# taz.de -- Afghanistan unter den Taliban: Rache des Islamischen Staats?
       
       > Die weltweit agierende Terrorgruppe gilt als Hauptverdächtige für den
       > Selbstmordanschlag auf einen Taliban-Gouverneur im Norden des Landes.
       
 (IMG) Bild: Polizist und Kämpfer der Taliban vor Krankenhaus in Masar-e Scharif, in das Opfer gebracht wurden
       
       BERLIN taz | Ein Selbstmordattentäter hat am Donnerstagmorgen den
       Taliban-Gouverneur der nordafghanischen Provinz Balch, Mullah Muhammad Daud
       Muzammil, getötet. Laut dem dortigen Taliban-Polizeisprecher starben bei
       dem Anschlag bei einer Sitzung in Musammils Büro in der Provinzhauptstadt
       Masar-e Scharif auch zwei Zivilisten. Unabhängige Quellen gehen von
       mindestens 7 Toten und 15 Verletzten aus.
       
       Seit die Taliban im August 2021 in Afghanistan wieder an der Macht kamen,
       hat der zuvor von ihnen ausgeübte Terror auch sie selbst erreicht. Musammil
       ist eines der bisher ranghöchsten Opfer.
       
       Der in Schweden lebende afghanische Terrorismusexperte Abdul Sayed spricht
       gegenüber der taz von einem „schweren Schlag für die Taliban“. Musammil
       stieg während der Kämpfe in seiner Heimatprovinz Helmand gegen die dort
       unter der Vorgängerregierung stationierten britischen Truppen in die
       Taliban-Militärkommission auf. Unter dem 2016 getöteten Taliban-Chef Achtar
       Muhammad Mansur war er einer von dessen Verbindungsleuten nach Iran.
       
       Bisher bekannte sich niemand zu dem Anschlag. Die Taliban werden immer
       wieder von Bewaffneten angegriffen, die sich der gestürzten, westlich
       gestützten Islamischen Republik verpflichtet fühlen, aber auch vom
       [1][örtlichen Ableger des Islamischen Staats], ISKP genannt. Der wirft den
       Taliban vor, nicht konsequent eine „islamische Ordnung“ zu errichten.
       
       ## „Einzige Gruppe für so einen komplexen Anschlag“
       
       „ISKP ist der Hauptverdächtige für den Anschlag in Balch und die einzige
       Anti-Taliban-Gruppe, die solch einen komplexen Anschlag ausführen kann“,
       sagt ein afghanischer Analyst, der inzwischen in Deutschland lebt, der taz.
       Er sei zu erwarten gewesen, dass der ISKP auf jüngste Taliban-Razzien gegen
       Verstecke der Gruppe „eine starke Antwort geben“ werde.
       
       Am vorigen Samstag hatten die Taliban in Herat sechs Mitglieder der Gruppe
       getötet, woraufhin ISKP Vergeltung angekündigt hatte.
       
       Bereits am Mittwoch hatte sich ISKP zu einem Anschlag auf den Chef der
       Wasserbehörde in Herat bekannt. Außer ihm starben zwei weitere Personen.
       
       Am Donnerstag explodierte in Kabul auch eine Haftmine an einem
       Taliban-Fahrzeug. Opfer sind unklar, zumal sich niemand zu dem Anschlag
       bekannte. Doch zuvor hatte sich ISKP sieben Wochen lang zu keinem Anschlag
       in Afghanistan bekannt.
       
       ## Anschlagsopfer war zuvor rabiat gegen IS vorgegangen
       
       Musammil war noch aus einem anderen Grund ein mögliches ISKP-Ziel. Vor
       seiner Versetzung nach Balch 2022 war er Gouverneur der Ostprovinz
       Nangrahar gewesen. In der früheren ISKP-Hochburg ging er rabiat gegen ISKP
       vor. Human Rights Watch berichtete im Juli, man untersuche die
       Todesumstände von etwa 100 ISKP-Verdächtigen, deren Leichen dort in einem
       Graben gefunden wurden.
       
       In sozialen Medien beschuldigte am Donnerstag ein ISKP-Offizieller unter
       dem Decknamen Abu Chaled den getöteten Gouverneur Musammil der
       Kollaboration mit dem Iran sowie mit den „Kreuzzüglern“, also den
       westlichen Truppen, gegen seine Gruppe. Eine direkte Verantwortung für den
       Anschlag übernahm er aber nicht.
       
       Im Winter 2020/21 hatten die Taliban gemeinsam mit den mit ihnen eigentlich
       verfeindeten damaligen Regierungstruppen mit US-Luftunterstützung den ISKP
       aus von ihm kontrollierten Dörfern vertrieben.
       
       Am Montag hatte der schwedische EU-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tomas
       Niklasson, den Taliban dafür gedankt, dass sie zum Dialog über
       Terrorismusbekämpfung bereit seien und sich „gut um den ISKP kümmern“. Ende
       Februar hatten sie in Kabul auch den Chef der pakistanischen ISKP-Schwester
       ISPP, Idschas Ahangar, getötet.
       
       9 Mar 2023
       
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