhnlichen beider Lager, schieben potentielle Kränkungen beiseite
       und versuchen, das Problem gesamtgesellschaftlich zu sehen. Während
       woanders die Überbevölkerung eins der größten Probleme überhaupt ist,
       überaltert bei uns die Gesellschaft. Wir brauchen Zuwanderung, aber wir
       brauchen auch Kinder. Denn es ist absehbar, dass im Angesicht der auf dem
       Kopf stehenden Alterspyramide unser jetzt schon in sämtlichen Scharnieren
       ächzendes Pflegesystem spätestens mit der endgültigen Vergreisung der
       Boomergeneration vollends implodiert.
       
       Kinder kosten Geld. Pflege kostet Geld. Dafür, wie man das gerecht umlegt,
       gibt es jedoch verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel ist es weder
       zeitgemäß noch laizistisch, die Ehe an sich durch steuerliches
       Ehegattensplitting zu sponsern, egal ob Kinder da sind oder nicht. Hier
       wäre eine entsprechende Änderung sinnvoll, die gerne auch großzügig und
       direkt ins Kindergeld fließen darf, während das Splitting allgemein
       abgeschafft wird.
       
       Auf diese Weise sähe es auch nicht so aus, als ob Kinderlose für eine
       Entscheidung moralisch abgestraft werden, die erstens womöglich nicht in
       ihrer Hand liegt und zweitens sowieso ihre freie Privatsache ist. Dass man
       soziale Lasten fair verteilt, und da gehören nun mal Kinder- wie auch
       Pflegekosten dazu, sollte unterm Strich dennoch selbstverständlich sein.
       
       Für die Umsetzung der notwendigen Umschichtungen sind am Ende viele Modelle
       denkbar, auch das von Lauterbach. Ich selbst könnte mich durchaus mit einem
       höheren Beitrag anfreunden, solange mich die Übereltern nur mit ihrem
       diffamierenden Superioritätsgeblöke verschonen. Für die Finanzierung einer
       guten Pflegeversorgung für alle und auch in Zukunft, für eine
       Besserstellung der dort Arbeitenden und ihrer Bedingungen, reicht das aber
       ohnehin nicht aus. Dazu müssen wir vielleicht doch noch mal bei den
       Superreichen anklopfen.
       
       2 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1629539764440293378?ref_src=twsrc%5Etfw
 (DIR) [2] /Gender-Care-Gap-in-Deutschland/!5915908
 (DIR) [3] /Streetworker-ueber-Wohnungslosigkeit/!5915475
       
       ## AUTOREN
       
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