# taz.de -- Georgisches NGO über Agenten-Gesetz: „Ein strategischer Schritt zurück“
       
       > Der Jurist Guram Imnadse hält die Rücknahme des umstrittenen NGO-Gesetzes
       > in Georgien für eine Farce. Die Regierung bewege sich in Richtung
       > Russland.
       
 (IMG) Bild: Mehr als 80 Prozent der Georgier stehen hinter einem EU-Beitritt – Protest in Tiblissi am 8.3.2023
       
       taz: Seit Dienstagabend ist Ihre NGO mit tausend anderen auf der Straße, um
       gegen das „Agenten-Gesetz“ zu protestieren. Was würde sich ändern? 
       
       Guram Imnadse: Erst einmal ist es ein deutlicher demokratischer Rückschritt
       und eine geopolitische Verschiebung, da es sich klar gegen den
       pro-westlichen Weg richtet, den die georgische Verfassung garantiert.
       Gleichzeitig schafft es ernsthafte Probleme für NGOs und unabhängige
       Medien, insbesondere für kleine Online-Medien. Zum Beispiel kennzeichnet
       der Gesetzesentwurf Organisationen wie uns als „ausländische Agenten“,
       obwohl wir im Sinne unserer Bevölkerung handeln, vor allem
       schutzbedürftiger Menschen. Eigentlich ist dieser Gesetzesentwurf Teil
       eines größeren Problems, einer größeren Kampagne, die [1][vor etwa zwei
       Jahren begann] und darauf abzielt, den zivilgesellschaftlichen Sektor zu
       delegitimieren.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Es heißt, wir seien gegen den Staat und die staatlichen Interessen, zum
       Beispiel gegen die Kirche. Georgien ist ein ziemlich konservatives Land und
       unsere Gesellschaft ist religiös. Es funktioniert also. Dieser neue Entwurf
       legalisiert die Regierungsbehauptungen formal. Darüber hinaus enthält der
       Entwurf besonders problematische Änderungen: Er gewährt einigen staatlichen
       Institutionen, wie dem Justizministerium, Zugriff auf alle Informationen,
       die in der Organisation gespeichert sind, einschließlich personenbezogener
       Daten, auch unserer Begünstigten. Bei Medien könnten Angaben zu Quellen
       gemacht werden. Eine Bedrohung der Informationsfreiheit.
       
       Ihre NGO könnte gar nicht mehr arbeiten, weil Sie ausländische Gelder
       bekommen… 
       
       Ja, unsere Partner sind ausländische Akteure: die USA oder die Europäische
       Kommission. Wir haben keine Gelder von georgischen Akteuren oder
       Institutionen. Aber das bedeutet nicht, dass wir lediglich im Interesse
       dieser Spender handeln. Wir verwenden diese finanzielle Hilfe nur, um
       unsere Visionen und Prinzipien effektiv umzusetzen und den Menschen in
       Georgien zu helfen.
       
       In den vergangenen Jahren hat die Regierung der Partei Georgischer Traum
       nicht alle Versprechen gehalten. Haben Sie sich darüber gefreut, dass sie
       den Gesetzesentwurf nun zurückziehen möchte? 
       
       Die einzige Möglichkeit, den Entwurf zurückzuziehen, besteht darin, in
       einer zweiten Plenarsitzung tatsächlich dagegen zu stimmen. Sie haben die
       Mehrheit, so haben sie am vergangenen Dienstag dafür gestimmt. Sie wollen
       es zurückziehen, aber gleichzeitig sagen sie, dass es notwendig ist. Ich
       sehe es also als einen strategischen Schritt zurück. Und jetzt werden sie
       ihre Propagandainstrumente einsetzen, um ihre Ziele und Wünsche
       durchzubringen.
       
       Die [2][pro-russische Gruppe Macht des Volkes hat den Entwurf initiiert].
       Seit Jahren steckt sie hinter einer wirksamen Medienstrategie in Georgien.
       Auch der Russland-nahe Milliardär Bidzina Iwanischwili, Gründer des
       Georgischen Traums, bleibt im Land einflussreich… 
       
       Ganz genau. Selbst wenn das Parlament diesen Entwurf jetzt nicht annimmt,
       wird die schmutzige Propaganda gegen den zivilgesellschaftlichen Sektor und
       gegen westliche Partner mit Sicherheit fortgesetzt. Heute Morgen wachten
       wir mit Plakaten an den Wänden auf, die die Aktivisten als Verräter
       bezeichneten.
       
       Etwa 80 Prozent der Bevölkerung [3][steht hinter einem EU-Beitritt]
       Georgiens. Wie gespalten ist die georgische Gesellschaft?
       
       Ja, sie ist sehr gespalten, und dafür gibt es zwei Hauptfaktoren. Zunächst
       einmal sind die Oppositionsparteien in diesem Land wirklich schwach und
       auch delegitimiert. Das ist der Grund, warum die Regierungspartei
       Georgischer Traum immer noch so viele Wähler hat. Der zweite Grund ist,
       dass sich die Regierungspartei immer noch als pro-westlich bezeichnet. Sie
       haben nicht offiziell erklärt, dass sie ihren politischen Kurs ändern und
       sich in Richtung einer pro-russischen Politik bewegen. Der Georgische Traum
       nutzt aber Informationsmittel und Propaganda, um zum Beispiel das Narrativ
       zu verbreiten, dass der Westen versucht, Georgien in einen Krieg gegen
       Russland zu verwickeln, um so eine zweite Kriegsfront zu schaffen. Deshalb
       hat die Unterstützung für den Westen in den letzten Monaten in unserer
       Gesellschaft nachgelassen.
       
       Im Juni vergangenen Jahres bekam die Ukraine den EU-Kandidatenstatus,
       Georgien nur eine Empfehlung. War es ein Fehler der EU, Georgien nicht
       gleich auch als EU-Kandidat mit an Bord zu nehmen? 
       
       Absolut, meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, wenn Georgien im Juni
       2022 den EU-Kandidatenstatus bekommen hätte, denn unsere Regierung hätte
       dann weniger Spielraum für solche Manöver gehabt. Aber ich denke, es ist
       noch nicht zu spät, um für den Kandidatenstatus zu kämpfen. Wir tun unser
       Bestes und zwingen unsere Regierung, alle notwendigen Reformen umzusetzen,
       um allen zwölf Empfehlungen der Europäischen Kommission nachzukommen. Aber
       wir wissen, dass sich die Regierung der Tatsache bewusst ist, dass diese
       Reformen möglicherweise nicht ihrem eigenen Interesse dienen. Spürbare
       Reformen in der Justiz oder die Stärkung unabhängiger staatlicher
       Institutionen werden sicherlich den politischen Einfluss der
       Regierungsparteien schwächen. Und mit dieser Idee sind sie alles andere als
       glücklich.
       
       Dann werden Sie wohl weiter protestieren? 
       
       Der Protest wird weitergehen, denn der Gesetzesrückzug ist nicht offiziell
       bewilligt worden. Außerdem wurden mehr als 100 Demonstranten festgenommen.
       Sie müssen freigelassen werden.
       
       Aus dem Englischen Sabina Zollner
       
       9 Mar 2023
       
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