# taz.de -- Studie zu impressionistischer Kunst: Impressionismus? Luftverschmutzung!
       
       > Wer dachte, Claude Monet und William Turner hätten die Atmosphäre gemalt,
       > hat recht – allerdings anders als gedacht.
       
 (IMG) Bild: Claude Monets „Die Seine in Port-Villez“ von 1894
       
       Vincent van Goghs „Abendlandschaft bei Mondaufgang“ schmückt
       Wohnzimmerwände und Kalender. Der niederländische Maler erblickte den
       gelb-orange aufgehenden Mond, der sich zur Hälfte hinter einer blauen
       Bergkette versteckt, vom Rand eines Feldes in der Nähe des französischen
       Dorfs Saint-Rémy. Und zwar am 13. Juli 1889 um 21:08 Uhr lokaler Zeit.
       
       So präzise datiert [1][eine im Jahr 2003 publizierte Studie] des
       Astrophysikers und Kunstdetektivs Donald Olson von der Texas State
       University das Bild. Das Ergebnis geht aus astronomischen Berechnungen und
       Mondkarten hervor. Zeit und Ort verifizierte Olson anhand persönlicher
       Briefe. Er schlussfolgert, dass van Gogh seine Umwelt wie in einer
       Momentaufnahme festgehalten habe.
       
       Diesen Gedanken des Künstlers als Chronisten haben nun die Autor:innen
       einer im Fachmagazin PNAS [2][erschienenen Studie] aufgegriffen und
       weiterverfolgt. Auch sie schauen sich die Künstler des 19. Jahrhunderts an,
       deren Kunst oft unscharf und skizzenhaft wirkt. Und sie vermuten, dass
       hinter dem Verschwimmen der Kontraste nicht nur ein künstlerischer
       Stilwandel steckt, sondern auch die konkrete Veränderung der Atmosphäre.
       
       Die Studie 
       
       Die Autor:innen untersuchten Veränderungen in Stil und Farbe von fast
       100 Gemälden verschiedener impressionistischer und vor-impressionistischer
       Maler, zum großen Teil des Briten William Turner und des Franzosen Claude
       Monet. Beide lebten zur Zeit der industriellen Revolution in Westeuropa und
       parallel zu ihrer künstlerischen Entwicklung kam auch die
       Industriegesellschaft samt Luftverschmutzung in Fahrt. Der Himmel in ihren
       Gemälden wurde immer trüber.
       
       Die Forscher:innen nutzten Schwefeldioxid (SO2) als Näherungswert für
       historische Luftverschmutzung. Die frühe industrielle Revolution wurde
       größtenteils mit Kohle angefeuert, die in der Regel 1 bis 5 Prozent
       Schwefel enthält. Die historischen Schätzungen der jährlichen
       SO2-Emissionen entnahmen die Autor:innen einer anderen Studie. Dann
       verglichen sie die Kontrastvariation eines Kunstwerks mit den historischen
       SO2-Emissionen und seinem Erscheinungsjahr. So fanden sie heraus, dass die
       lokalen Emissionen stärker beeinflussten, ob ein Bild kontrastreich
       gezeichnet wurde, als der historische Zeitpunkt.
       
       Ihre Schlussfolgerung: Die künstlerische Entwicklung von scharfen zu
       unscharfen Konturen, von realistischer zu impressionistischer Darstellung,
       entstammt vor allem der zunehmenden Luftverschmutzung im industriellen
       Westeuropa. Sind Monet und Co. dann überhaupt noch Impressionisten? Den
       Studienautor:innen zufolge enthält ihre Kunst mindestens auch Elemente
       von „polluted realism“ – eines verschmutzten Realismus' also.
       
       Was bringt's? 
       
       Zweierlei: Maler:innen sind erstaunlich akkurate Umweltchronisten. Und
       der Dreck der Industriegesellschaft folgt uns bis in die Museen.
       
       4 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nature.com/articles/news030609-13
 (DIR) [2] https://www.pnas.org/doi/epdf/10.1073/pnas.2219118120
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Enno Schöningh
       
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